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# taz.de -- Zeugenschutz der Berliner Polizei: Dein Freund und Lügner
> Wer gegen einen Verbrecher aussagt, muss Rache fürchten. Die Berliner
> Polizei schafft es nicht, Zeugen stets zu schützen – und macht
> Falschaussagen.
Bild: Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt (l.) sieht vertrauenswürdig aus �…
BERLIN taz | Es geschah im Februar in Berlin-Charlottenburg: Zwei
Polizisten suchen nach Verdächtigen, die ein älteres Ehepaar ausgeraubt
haben sollen. Die Polizisten haben ein Fahndungsplakat mit Bildern aus
einer Überwachungskamera, gehen damit in die Geschäfte rund um den Tatort.
Vielleicht erkennt ja jemand die Täter.
In einem Obst- und Gemüseladen werden die Polizisten fündig: Ein Kunde
erkennt einen der Verdächtigen. Doch er will den Namen nicht nennen, weil
es sein direkter Nachbar ist, der sich „im Anschluss bei ihm rächen
könnte“. So notieren es die Polizisten in ihrem Vermerk. Die Polizisten
sagen dem Zeugen, „dass die abgebildete Person nicht erfahre, dass diese
Information von ihm stamme“. Auch dieses Versprechen halten sie schriftlich
fest. Der Zeuge ist beruhigt - und packt aus.
Doch die Polizisten brechen ihr Versprechen. Sie nehmen nämlich neben der
Aussage des Zeugen auch seinen Namen und seine Adresse in ihren Vermerk
auf. Es kommt, wie es kommen muss: Die Verdächtigen werden - auch mit Hilfe
dieser Zeugenaussage - gefasst. Der Anwalt der Verdächtigen, Carsten
Hoenig, beantragt Einsicht in die Ermittlungsakten. Er findet dort den
Namen des Zeugen - und verrät ihn seinem Mandanten. Hoenig: „Ich muss mit
meinem Mandanten alle Inhalte aus der Ermittlungsakte besprechen, um die
Verteidigung vorzubereiten. Mein Mandant muss auch die Identität der
Belastungszeugen kennen, damit er deren Glaubwürdigkeit gegebenfalls
gegenüber den Ermittlungsbehörden erschüttern kann.“
Doch auch ohne die Akteneinsicht: Spätestens beim Prozess hätten die
Beschuldigten erfahren, wer sie bei der Polizei verpetzt hat. Weil der
Zeuge für seine Aussage vor Gericht geladen worden wäre. Anwalt Hoenig hat
auch eine Vermutung, welche Folgen das für den Zeugen hat: „Entsprechend
der Umgangsformen der Kreise, in denen sich das Ganze hier abspielt“,
[1][schreibt er mit schwarzen Humor in seinem Blog], werde der Zeuge „sich
künftig darauf freuen können, regelmäßig - mindestens aber einmal - eine
Geburtstagskarte zu bekommen“. Oben drauf gibt es vielleicht sogar noch
eine Handvoll blauer Veilchen.
Die Polizisten hatten also ein leeres Versprechen abgegeben. Es war von
Anfang an klar, dass sie es nicht einhalten konnten. Nur der Zeuge - der
hat es geglaubt.
## „Kein übliches Vorgehen“
Warum belügt die Polizei Zeugen? „Das ist kein übliches Vorgehen“, sagt
Polizeisprecher Stefan Redlich. „Wenn das hier passiert sein sollte, wäre
das ein Fehler der Beamten“, sagt er.
Wie häufig kommen solche Fehler vor? Wie häufig riskieren Polizisten das
Leben und die Gesundheit von Zeugen, um einen schnellen Ermittlungserfolg
zu haben? Offzielle Zahlen dazu gibt es nicht. „So deutlich wie hier ist es
selten“, sagt Rechtsanwalt Hoenig. Dass also Polizisten ein eindeutig
falsches Versprechen geben - und ihr eigenes Fehlverhalten sogar noch in
der Akte dokumentieren. „Es ist aber vielfach so, dass Zeugen mit sanftem
Druck von der Polizei zum Sprechen bewogen werden“, sagt Hoenig. Da wird
dann zum Beispiel gesagt, ein Zeuge sei zur Aussage verpflichtet, sonst
werde er vorgeladen. Dabei ist niemand verpflichtet, einer solchen
Vorladung Folge zu leisten.
