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# taz.de -- Aus „Le Monde diplomatique“: Wie die Drohne in die Welt kam
> Kaum zu glauben: Thomas de Maizière sieht angeblich keinen Unterschied
> zwischen dem Einsatz einer Drohne und dem eines Torpedos.
Bild: Mit oder ohne Waffe: Die Drohnen kommen.
Bereits Walter Benjamin reflektierte über jene funkgesteuerten Fluggeräte,
wie sie sich Militärtechniker schon Mitte der 1930er Jahre ausgemalt
hatten. Anhand dieser Drohnenvorläufer illustrierte er den Unterschied
zwischen dem, was er „zweite Technik“ nannte, die für die
industrialisierten Staaten charakteristisch war, und der „ersten Technik“,
die er bis in prähistorische Zeiten zurückgehen sah.
Der Unterschied zwischen beiden Arten von Technik war in den Augen
Benjamins nicht so sehr die Unterlegenheit der archaischen gegenüber der
industriellen Technik als vielmehr ein „tendenzieller Unterschied, der
darin besteht, daß die erste Technik den Menschen so sehr, daß die zweite
ihn so wenig wie möglich einsetzt. Die technische Großtat der ersten
Technik ist gewissermaßen das Menschenopfer, die der zweiten liegt auf der
Ebene der fernlenkbaren Flugzeuge, die keine Bemannung brauchen.“ (1)
Die Technik des Opfers und die Technik des Spiels: Auf der einen Seite die
völlige Selbstaufgabe, auf der anderen die totale Distanz. Hier die
Einzigartigkeit lebendigen Handelns, dort die grenzenlose
Reproduzierbarkeit eines mechanischen Handgriffs. „Das Ein für allemal gilt
für die erste Technik (da geht es um die nie wieder gut zu machende
Verfehlung oder den ewig stellvertretenden Opfertod).
Das Einmal ist keinmal gilt für die zweite (sie hat es mit dem Experiment
und seiner unermüdlichen Variierung der Versuchsanordnung zu tun).“ (2) Auf
der einen Seite der Kamikaze oder Selbstmordattentäter, der sich selbst in
einer einzigen Explosion vollständig vernichtet, auf der anderen die
Drohne, die immer wieder ihre Raketen abfeuern kann, als wäre es nichts.
## Der Körper als Waffe
Während beim Kamikaze der Körper des Kämpfers vollständig mit seiner Waffe
verschmilzt, sorgt die Drohne für radikale Trennung. Kamikaze heißt: Mein
Körper ist meine Waffe. Drohne heißt: Meine Waffe ist ohne Körper. Beim
einen ist der Tod des Handelnden unvermeidlich, beim zweiten radikal
ausgeschlossen. In diesem Sinne repräsentieren sie im Hinblick auf die
„Tödlichkeit“ des Mittels zwei entgegengesetzte Pole, zwischen denen die
klassischen Kombattanten stehen, deren Tod möglich ist.
