# taz.de -- Der Panamakanal: Auf dem Canal Grande | |
> Er ist das Tor zwischen den beiden größten Meeren der Erde und neben dem | |
> Suezkanal die wichtigste künstliche Wasserstraße der Welt. | |
Bild: Puente de las Americas: Die Nord-Süd-Verbindung über den Panamakanal. | |
Amador Causeway, im Südwesten von Panama-Stadt: Hier, am Pazifischen Ozean | |
gleich hinter der Landzunge mit seinen Traumstränden, beginnt die | |
berühmteste Wasserstraße der Welt. An dieser engen Stelle muss jedes Schiff | |
vorbei, wenn es in den Panamakanal einlaufen will. | |
Links geht der Blick auf die historische Altstadt mit ihren prachtvollen | |
Kolonialgebäuden und den schimmernden Wolkenkratzern aus Glas und Stahl im | |
boomenden Finanzviertel dahinter. Rechts warten Tanker, Containerschiffe | |
und Kreuzfahrer darauf, in das Schleusensystem einfahren zu dürfen. | |
Es ist heiß und schwül. Wir sind unterwegs entlang des Panamakanals. Er | |
verbindet Pazifik und Atlantik. Dazwischen liegen 80 Kilometer dampfender | |
Urwald und Mangrovensümpfe, Seen und Schleusen. 40 Schiffe am Tag, 14.000 | |
pro Jahr, eine Milliarde Dollar Passagegebühren. | |
„Der Panamakanal ist ein Nationalheiligtum“, erklärt José Miguel Guerra. … | |
Panama schätzt man den Radio- und Fernsehjournalisten als eine unabhängige | |
Stimme mit publizistischem Gewicht: „Weder Regierung noch Opposition | |
stellen ihn in Frage, denn der Kanal bringt eine Menge Geld in unser Land.“ | |
Monate im Voraus buchen die großen Reedereien die Durchfahrt ihrer Tanker, | |
Containerschiffe und Autotransporter. Große Frachter werden nur einmal | |
täglich im Konvoi vom Pazifik in den Atlantik geschleust – und umgekehrt. | |
## Die Nord-Süd-Verbindung | |
Gleich am Anfang des Kanals überspannt die elegante, 1,6 Kilometer lange | |
„Brücke der beiden Amerikas“ die Wasserstraße. Von hier hat man nicht nur | |
einen herrlichen Blick auf den Kanal. Die Brücke verbindet die Hauptstadt | |
Panama-Stadt mit dem westlichen Teil des Landes. Bis 2004 war die Puente de | |
las Américas als Teil der Panamericana die einzige feste Straßenverbindung | |
über dem Panamakanal und damit zwischen Nord- und Südamerika, zwischen | |
Alaska und Patagonien. Jahrelang galt sie als eine der längsten und größten | |
Brücken der Welt. Mit einer Höhe von 118 Meter überragt das Stahlbauwerk | |
sogar St. Pauls Cathedral in London. | |
Weiter geht es auf dem Kanal per Schiff. Cristóbal Ruiz ist Kapitän, seit | |
15 Jahren arbeitet er für die ACI – die Autoridad del Canal. Heute ist Ruiz | |
auf einem der über 30 bullig-blauen, 4.800 PS-starken Schlepper unterwegs | |
zu einem Kreuzfahrtschiff. | |
## Das achte Weltwunder | |
An Bord des Ozeanriesen klicken Fotoapparate, summen Camcorder, blitzen | |
Ferngläser. Die Touristen auf dem Kreuzfahrtschiff nutzen die acht Stunden | |
Durchfahrtszeit, um das achte Weltwunder für die Sofafotoshow zu Hause | |
festzuhalten. | |
Lotsen klettern an Bord und übernehmen das Kommando – begleitet von | |
Cristóbal und einem weiteren Schlepperkapitän: „Wir fahren zuerst in die | |
Miraflores-, dann in die Pedro-Miguel-Schleuse. Danach geht es durch den | |
sogenannten Gaillard Cut, eine enge Passage, die nur als Einbahnstraße | |
genutzt werden kann. Dann kommt die Gatún-Schleuse und danach haben wir | |
fast schon die Karibik erreicht. “ | |
Als wir die Miraflores-Schleuse erreichen, öffnen sich langsam die | |
