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# taz.de -- Sachbuch „Alles nur Konsum“: Die Macht der Metapher
> Wolfgang Ullrich liefert in seinem neuen Band eine originelle „Kritik der
> warenästhetischen Erziehung“. Er betrachtet Konsumgüter als
> Zeichensysteme.
Bild: Seit Anfang der 90er Jahre Opfer einer „Metaphorisierungs- und Inszenie…
Dank Wolfgang Ullrich weiß ich endlich, warum die Warnungen vor dem
sogenannten Schlankheitswahn so erfolgreich sind. Während meiner täglichen
U-Bahn-Fahrten sehe ich schlanke Mädchen eher selten, dafür eine Menge
stämmiger 18-Jähriger, die ich leicht auf 80 Kilo schätze. Offenbar wollen
sie nicht verdächtigt werden, einem Wahn zu frönen, und treffen dagegen
schwerwiegende Vorkehrungen.
Wie wirkmächtig Sprachbilder sein können, darüber klärt Wolfgang Ullrichs
neueste Publikation im Wagenbach Verlag auf. „[1][Alles nur Konsum. Kritik
der warenästhetischen Erziehung]“ hat, das soll hier nicht unter den Tisch
fallen, einen ihrer Vorläufer in Ullrichs Kolumne „Warenkunde“, die
zwischen 2006 und 2009 im Kulturteil dieser Zeitung zu finden war.
Wer die Kolumne verfolgt hat, weiß, dass hier nicht der Old School von
Wolfgang [2][Fritz Haugs „Kritik der Warenästhetik“] und auch nicht deren
modernisierter „No Logo“-Fassung von [3][Naomi Klein] gehuldigt wurde.
[4][Wolfgang Ullrich], der Professor für Kunstwissenschaft und
Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe ist, betrachtet
Konsumgüter als mehr oder weniger komplexe Zeichen- und
Kommunikationssysteme, die genussvoll, nutzreich und kritisch zu entziffern
eine Kulturtechnik ist wie das Lesen von Romanen.
Originell und lesenswert zeigt Ulrich dabei die Möglichkeiten auf, die dem
Bildungsbürger als Konsumbürger erwachsen. Sofern eine adäquate
warenästhetische Erziehung den Ansprüchen genügt, die sich stellen, seit
Anfang der 90er Jahre gerade alltägliche Produkte wie Duschgel,
Mineralwasser oder Kochsalz von einer „Metaphorisierungs- und
Inszenierungswelle erfasst und einem Redesign unterzogen“ wurden.
## Raffiniertes Sounddesign
Also freuen wir uns mit Wolfgang Ullrich zunächst über das raffinierte
Sounddesign verschiedener Verschlusskappen, das uns einmal wohliges
Entspannen und das andere Mal energiegeladene Aktivität verheißt. Und
verblüfft erfahren wir im Kapitel „Metaphernethik“, wo die Gefahren des
Marketing wirklich liegen. Dessen großes Narrativ geht nun so, dass der
Konsument zunächst für ein Problem sensibilisiert wird, damit ihm dann das
Produkt als Lösung angeboten werden kann.
Vertrackt ist dabei nur, dass die „gerade auch vom Marketing erzeugten
Ängste vor Erschöpfung … bei vielen zu dem Gefühl beitragen, unter
Energiearmut und Überbeanspruchung zu leiden“. Analog vermute ich, dass das
Erschrecken vor dem Minderheitenproblem Schlankheitswahn die Mehrheit fett
macht.
Dass die altbekannte Konsumkritik mit ebendemselben Versprechen, vom Elend
zur Erlösung zu führen, arbeitet, ist eine hübsche Volte. So erklärt sich
auch, warum uns vor allem die Verwerflichkeit unseres Tuns nachhängt. Etwa,
dass wir unseren Konsum nicht einfach nur mehr Moden unterwerfen, sondern
schon Situationen.
Situativ aber erzwingt das eine Produkt geradezu das nächste: der
Nachmittag den Tee und der Tee dann die Kekse, um erst einmal vom
Porzellan, der Musik, dem Licht et cetera zu schweigen – und einen kleinen
Schlenker zum Buchdesign von „Alles nur Konsum“ zu machen. Jedes Kapitel
leitet das Foto eines Bücherregals ein, in dem die Produkte und Bücher zu
sehen sind, um die es im Folgenden geht. Als Running Gag, der sich durch
sämtliche Aufnahmen zieht, fällt dabei ein Becher in der Größe extra large
mit „Non Stop“-Cookies auf.
## Hinreißend analysiert
So sieht das Böse schlechthin aus. Dagegen helfen nur Manufaktum und „die
guten Dinge“, die es dank der Mönche von der Abtei St. Severin und ihrem
Haarshampoo noch immer gibt. Mit dessen Flaschendesign kommen dann, wie
Ullrich hinreißend analysiert, christliche Strafpredigt, Höllenangst und
Erlösung ebenso umstandslos wie sprechend in die säkulare Warenwelt.
In der Hölle schmoren wie seit je die Armen. Zwar konsumieren sie durchaus,
was ihnen gerne entgegengehalten wird: vor allem die „Non Stop“-Cookies,
die sie so dick machen. Wirklich schwer wiegt aber, dass sie sich in Zeiten
der Markenreligion mit Billigprodukten und Kopien abspeisen lassen müssen
und so ihr Seelenheil verfehlen.
Ganz sicher ist es nicht Wolfgang Ullrichs These, dass gerade unser bewusst
nachhaltiger und politisch korrekter Konsum ein einziger Ablasshandel ist.
Aber ein bisschen trickst er sich schon aus, mit seinen klugen und
aufmerksamen Analysen zur Sophistication der Warenwelt. Denn am Ende sind
wir über unsere Konsumentenexistenz mehr aufgeklärt, als uns und vielleicht
auch ihm lieb ist.
## Wolfgang Ullrich: „Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen
Erziehung“. Wagenbach Verlag, Berlin 2013. 205 Seiten, 11,90 Euro; Lesung
7. 5. Stadtbibliothek Esslingen, 19.30 Uhr
27 Apr 2013
## LINKS
[1] http://www.wagenbach.de/buecher/titel/896-alles-nur-konsum.html
[2] /1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/
[3] /!6173/
[4] http://www.hfg-karlsruhe.de/lehrende/professoren/prof-dr-wolfgang-ullrich.h…
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Konsumkritik
Sachbuch
Kindesmissbrauch
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