Wir sprechen von „Selbstmordattentätern“. Doch welchen Begriff haben wir
für Menschen, die durch Explosionen töten können, ohne ihr eigenes Leben
aufs Spiel zu setzen? Für sie gilt nicht, dass sie, um zu töten, sterben
müssen. Dass sie beim Töten sterben, ist ausgeschlossen. Entgegen der
evolutionären Abfolge von Vorgeschichte und Geschichte, die Benjamin nur
einführt, um sie anschließend negieren zu können, gibt es im Verhältnis von
Kamikaze und Drohne – von Opfer-Waffe zu Selbsterhaltungswaffe – keine
lineare chronologisch Reihenfolge. Beide tauchen vielmehr gemeinsam auf,
wie zwei polare Taktiken, die historisch jeweils die Antwort auf die andere
sind. (3)
##
Mitte der 1930er Jahre las Vladimir Zworykin, der als Ingenieur bei Radio
Corporation of America (RCA) beschäftigt war, einen Artikel über die
japanische Armee, der ihn sehr beunruhigte. Die Japaner, hieß es da, hätten
damit begonnen, ganze Geschwader von Piloten für Selbstmordattacken
auszubilden. Lange vor dem Angriff auf Pearl Harbor hatte Zworykin das
Ausmaß der Bedrohung begriffen: „Die Wirksamkeit dieser Methode muss
natürlich erst noch bewiesen werden, aber wenn sich ein solches
psychologisches Training als erfolgreich erweisen sollte, wäre dies die
gefährlichste aller Waffen. Da wir nicht davon ausgehen können, dass solche
Methoden auch in diesem Land eingeführt werden, sollten wir uns auf unsere
technische Überlegenheit verlassen.“ (4)
Damals hatten die USA bereits Prototypen „funkgesteuerter Flugzeuge“
entwickelt, die als Lufttorpedos eingesetzt werden konnten. Aber es gab ein
Problem: Diese ferngesteuerten Apparate waren blind: „Sie werden nutzlos,
sobald der visuelle Kontakt zur sie steuernden Basis unterbrochen ist. Die
Japaner haben die Lösung für dieses Problem gefunden.“ Der Pilot, der Augen
hat und bereit ist zu sterben, kann das Fluggerät bis ins Ziel lenken.
##
Aber Zworykin war bei der RCA auch einer der Pioniere bei der Entwicklung
des Fernsehens. Und natürlich lag hier die Lösung: „Eine mögliche Methode,
um praktisch das gleiche Ergebnis zu erzielen wie der Selbstmord-Pilot,
besteht darin, den funkgesteuerten Torpedo mit einem elektronischen Auge
auszustatten.“ Auf diese Weise konnte der Steuernde am Boden das Ziel im
Blick haben und das abgeschossene Projektil per Fernsteuerung dort
hinlenken. Im Cockpit des Fluggeräts bleibt also nichts als die
elektronische Netzhaut des Piloten, sein Körper befindet sich woanders,
außerhalb der Reichweite feindlicher Abwehrraketen. Mit der Verknüpfung von
Fernsehen und ferngesteuertem Flugzeug entdeckte Zworykin das Prinzip, aus
dem dann später sowohl die „smart bomb“ wie die bewaffnete Drohne
entwickelt wurden.
Der Text Zworykins ist deshalb so bedeutsam, weil er bereits in seinen
ersten theoretischen Überlegungen den Vorläufer der Drohne als
Anti-Kamikaze entworfen hat. Und zwar nicht nur auf logischer und
definitorischer Ebene, sondern auch und vor allem als militärische Taktik:
Diese Waffe ist die Reaktion auf den Kamikazebomber – als dessen Gegenpol
und Zwillingsstern zugleich. Kamikaze und Drohne sind konträre praktische
Lösungen derselben Aufgabe, nämlich eine Bombe in ihr Ziel zu steuern.
Was die Japaner mittels ihrer moralisch überlegenen Opferbereitschaft zu
erreichen suchten, sollten die Amerikaner dank ihrer materiell überlegenen
Technologie vollbringen. Wo es bei den einen um psychologisches Training
ging, handelte es sich bei den anderen um ein rein technisches Verfahren.
Das Konzept der Drohne ist also bereits im Entstehen aufs Engste mit einer
ethisch-technischen Ökonomie von Leben und Tod verbunden, in der die
technologische Macht das Prinzip der Aufopferung abgelöst hat.
##
Dieser Antagonismus von Kamikaze und Fernsteuerung ist in unserer Zeit neu
erstanden in Form von Selbstmordattacke versus Maschinenattacke, eine
Polarität, die vor allem eine ökonomische ist. In diesem Kampf verfügt die
eine Seite über Kapital und Technik, die andere kann nur den eigenen Körper
einsetzen. Diesen beiden materiellen und technischen Konzepten entsprechen
zwei unterschiedliche ethische Auffassungen: eine Ethik des heroischen
Opfers und eine Ethik der weitest gehenden Schonung von Menschenleben auf
der eigenen Seite.