mächtigen, tonnenschweren Schleusentore aus US-amerikanischem Stahl – | |
angetrieben von lächerlich kleinen 44-PS-Motoren. Seit 1914 ist die Anlage | |
schon im Einsatz. Neben der Schleuse hat man ein Besucherzentrum mit Museum | |
eingerichtet. | |
## Gescheitert in Panama | |
Im Innern des Prachtbaus kann man sich über die Geschichte des Kanals | |
informieren. Dazu gibt es einen patriotischen Werbefilm der | |
Kanalgesellschaft. Sogar auf Deutsch wird den Touristen erzählt, wie sich | |
Ende des 19. Jahrhunderts zunächst der Franzose Ferdinand de Lesseps am | |
Kanalbau versuchte – und dabei scheiterte, die 26 Meter Höhenunterschied | |
zwischen Atlantik und Pazifik mit Schleusen auszugleichen. | |
Tausende Arbeiter starben an Malaria, die Kosten explodierten. 1889 gab die | |
von Lesseps gegründete Panama-Gesellschaft auf. 1903 besetzten die USA das | |
Kanal-Territorium, das zu jener Zeit zu Kolumbien gehörte, riefen den Staat | |
Panama aus und übernahmen den Bau zum Spottpreis von damals 40 Millionen | |
Dollar. 1914 wurde der Kanal schließlich eröffnet. | |
Bis 1999 sicherten sich die Vereinigten Staaten ein Interventionsrecht und | |
damit praktisch die Kontrolle über die Kanalzone. 1977 besiegelte Panamas | |
Militärgeneral Omar Torrijos mit US-Präsident Jimmy Carter die | |
termingerechte vollständige Rückgabe des Kanals, der seit 2000 wieder zu | |
Panama gehört. Seit 2007 wird der Kanal für über fünf Milliarden Dollar | |
ausgebaut und erweitert. | |
## Züge befördern die Ozeanriesen | |
Inzwischen hat der Kreuzfahrer seine Motoren abgestellt, Kanalarbeiter | |
befestigen Schlepptaue zwischen Schiff und vier kleinen Lokomotiven. Denn | |
in die Schleuse wird jedes Schiff von Zügen gezogen, sogenannten Mulis, die | |
den Ozeanriesen an Stahltrossen in die Schleusenkammer manövrieren. Die | |
Lokführer folgen den Anweisungen der Lotsen. | |
Tatenlos schaut die Besatzung der Präzisionsarbeit von Lotsen, | |
Schleusenmeister, Schlepperkapitän und den Besatzungen der Elektroloks zu, | |
wie ihr Schiff Stück für Stück durch die Schleuse gezogen wird. | |
Doch für viele neue Ozeandampfer ist die Passage im alten Panamakanal nicht | |
mehr möglich. Die Schiffe der sogenannten Postpanamax-Klasse – also mehr | |
als 34 Meter breite Supertanker und Containerriesen – passen nicht mehr in | |
die Schleusen, erklärt Carlo Belis. Der Mittfünfziger arbeitet im | |
Besucherzentrum des Panamakanals. | |
## Größere Schleusen | |
„Die neuen Schleusen werden daher 40 Prozent länger und 60 Prozent breiter | |
als die alten. Wir werden dann Frachtschiffe mit bis zu 12.600 Containern | |
abfertigen können. Derzeit schaffen wir nur Schiffe bis zu 5.000 | |
Containern.“ Nachdem sich hinter dem Kreuzfahrer in der Schleusenkammer die | |
Tore geschlossen haben, werden Ventile geöffnet, Wasser läuft ein und | |
bringt das Schiff auf die Höhe des Wasserstandes der zweiten Kammer. Dann | |
wird das Schleusentor geöffnet und die Lokomotiven ziehen das Schiff dort | |
hinein. | |
Die niedrigste je registrierte Passagegebühr zahlte 1928 der US-Journalist | |
Richard Halliburton: 36 Cent musste er berappen, um den Kanal als erster | |
Mensch zu durchschwimmen. 10 Tage brauchte er dafür. Heute ist das | |
verboten. Für ein Containerschiff der größten Klasse betragen die Gebühren | |
derzeit 240.000 Dollar. | |
Wegen der wirtschaftlichen und politischen Stabilität fließt viel Geld aus | |
