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# taz.de -- Snooker-WM mit Ronnie O'Sullivan: Die unstete Rakete
> Vom Schweinestall an den Snookertisch: Nach langer Pause samt
> Bauern–Praktikum versucht Weltmeister Ronnie O'Sullivan seinen Titel zu
> verteidigen.
Bild: Im Tunnelmodus: Ronnie O'Sullivan bei einem Turnier im Jahr 2012.
Er ist wieder da. Die Präzisionsmaschine. Der Zweifler und Verzweifelte.
Der Schnellste von allen, Spitzname „The Rocket“. Manche nennen ihn
[1][einen „Snooker-Gott“]. Andere haben nichts als Verachtung für ihn
übrig.
Pünktlich zur Snooker-Weltmeisterschaft hat der Titelverteidiger Ronnie
O'Sullivan seine Auszeit beendet. Ohne größere Vorbereitung besiegte er in
der ersten Runde im Crucible Theatre in Sheffield den Schotten Marcus
Campbell mit 10:4.
Ohne größere Vorbereitung heißt: Seit Oktober hat der „Spieler des Jahres
2012“ an keinem Turnier mehr teilgenommen, gerade mal, wie er auf einer
Pressekonferenz im Februar sagte, an „zehn Tagen in neun Monaten“ überhaupt
Snooker gespielt, sich stattdessen ins Privatleben zurückgezogen und ein
Praktikum auf einem Bauernhof absolviert.
Mistgabel statt Queue, Schweinestall statt Snookertisch, aber auch:
Abwechslung von immer gleichen Trainings- und Spielroutinen. [2][In der
Weltrangliste] ist O'Sullivan, der dieses Ranking zwischen 2002 und 2010
dreimal dominierte, auf Platz 28 abgerutscht. [3][Für Sheffield
qualifizieren] musste er sich trotzdem nicht. Als Titelverteidiger ist er
gesetzt.
## Alle Bewegungen flüssig
Gespannt warteten Fans und Gegner also auf das erste Spiel O'Sullivans
gegen Campbell. Würde der Freizeitbauer gleich in der ersten Runde
ausscheiden, sich gar blamieren? Oder triumphierte er nun, den Kopf dank
der Auszeit frei, wieder so wie in seinen besten Zeiten, den nuller Jahren?
Weder noch.
Der Brite spielte so wie immer, teils fahrig und mit haarsträubenden
Fehlern und Fouls, teils genial. Die Anfangsphase des Spiels verlief
ausgeglichen, beide Spieler ließen Chancen ungenutzt oder verstellten sich
den Spielball.
Dann fand O'Sullivan schnell zu dem Spiel zurück, das ihn unverwechselbar
macht und, wie viele immer noch irrtümlich behaupten, ihm den Namen „The
Rocket“ einbrachte (den er ursprünglich wegen seines raketenhaften
Aufstiegs in den Neunzigern in die Weltspitze erhielt): eine Art
kontrolliertes Berserkertum, hohes Tempo, jeder Ball passt, jeder Anschluss
im Spiel auch, der Blick aufs Tischgeschehen ist souverän, alle Bewegungen
sind flüssig.
## „The Rocket“ im Tunnelmodus
O'Sullivan im Tunnelmodus. Die Welt schrumpft auf 3 Meter 55 mal 1 Meter 77
zusammen – die Abmessungen des Tisches, die minimal variieren dürfen. Jeder
Winkel stimmt, jeder Effet auch, perfekt eingesetzte Kraft,
Rot-Farbe-Rot-Farbe-Rot-Farbe. „Es sieht so aus, als sei er nie weg
gewesen“, kommentierte die in der Snooker-Berichterstattung mehr als nur
versierte BBC das Auftaktspiel.
„The Rocket“ im Tunnelmodus – das ist es, was seine Gegner am meisten
fürchten. Dann passiert, was auch hüftsteife Abwehrspieler im Profifußball
oft erleben, alles ganz von selbst und man kann nichts dagegen tun. Im
Snooker kommt das am besten bei einem sogenannten Maximum Break zum
Ausdruck.
Das bedeutet, ein Spieler räumt den Tisch nicht nur in einer einzigen
Aufnahme ab, sondern er erzielt die maximale Punktzahl: 147. Das geht nur,
wenn nach jeder versenkten roten Kugel anschließend die Schwarze gelocht
wird und im Endspiel auch noch alle Farben der Reihe nach in die Taschen
fallen. Der Weltrekord für ein Maximum Break liegt bei [4][5 Minuten und 20
Sekunden], gehalten wird er von Ronnie O'Sullivan.
## Der andere O'Sullivan
[5][Viele Weltklassespieler haben Maximum Breaks gespielt,] aber außer
Stephen Hendry hat niemand so viele geschafft wie O'Sullivan. In den
Tunnelmodus verfallen auch andere, doch keiner strahlt jene dynamische
Perfektion aus, die O'Sullivan dann zu eigen ist und die ihn zu
Höchstleistungen antreibt, die zeigen, dass Snooker zwar noch etwas mit
Billard zu tun hat, sich aber auch unendlich weit emanzipiert hat.