Kamikaze und Drohnenangriff – als konträre ethische Konzepte – sind dabei
sowohl Antithese als auch Albtraum des jeweils anderen. Der Unterschied
liegt, zumindest auf den ersten Blick, in der Einstellung zum Tod – dem
eigenen und dem des anderen –, zur Opferung respektive Bewahrung des
Lebens, zu Gefahr und Mut. Es handelt sich um zweierlei politisch-affektive
Ökonomien der Beziehung zum Tod, den man anderen bringt oder den man selbst
riskiert. Aber auch um zwei entgegengesetzte Versionen des Schreckens –
oder Visionen des Schreckens.
Vor einigen Jahren schrieb Richard Cohen in der New York Times: „Nicht nur,
dass die Taliban das Leben nicht schätzen, sie geben es bei ihren
Selbstmordanschlägen sogar freigiebig weg. Es ist schwer, sich einen
US-Kamikaze vorzustellen.“(5) In den USA würde man eine
Selbstmordattentäter niemals heroisieren: „Wir präsentieren ihre Kinder
nicht vor den Fernsehkameras, damit andere Kinder sie um ihre toten Eltern
beneiden. Das finden wir anstößig, es lässt uns erschauern. Wir finden es
absolut abscheulich.“ Und in einem weiteren Artikel merkte Cohen an:
„Vielleicht hängen wir einfach zu sehr am Leben.“(6)
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Die Bereitschaft zum Sterben im Kampf und die Glorifizierung dieses
Sterbens ist also „anstößig“, ja „abscheulich“. Das vertraute Idol vom
soldatischen Opfertod ist jäh von seinem Sockel gestürzt, ist zum
Schreckgespenst schlechthin geworden, zum schlimmsten aller moralischen
Übel. Dieser unverständlichen und schändlichen Selbstopferung, umstandslos
interpretiert als Geringschätzung des Lebens – ohne zu bedenken, dass sie
vielleicht eher von einer Verachtung des Todes zeugt –, stellen wir eine
Ethik der Liebe zum Leben entgegen. Ihren ultimativen Ausdruck findet diese
Liebe zum Leben zweifellos in der Drohne.
Zwar räumen wir, um die Koketterie auf die Spitze zu treiben, zuweilen ein,
dass uns das Leben vielleicht allzu lieb ist, dass wir es zu sehr
„bewahren“ wollen. Dabei wäre ein bisschen zu viel an Liebe gewiss
entschuldbar, wenn so viel Selbstgefälligkeit nicht den Verdacht der
Eigenliebe nahelegen würde. Denn es ist ja „unser“ Leben, an dem wir
hängen, und nicht das Leben ganz allgemein. Wenn ein amerikanischer
Kamikaze unvorstellbar ist, ein weißer Fleck auf der Landkarte des
Denkbaren, liegt dies daran, dass er ein Oxymoron darstellt. Bei uns kann
sich das Leben nicht selbst negieren. Es kann nur das Leben anderer
negieren.