südlichen Nachbarstaaten nach Panama: oft zweifelhafter Herkunft, denn das | |
kleine Land gilt als blühende Steueroase. Aber auch im Tourismus geht es | |
aufwärts. Rundreisen werden immer beliebter und machen dem Nachbarn Costa | |
Rica Konkurrenz. Auch bei den Deutschen steht ein Ausflug auf dem Kanal | |
ganz oben auf der Besichtigungsliste. | |
## Eine Fahrt am Kanalufer entlang | |
Mit dem Taxi fahren wir zurück nach Panama City. 10 Minuten später sind wir | |
im Stadtteil Balboa. Hier hat die Panama Canal Railway Company ihren | |
Bahnhof. Von hier kann man mit dem Zug bis nach Colón auf der karibischen | |
Seite fahren. Die Gleise folgen den Spuren von Vasco Nuñez de Balboa, der | |
Anfang des 16. Jahrhunderts von der Atlantikküste aus den Marsch in | |
Ungewisse wagte und 25 Tage später den Pazifik erreichte. Heute dauert die | |
gemütliche Fahrt gerade einmal eine gute Stunde, und fast immer geht es | |
direkt am Kanalufer entlang. | |
1855 wurde die Zugstrecke entlang des Panamakanals erbaut, als erste | |
transkontinentale Route auf dem amerikanischen Kontinent. Seit 2001 ist die | |
Strecke für Touristen geöffnet. Der Zug ist eine Reminiszenz an die goldene | |
Ära der Eisenbahn: große Panoramafenster, Teppiche auf den Fußböden, | |
getäfelte Decken und Wände, im Touristenwaggon wird gratis Kaffee | |
ausgeschenkt; jeder Waggon hat eine offene Plattform, auf der man als | |
Reisender im Fahrtwind steht. | |
## Mit dem Zug durch den Regenwald | |
Es ist ein herrliches Schauspiel, wenn sich der Zug durch dichten Regenwald | |
zu schlängeln beginnt. Dann sieht es vom Zug manchmal so aus, als wären die | |
Frachter irrtümlich im Wald gestrandet und versuchten nun hartnäckig, sich | |
durch den Dschungel zu pflügen. Es gibt keinen freien Uferstreifen, die | |
Pflanzen greifen direkt ins Wasser. Und weil der Kanal durch natürliche | |
Seen und Flüsse verläuft, öffnen sich neben der Schifffahrtsstraße Lagunen | |
und Seitenarme, die in den Regenwald hineinragen, ohne befahren zu werden. | |
Bei der Hälfte der Strecke verbreitert sich die Wasserstraße dann | |
allerdings allmählich zum Lago de Gatún, einem der größten, künstlich | |
geschaffenen Seen der Welt. Heute ist er ein Naturschutzgebiet und gilt als | |
tropisches Paradies für Vögel, Schlangen und Tapire. | |
Je weiter wir uns von der Hauptstadt Panama City entfernen, desto wilder | |
präsentiert sich die Umgebung. Lebensader für dieses so artenreiche Biotop | |
ist der Río Chagres, der den Kanal mit Wasser versorgt. Kritiker sehen | |
diese außergewöhnliche Naturlandschaft in Gefahr. Aufgeschreckt von | |
Dynamitsprengungen, mit denen die Kurven des Kanals begradigt und erweitert | |
werden, hat die Kanalgesellschaft Faultiere, Schildkröten und Krokodile | |
zusammen mit anderen Tierarten vorsorglich umsiedeln lassen. Panama und | |
seine Randzonen am Kanal gehören zu den artenreichsten Gebieten der Welt. | |
## Rund 2.300 Baumarten | |
„Ich gebe Ihnen dafür nur ein Beispiel“, erklärt uns der Direktor des neu… | |
Museums für Biodiversität in Panama-City, Líder Sucre. „Es gibt allein | |
2.300 Baumarten. Die USA und Kanada kommen zusammen gerade einmal auf | |
1.000. Ähnliches gilt für Insekten und Schmetterlinge, Vögel und | |
Orchideen.“ | |
2006 gab es viele Stimmen gegen die Kanalerweiterung. Vor allem die | |
Gewerkschaften kritisierten das Projekt. Die Entscheidungsprozesse der | |
