# taz.de -- Polizeipräsident Lutz Müller: „Wir verniedlichen Cannabis“ | |
> Kiffen habe ähnliche Dimensionen erreicht wie das „Koma-Saufen“, sagt | |
> Polizeipräsident Lutz Müller im Interview. Er plant ein | |
> Präventionsprogramm. | |
Bild: Immer mehr Cannabis wird in Indoor-Plantagen gezüchtet. | |
taz: Herr Müller, in einem Interview zur geplanten Neuausrichtung des | |
Kampfes gegen Drogenkriminalität sagten Sie: „Cannabis gehört genauso | |
geächtet wie Heroin.“ Sollte Ihrer Meinung nach der Konsum von Cannabis | |
auch genauso kriminalisiert werden wie der von Heroin? | |
Lutz Müller: Es geht nicht darum, ob wir irgendetwas mit polizeilichen | |
Mitteln anders machen wollen, sondern es geht um die Frage: wie gehen wir | |
in der öffentlichen Diskussion mit dem Thema um? | |
Wie denn? | |
Wir verniedlichen Cannabis in der öffentlichen Darstellung. Als Polizei | |
nehmen wir wahr, dass Cannabis bei jedem dritten Jugendlichen ein | |
Standardprodukt wie Alkohol geworden ist und dass es im Straßenverkehr eine | |
wachsende Rolle spielt. Zwei Drittel aller BTM-Delikte sind mittlerweile | |
auf Cannabis zurückzuführen. Wir schätzen es so ein, dass ungefähr die | |
Hälfte derjenigen, die wir regelmäßig als Täter im Bereich Einbruch und | |
Diebstahl haben, auch regelmäßig Cannabis konsumieren. | |
Wenn ein Einbrecher betrunken ist, sehen Sie dann auch einen Zusammenhang | |
zwischen Alkohol und dem begangenen Delikt – abgesehen davon, dass Alkohol | |
die Hemmschwelle herabsetzt? | |
Wir nehmen an, dass Cannabis das auch tut. Je höher der Konsum steigt, | |
desto mehr scheint die Kriminalität zu steigen. Ich möchte jetzt aber nicht | |
schwarzweiß diskutieren: Wir haben mit Sicherheit auch Menschen, die | |
verantwortungsvoll mit Cannabis umgehen können, aber wir haben genauso | |
viele, die ihre Grenzen nicht erkennen und zum Beispiel nicht darüber | |
nachdenken, ob sie noch am Straßenverkehr teilnehmen können oder ob ihr | |
Konsum bereits Auswirkungen auf das Sozialverhalten hat. | |
Welche Auswirkungen sind das? | |
Es gibt Schwerstabhängigkeiten beim Cannabis-Konsum. Das macht sich an | |
sozialer Verelendung fest oder an psychischen Auffälligkeiten. Wir stellen | |
steigende Fallzahlen mit Cannabis im Allgemeinen, im Straßenverkehr oder | |
bei Straftaten fest. | |
Könnte das nicht auch damit zusammenhängen, dass der Nachweis von Drogen | |
leichter geworden sind, zum Beispiel durch Schnelltests, die an Ort und | |
Stelle eingesetzt werden können? | |
Es liegt vor allem daran, dass wir unsere Mitarbeiter so qualifizieren, | |
dass sie besser in der Lage sind, Drogenkonsumenten zu erkennen, und in der | |
Tat hellen wir damit sicher auch ein Dunkelfeld auf. Dennoch zeigt das, | |
dass die Teilnahme von Menschen unter Drogeneinfluss am Straßenverkehr sehr | |
hoch ist. Das bessere Erkennen eröffnet uns als Polizei ja auch die | |
Möglichkeit, Konsumenten direkt aufzuklären, ihnen zu sagen, dass es | |
mehrere Tage dauern kann, bis THC-bezogene Ausfallerscheinungen abklingen. | |
Und: Der THC-Gehalt von Cannabis ist extrem gestiegen. Innerhalb von 30 | |
Jahren hat er sich verzehnfacht. Das ist nur ein Mittelwert, da gibt es | |
extreme Ausschläge nach oben. | |
Wo kaufen Konsumenten dieses Cannabis? | |
Wir stellen einen kontinuierlichen Anstieg sogenannter Indoor-Plantagen in | |
Bremen fest. Genau da wird dieses hoch THC-haltige Cannabis angebaut. Wir | |
als Polizei müssen zumindest nach draußen transportieren: Leute, da hat | |
sich was verändert, und darauf müssen wir reagieren. | |
Aber doch nicht, indem man Cannabis auf eine Stufe mit Heroin setzt ... | |
Während wir erfreulicherweise einen Rückgang von Erstkonsumenten | |
sogenannter harter Drogen verzeichnen können, machen wir diese Beobachtung | |
bei Cannabis-Konsumenten nicht. Aber wenn man überhaupt Vergleiche | |
anstellen kann, dann eher mit Alkohol. Es gibt ja ein großes Problem mit | |
dem sogenannten Komasaufen bei Jugendlichen, und hier wird viel | |
Präventionsarbeit geleistet, das Problem also durchaus erkannt. Cannabis | |
wird hingegen in der Öffentlichkeit links liegen gelassen. | |
Könnte das nicht daran liegen, dass Cannabis strafrechtlich verfolgt wird? | |
Der Konsument wird in der Regel ja nicht strafrechtlich verfolgt, und das | |
wissen Jugendliche genau. Darüber hinaus nehmen sie in der Öffentlichkeit | |
reine Schwarz-Weiß-Diskussionen wahr, die meist ideologisch geführt werden | |
und in die wir uns aus polizeilicher Sicht nicht einmischen wollen. Was aus | |
unserer Sicht wichtig ist, ist eine vernünftige Aufklärung, und die fehlt. | |
Haben Sie konkrete Pläne, um dem entgegenzuwirken? | |
Wir haben unseren Diskussionsprozess noch nicht abgeschlossen, setzen aber | |
auf eine Fortführung der Mitarbeiter-Beschulung und auf die Aufnahme von | |
Cannabis in die Präventionsprogramme, in denen es bisher überwiegend um | |
Alkohol geht. Es wird aber noch bis zum Sommer dauern, ehe wir ein | |
detailliertes Konzept präsentieren können. | |
13 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
## TAGS | |
Cannabis | |
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