Als Ejad El-Sarraj, Direktor eines Programms für geistige Gesundheit in
Gaza, von einem Journalisten gefragt wurde, „ob es stimmt, dass für die
Palästinenser ein Menschenleben nicht zählt, nicht einmal das eines
Verwandten“, lautete seine Antwort: „Wie können Sie an ihre eigene
Menschlichkeit glauben, wenn Sie nicht an die Menschlichkeit ihres Feindes
glauben?“(7)
##
Warum soll es weniger schrecklich sein, wenn jemand beim Töten das eigene
Leben aufs Spiel setzt, wenn er das Schicksal seiner Opfer teilt? Warum
soll eine Waffe, die es erlaubt, völlig risikofrei zu töten, weniger
abscheulich sein als ihr Gegenteil? Die feministische
Literaturwissenschaftlerin Jacqueline Rose fragt zu Recht, warum das
Abwerfen von Streubomben in den Augen des Westens nicht nur als weniger
grausam gilt, sondern sogar als moralisch überlegen: „Es ist nicht klar
begründbar, warum es als größte Sünde gelten soll, zusammen mit dem Opfer
zu sterben, als sich beim Akt des Tötens selbst zu verschonen.“(8)
Ähnlich sieht es der Ethnologe Hugh Gusterson: „Würde uns ein Ethnologe vom
Mars besuchen, könnte er feststellen, dass viele Menschen im Nahen Osten
die US-Drohnenangriffe genauso empfinden wie Richard Cohen die
Selbstmordanschläge. Für sie sind die Drohnenangriffe einfach feige, weil
der Pilot in einem gesicherten und klimatisierten Raum in Nevada sitzend
Menschen tötet ohne das geringste Risiko, jemals von den Angegriffenen
getötet zu werden.“(9)
Der in Pakistan aufgewachsene und in New York lehrende Ethnologe Talal Asad
meint, dass das durch Selbstmordattentate ausgelöste Entsetzen in den
westlichen Gesellschaften daher rührt, dass sich der Täter durch seinen Akt
von vornherein einer strafrechtlichen Verfolgung entzieht. Indem er
zusammen mit seinem Opfer stirbt, verschmelzen Schuld und Sühne zu einem
einzigen Akt. Damit macht er eine Bestrafung unmöglich und setzt den
Grundmechanismus eines auf Strafe basierenden Justizsystems außer Kraft: Er
wird niemals für seine Tat „bezahlen“ können.
Das Entsetzen, das ein durch unbemannte Maschinen herbeigeführter Tod
auslöst, hat damit durchaus Ähnlichkeit: „Der Drohnenpilot“, sagt
Gusterson, „ist auch deshalb ein Spiegelbild des Selbstmordattentäters,
weil er ebenfalls vom paradigmatischen Bild der Kämpfers abweicht,
wenngleich in die entgegengesetzte Richtung.“(10 )
Fußnoten:
(1) Walter Benjamin, „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit“, Gesammelte Schriften VII, Frankfurt am Main (Suhrkamp)
1989, S. 359.
(2) Benjamin, siehe Anmerkung 1.
(3) „Für mich ist der Roboter unsere Antwort auf das Selbstmord-Attentat“.
Bart Everett, Direktor des Space and Naval Warfare Systems Command (Spawar)
in San Diego, zitiert bei: Peter W. Singer, „Wired For War: The Robotics
Revolution and Conflict in the 21st Century“, New York (Penguin) 2009.
(4) Vladimir K. Zworykin, „Flying Torpedo with an Electric Eye“, 1934, in:
Arthur F. Van Dyck, Robert S. Burnap, Edward T. Dickey und George M. K.
Baker (Hg.), „Television“, IV, Princeton (RCA) 1947.
(5) Richard Cohen, „Obama needs more than personality to win in
Afghanistan“, "The Washington Post, 6. Oktober 2009.
(6) Richard Cohen, „Is the Afghanistan surge worth the lives that will be
lost?“, "The Washington Post, 8. Dezember 2009.
(7) „Suicide bombers: dignity, despair and the need for hope. Inteview with
Eyad El Sarraj“, "Journal of Palestine Studies, Bd. 31, Nr. 4, Sommer 2002.
Zitiert bei Jacqueline Rose, „Deadly embrace“, "The London Review of Books,
4. November 2004.
(8) Rose, siehe Anmerkung 7.
(9) Hugh Gusterson, „An American suicide bomber?“, Bulletin of the Atomic
Scientists, 20. Januar 2010: [1][www.thebulletin.org]. (10) Gusterson,
siehe Anmerkung 9.
Aus dem Französischen von Jakob Horst
[2][Le Monde diplomatique] vom 12.4.2013
14 Apr 2013
## LINKS
[1] http://www.thebulletin.org/
[2] http://www.monde-diplomatique.de
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