Es gibt einen anderen O'Sullivan, einen der in der ersten Runde eines
Turniers scheitert, dem nichts glückt, der resigniert oder zutiefst
depressiv und gesenkten Hauptes zwischen zwei Spielrunden in den Pausenraum
verschwindet. Seine Familiengeschichte ist düster, Vater und Mutter haben
reichlich Knasterfahrung, es gab Handgreiflichkeiten mit der Presse,
Alkoholprobleme, eine positive Dopingprobe (Cannabis) samt
Disqualifikation, eine stationäre Suchtbehandlung.
Der Rechtshänder spielte des Öfteren mit links, ein Gegner erkannte darin
mangelnden Respekt und verweigerte den Handschlag. O'Sullivan hingegen
betonte, nur mit links gespielt zu haben, um sich selbst zu mehr
Konzentration zu zwingen.
## Neue Snooker-Generation
Die Ära der Skandale ist lange vorbei, geblieben ist das unstete Spiel
O'Sullivans. Auf Turniersiege folgen unterirdische Auftritte und umgekehrt.
Nicht nur in der Konstanz, auch was Nervenstärke, Geduld und Fitness
angeht, scheint der 38-Jährige der derzeit die Weltrangliste dominierenden
Generation jüngerer Snookerspieler – allen voran [6][Mark Selby (29)], der
auch in Sheffield als Titelfavorit gilt – hoffnungslos unterlegen.
Selby galt über Jahre als Antipode O'Sullivans, kaum jemand ließ sich vor
schwierigen Stößen so viel Zeit wie er, vermied Risiken, spielte auf
Sicherheit. „Ich weiß nicht, ob Mark Talent hat“, sagte O'Sullivan im Jahr
2010 über Selby, „sein Spiel ist negativ und langweilig. Der versucht
keinen Ball, außer er fällt sicher.“ Doch Selbys Spiel hat sich seither
verändert. Zur passiven Spielweise sind aggressive Phasen hinzugekommen.
Sein Auftaktspiel im Crucible Theater gewann er gegen Matthew Selt mit
10:4.
Selby gibt nie auf, egal wie hoch der Rückstand ist. Das musste auch
O'Sullivan schmerzhaft erfahren, als beide Spieler im Januar 2010 im
„Masters“-Finale in London aufeinandertrafen. „The Rocket“ spielte eines
seiner besten Turniere und führte im Finale mehrfach: mit 4:1, 5:3 und
schließlich 9:6. Doch Selby resignierte nicht, auch dann nicht, als
O'Sullivan beim Stand von 9:8 nur noch fünf Bälle vom Sieg entfernt war und
eine einfach zu spielende Grüne verschoss. Selby gewann dieses „epische
Finale“ (BBC) mit 10:9 und die Stimmen häuften sich, die meinten, die Zeit
von „The Rocket“ sei nun endgültig vorbei.
## Volles Risiko auch im Finale
Weit gefehlt. Bei der Weltmeisterschaft 2012 war O'Sullivan wieder da. Im
Achtelfinale besiegte er den Waliser Mark Williams deutlich, im
Viertelfinale den Australier Neil Robertson knapp – beide galten vor dem
Spiel als Favoriten. Im Finale traf er auf Ali Carter, gewann mit 18:11 und
wurde zum vierten Mal Weltmeister.
Es gibt eine Szene aus diesem Finale, die das unbedingte Offensivspiel
O'Sullivans verdeutlicht. [7][Es steht nach Frames 3:3, O'Sullivan führt im
siebten Frame mit 38:0], es sind noch sechs rote sowie alle farbigen Kugeln
auf dem Tisch. Doch die Roten liegen alle nahe der Bande. Nur mit großer
Mühe ließen sich eine oder zwei von ihnen spielen.
Neun von zehn Spielern wählten in diesem Fall eine Safety, eine sichere
Ablage, die den Gegner zu Fehlern zwingen soll. Doch O'Sullivan greift an
und spielt mit unfassbarer Präzision Kugel um Kugel, eine schwieriger als
die andere. Zweimal ist Glück im Spiel, doch alles andere ist exakt so
gewollt. Könnte die Physik sich verbeugen, sie hätte es an jenem Tag getan
– tief und lang. So riskant hat vorher und seither niemand mehr im Finale
einer Weltmeisterschaft gespielt.
Ab Samstag nachmittag steht O'Sullivan im Crucible Theatre in Sheffield
erneut im Achtelfinale. Der Gegner heißt wieder Ali Carter.
26 Apr 2013
## LINKS
[1] http://www.guardian.co.uk/sport/gallery/2013/apr/20/ronnie-o-sullivan-world…
[2] http://www.cajt.pwp.blueyonder.co.uk/No1.html
[3] http://snookerpro.de/saisons/2012-2013/snooker-wm-2013#ergebnisse
[4] http://www.youtube.com/watch?v=z_mO7s56AH8
[5] http://web.archive.org/web/20090119143019/http
[6] http://www.cuetracker.net/pages/players.php?ID=2&season=2012/2013
[7] http://www.youtube.com/watch?v=8QOhWbAnCcw
## AUTOREN
Maik Söhler
## TAGS
Snooker
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Manipulation
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