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# taz.de -- Gemeindereform in der Prignitz: Blandikow im Widerstand
> In der Prignitz sollen Dorfpfarrer abgeschafft und kleinere Orte zu einer
> Großgemeinde „zwangsfusioniert“ werden. Die Wut darüber wächst.
Bild: Wehren sich gegen die „Großgemeinde“: Pfarrer Berthold Schirge (link…
BLANDIKOW taz | Pfarrer Berthold Schirge beobachtet von einem Steg im
Garten aus, wie ein Traktor eine mächtige Scheibenegge hinter sich herzieht
und das Land umwühlt. Unter Schirges Schuhspitzen sprudelt eine Quelle, das
Wasser fließt als Rinnsal von dannen, um ein märkisches Flüsschen zu
werden. Wenn doch der Glaube auch so sprudeln würde. Die Prignitz ist eine
eher karge Landschaft, brauchbar für Roggen und Mais, weniger für den edlen
Weizen. Doch auch die Saat des Evangeliums geht nur spärlich auf.
Schirge, seit dreißig Jahren Pfarrer in und um Papenbruch, weiß das – und
müht sich redlich. Mit Erfolg. Hier, wo Berthold Schirge steht, wird es
bald wieder sprießen. Der Schaugarten Arche mit seinen biblischen Pflanzen,
den Heilkräutern, den Bäumen und dem Quellmoor lädt Christen aus Nah und
Fern zum Staunen ein. Die meist älteren Besucher steigen aus Reisebussen,
wandern die Holzstege zum Moor entlang, füttern die Esel Eddy und Mary und
stärken sich mit Kaffee und Kuchen.
Der Garten ist sicher das Glanzstück des 300-Einwohner-Dorfes. Allerdings
ist Papenbruch nur eines seiner 18 Dörfer, erzählt Schirge und steigt ins
Auto. Der 57-Jährige müsste sich in Stücke reißen, wollte er das Feld
überall so gründlich bestellen wie in seinem Wohnort. Allerdings muss er
das auch nicht, solange es Menschen gibt wie Hartwig Herm. Der 63-Jährige
wartet schon in [1][Blandikow] auf der Dorfstraße und schließt die Kirche
auf.
In den Mauern steckt noch der Winter, an den Wänden jedoch rankelt
Weinlaub. Herm erzählt beeindruckt, wie der Malermeister nach alten, fast
völlig verblassten Vorlagen die Ornamente erneuert hat. Überhaupt war die
ganze Kirche tot, verfault vom Schwamm, eine Wohnung für Spatzen und
Tauben. Gott war gestorben in Blandikow, sein Haus reif für den Abriss.
Doch nach der Wende kehrte mit viel Geld und Engagement das Leben zurück.
## Petrus von Bladikow
Hartwig Herm wurde damals zum Kirchenältesten gewählt und ist es seitdem
geblieben. Hier werden längst nicht nur Gottesdienste gefeiert. Regelmäßig
ist die Kirche bei Konzerten voll. Dass er darauf stolz ist und er der
Petrus von Blandikow ist, macht der Kirchenschlüssel klar, den Herm nicht
aus der Hand gibt. Fast wäre es 2008 dazu gekommen. Blandikow sollte mit
[2][Papenbruch] und den anderen 18 „Schirge-Dörfern“ im Zuge einer Reform
im [3][Kirchenkreis Wittstock-Ruppin] zur Gesamtkirchengemeinde
zusammengelegt werden.
Die Kreissynode hatte diese Fusion beschlossen. Der Grund: Im Nordwesten
Brandenburgs geht die Zahl der Protestanten dramatisch zurück. In acht
Jahren verlor der Kirchenkreis 25 Prozent seiner Kirchenmitglieder, nur
noch 13.500 Protestanten waren es 2011. Weniger Christen bedeuten weniger
Geld und weniger Personal.