Politik verliefen nicht demokratisch. Mittlerweile sei das besser geworden, | |
sagt der Journalist José Miguel Guerra. | |
„Von Anfang an hatte der Durchschnitts-Panamaer keinen Zugang zu | |
Information. Alles, was mit der Erweiterung des Kanals zu tun hatte, wurde | |
sehr geheim behandelt.“ Was der Ausbau wirklich kostet, das sei bis heute | |
nicht klar. | |
## Umweltsorgen und Wasserverschwendung | |
Neben der unzureichenden Informationspolitik gibt es weitere Kritikpunkte: | |
Zum Beispiel die Wasserverschwendung. 200 Millionen Liter Wasser sind | |
allein für den Schleusengang eines Schiffes notwendig – Süßwasser, was | |
derzeit ins Meer fließt und in etwa der Menge entspricht, die München an | |
einem Tag benötigt. | |
Außerdem werde durch die Schleusen das ökologische Gleichgewicht gefährdet. | |
Das durch die Schleusen eindringende atlantische Salzwasser könne die | |
Artenvielfalt beeinflussen, aber auch die Trinkwasserqualität. Museumsmann | |
Lider Sucre gibt dagegen Entwarnung in einer anderen Frage. | |
## Artenaustausch befürchtet | |
Den Umwelteinfluss durch Abholzung von Bäumen kann man nahezu | |
vernachlässigen. Circa 500 Hektar Sekundärwald, der nach dem ersten | |
Kanalbau gepflanzt wurde und keine große Artenvielfalt aufwies, musste | |
jetzt gerodet werden. Wichtig ist, dass er im Einzugsgebiet des | |
Kanalwassers wieder aufgeforstet wird. | |
Die große Sorge beim Kanalausbau ist, dass der Artenaustausch zwischen | |
Karibik und Pazifik ungehindert stattfindet. Die Öffentlichkeit sei sich | |
des Problems überhaupt nicht bewusst, welche Desaster für die Tierwelt | |
entstehen könnten, wenn sich das Wasser der beiden Ozeane vermischen würde. | |
Der Regenwald spiegelt sich in der Morgensonne auf der stillen | |
Wasseroberfläche, als der Zug auf seinen letzten Kilometern auf einem | |
künstlichen Damm entlang fährt und sich seinem Ziel an der Karibikküste | |
nähert. Am Ende der Zugstrecke liegt die Hafenstadt Colón, wo auch der | |
Kanal auf der Atlantikseite endet und die Schiffe in den Gatún-Schleusen | |
wieder zurück auf Meeresniveau gesenkt werden. | |
## Goldrush in Kalifornien | |
Als die Eisenbahn im Jahr 1855 eröffnet wurde, war hier mehr los. Große | |
Passagierdampfer kamen damals täglich von der Ostküste der USA und spuckten | |
Tausende Abenteurer an Land, die in Colón in den Zug stiegen, um zum | |
Pazifik zu gelangen. Das Gold Kaliforniens lockte und die Schiffsreise über | |
Panama war um einiges bequemer und sicherer, als die USA auf dem Landweg zu | |
durchqueren. Die Hafenstadt Colón boomte über Nacht. | |
Heute sieht man überall verfallene Straßenzüge. Viele Menschen, vor allem | |
Farbige, verdienen gerade einmal zwei Dollar am Tag, soziale Absicherung | |
kennen die wenigsten. Dabei bietet Colón eine Menge Möglichkeiten. Die | |
Stadt hat einen der größten Freihäfen der Erde. Vor Colón liegen | |
Containerschiffe auf Reede. Von hier fahren die Kreuzfahrtschiffe ab. | |
Kapitän Cristóbal Ruiz hat den Kreuzfahrer inzwischen vom Haken genommen, | |
der Lotse verabschiedet sich und geht von Bord. Das Schiff passiert die | |
Wellenbrecher am Ausgang der Bucht. Der Himmel leuchtet im ewigen Blau der | |
Karibik. Es ist Abend geworden. Auf dem Panamakanal geht der Schiffsverkehr | |
weiter – unaufhörlich, Tag und Nacht. | |
20 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Marek | |
Sven Weniger | |
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