„Die Risiken und Gefahren eine Aussage werden dagegen so gut wie nie von
der Polizei angesprochen“, sagt Hoenig. Dabei gibt es durchaus
Möglichkeiten, wie ein Zeuge wirksam geschützt werden kann:
Der große Zeugenschutz: Das Zeugenschutzharmonisierungsgesetz ermöglicht
das volle Programm - neuer Name, [2][neue Ausweispapiere], neue Wohnung,
[3][direkte Geldzahlung]. Die [4][Voraussetzung] ist „eine Gefährdung von
Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit oder wesentlicher Vermögenswerte“ des
Zeugen. Außerdem muss die Aussage notwendig sein, um einen Beschuldigten zu
überführen. Wenn auch die Familie gefähret ist, wird sie ebenfalls
geschützt.
Im Jahr 2009 waren 339 Zeugen in einem Schutzprogramm. Die Polizei kümmert
sich um alles. „Sie haben meinen Job gekündigt, meine Wohnung, sie haben
mein ganzes Leben gekündigt“, [5][sagt die Exfrau eines Dschihadisten]. Sie
wohnte zunächst in verschiedenen Hotels, dann in einer Wohnung in einem
anderen Bundesland. Sie bekam eine neue Frisur und Papiere mit einem neuen
Namen.
Aber die Frau bekam keine passende Vergangenheit dazu - also keine
Schulzeugnisse mit dem neuen Namen. Einen neuen Job fand sie so nicht, fiel
auf Hartz IV. Geld oder Hilfe von der Polizei bekam sie nicht mehr. Das BKA
schrieb in einer Stellungnahme: Das Gesetz sehe nun einmal nicht vor,
Zeugen „zeitlich unbefristet für alle mittelbaren und unmittelbaren
Nachteile“ zu entschädigen.
Dementsprechend ist der Zeugenschutz für den Staat recht günstig. Das kann
man im Haushalt von Schleswig-Holstein sehen - eines der wenigen Länder,
das die Ausgaben für den Zeugenschutz gesondert ausweist: Für 2013 sind
lediglich 15.000 Euro eingeplant. Zum Vergleich: Für Polizeidiensthunde
gibt das Land 210.000 Euro aus ([6][PDF]).
Der kleine Zeugenschutz: Alternativ ist auch möglich, dass ein Zeuge vor
Gericht seinen Namen oder seine Adresse nicht nennt ([7][§ 68
Strafprozessordnung]). Polizisten zum Beispiel nennen als Zeuge vor Gericht
nie ihre Privatadresse. Das hilft allerdings nur dann, wenn der Täter nicht
ohnehin weiß, wo ein Zeuge wohnt. In dem Ausgangsbeispiel, bei dem der
Zeuge im gleichen Haus wie der Täter wohnt, hätte das also nichts geholfen.
Der einfache Zeugenschutz: Was also tun, wenn man einen Täter auf einem
Fahndungsplakat erkennt? Wenn man der Polizei helfen will, aber keinen
Ärger mit dem Täter und auch keinen neuen Namen? Ganz einfach, meint Anwalt
Hoenig. Einfach den Hinweis auf den Täter per Post an die Polizei schicken,
und zwar anonym. So bekommt die Polizei den Verbrecher - und der Zeuge
seinen ruhigen Schlaf.
Weiterführende Informationen
[8][Zeugenbetreuung] der Opferhilfe Berlin
[9][Dissertation] (PDF) von Rechtsanwalt Christian Siegismund: "Der Schutz
gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik unter besonderer Berücksichtigung
des Gesetzes zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen
(Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz ZSHG)"
[10][Blogbeitrag] von Anwalt Carsten Hoenig zu diesem Fall
22 Mar 2013
## LINKS
[1] http://www.kanzlei-hoenig.de/2013/fahndungsluege/
[2] http://dejure.org/gesetze/ZSHG/5.html
[3] http://dejure.org/gesetze/ZSHG/8.html
[4] http://dejure.org/gesetze/ZSHG/1.html
[5] http://www.sueddeutsche.de/politik/reportage-verirrt-in-mehreren-leben-1.80…
[6] http://www.schleswig-holstein.de/FM/DE/Landeshaushalt/HH2013/Epl04__blob=pu…
[7] http://dejure.org/gesetze/StPO/68.html
[8] http://www.opferhilfe-berlin.de/opferhilfe/zeugenbetreuung
[9] http://d-nb.info/998598135/34
[10] http://www.kanzlei-hoenig.de/2013/fahndungsluege/
## AUTOREN
Sebastian Heiser
Sebastian Heiser
## TAGS
Polizei Berlin
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