Die neue Struktur sollte den Kirchenkreis handlungsfähiger machen, Aufgaben
bündeln, Pfarrer und Gemeindeglieder motivieren und wegführen von dem
Kleinklein kirchlichen Lebens. Der Preis: Um größere Strukturen zu
schaffen, sollten die einzelnen Dorfkirchengemeinden ihre Eigenständigkeit
aufgeben, das Berufsbild des Dorfpfarrers sollte aufgegeben und das
Ehrenamt gestärkt werden.
In Zukunft sollten Pfarrer stärker spezialisiert arbeiten. Hatte eine
Kirchengemeinde Bedenken, wurde sie von der Kirchenleitung zwar angehört,
ein Veto einlegen konnte sie nicht. Vertreter aus Blandikow fuhren zur
Anhörung.
## 25 Gemeinden
Bald darauf wurde dem Pfarramt Papenbruch eine Urkunde zugestellt: „Nach
Anhörung der Beteiligten hat die Kirchenleitung aufgrund von Artikel 12
Abs. 3 und Artikel 33 Abs. 1 der Grundordnung der [4][Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz] beschlossen“, es folgen die
Namen von 25 Kirchgemeinden, unter ihnen Papenbruch und Blandikow, und es
folgte der Beschluss, dass diese Gemeinden zugunsten einer Großgemeinde
aufhören zu existieren, Unterschrift Wolfgang Huber, Bischof, Berlin.
Die neue vereinigte Kirchengemeinde solle „Region Wittstock“ heißen.
Schlaflose Nächte habe ihm diese Sache beschert, erinnert sich Herm. „Da
kommse immer mit Zahlen, Statistiken“, erregt sich der Kirchenälteste,
drosselt sich aber sofort wieder. „Zahlen sind wichtig. Aber was soll denn
mit dem schönen Kirchengebäude werden?“ Herm weist in den Raum, blickt über
die Brille. „Verkaufen?“ Seine Worte hallen nach. „Man kann doch nicht
alles hinschmeißen, was die Urgroßeltern aufgebaut haben!“
Man muss Herm nur kurz zuhören, um zu verstehen, dass ihm die Auflösung der
eigenen Kirchengemeinde wie eine Enteignung vorkommt. Da hat man endlich
wieder eine herzeigbare Kirche, ist wieder stolz auf sein Dorf und auch auf
das, was die Hände geschafft haben. Und dann werden die Gemeinden
zusammengerührt als wär's Brötchenteig und der neuen Schrippe verpasst man
den stolzen Namen „Region“.
Und können sie dann noch mitreden, welcher Pfarrer ihnen vor die Nase
gesetzt wird? Kommt überhaupt noch jemand hierher? „Die Menschen wollen
doch was zum Anfassen, einen, der die Leute kennt!“ Herm hat bei seiner
Rede Schirge bei den Schultern gepackt und sanft geschüttelt. Schirges
Arbeit kann doch nicht der Gemeindekirchenrat ersetzen.
## Zwangsfusionierung
„Der Pastor soll die Leute besuchen. Die reden mit ihm doch anders, der ist
vertrauenswürdiger.“ Irgendwann flatterte ein Plakat am Blandikower
Gotteshaus: „Diese Kirche wehrt sich gegen die Zwangsfusionierung!“ Doch
nicht nur Blandikow, sämtliche Schirge-Gemeinden klagten gegen die Fusion −
und bekamen Recht.
Das kirchliche Verwaltungsgericht monierte einen Formverstoß. Seitdem sind
die Gemeinden wieder eigenständig. „Der liebe Gott hat und wirklich
beigestanden“, resümiert Herm. Dieser Konflikt habe die Dörfer
zusammengeschweißt. Eigentlich könnten sie doch jetzt fusionieren,
freiwillig. „Wir streiten uns nicht und wir sind eines Sinnes.“ Aber
fusionieren? „Nicht doch!“ Verstehe jemand diese Dörfler. Die
Kirchenleitung hat da jedenfalls gewisse Probleme.
Acht Kilometer nordöstlich, in Wittstock, wird der Marktplatz umgewühlt.
Neue Leitungen, neues Pflaster, Unrast liegt in der Luft. Hinter der
Marienkirche verhallt der Lärm. Dort sitzt Superintendent Matthias Puppe
vor einer großen Karte seines Kirchenkreises, in der unzählige bunte
Reißzwecken stecken, jede Reißzwecke eine Kirchengemeinde.
Puppe versucht, die Regionen zuzuordnen. Sein Finger wandert von Neuruppin
nach Wittstock, über die Autobahn nach Papenbruch und wieder zurück. Es ist
unübersichtlich bei rund 80 Kirchen und ebenso vielen Gemeinden. Vermutlich
ist es eine undankbare Aufgabe, diese Reform, die Puppe nicht angeschoben
hat und die für die Gesamtkirche, ja für die ganze EKD, beispielhaft sein
soll, möglichst reibungslos ans Ziel zu bringen.
## Smarter Superintendent
Puppe, ein smarter Typ mit Dreitagebart, wurde im November 2011 zum
Superintendenten gewählt. Der 47-Jährige doziert über die neuen Strukturen.
Die Ortsgemeinden wählen einen Ortsgemeinderat, es gibt eine übergeordnete
Gesamtgemeindevertretung und darüber einen Gesamtgemeindekirchenrat. Es
geht um Gemeindesatzungen, um die kirchliche Grundordnung, um Leitlinien,
Pfeile zeigen hinauf, andere zeigen hinab.
Die Broschüre, die das alles transportieren soll, ist violett wie ein
Kanzelbehang, handlich wie eine Ritter Sport und durchsetzt mit
Bibelversen. „Wer das Heft in den Händen hält, kann sich von den
Erfahrungen anregen lassen“, schreibt Bischof Markus Dröge im Vorwort. Oder
aufregen. Bei der Kommunikation der Reform habe es Probleme gegeben, räumt
Puppe ein.
Man könnte auch sagen, dass es Dörfer gibt, die sich betrogen fühlen,
Gemeinden, die der Reform zunächst positiv gegenüberstanden, dann aber aus
der Gesamtgemeinde wieder austreten wollten, immerhin war viel von
Erprobung die Rede. Als auch diese Gemeinden vor das Verwaltungsgericht
zogen, beschieden die kirchlichen Richter, dass Kirchengemeinden, die sich
zugunsten einer Großgemeinde aufgelöst haben, nicht mehr klagen können. Sie
sind juristisch nicht mehr existent.
Von Arglist ist seitdem die Rede. „Tiefe Rissen im Kirchenkreis“, „Pfarrer
sucht Polizeibeistand“ und „Hilferuf an Gauck“ sind die Artikel in der
Lokalzeitung überschrieben. Es geht um Disziplinarverfahren, Hausverbote
und Hausfriedensbruch. Und eigentlich geht es um die „Kirche der Zukunft“,
wie Bischof Dröge in der lilafarbenen Broschüre festhält.
## „Kirche der Freiheit“
Oder um die „Kirche der Freiheit“. So heißt [5][das Impulspapier der EKD
von 2007], das die evangelische Kirche für das neue Jahrhundert fit machen
will – mit Reformen. Die Reform im Kirchenkreis ist auch von „Kirche der
Freiheit“ inspiriert. Puppe behauptet standhaft, dass der Streit nichts mit
der Reform zu tun habe. Und überhaupt ist es doch viel ermutigender, jetzt
Pastor Seefeld und Pastorin Semper zu hören, welche positiven Erfahrungen
es mit den neuen Strukturen schon gibt.
Doch schnell dreht sich das Gespräch wieder um das Ärgernis. Da sagt
Pastorin Semper lächelnd, dass sich Gemeinden und Pastoren über die
Konsequenzen vorher hätten kundig machen können. Schließlich könne man
lesen. Die evangelische Kirche ist Kirche des Worts. Die „Kirche der
Freiheit“, so scheint's, eine Kirche des Kleingedruckten.
4 May 2013
## LINKS
[1] http://heiligengrabe.de/buergerservice/ortsteile/blandikow
[2] http://heiligengrabe.de/category/ortsteile-der-gemeinde-heiligengrabe/gemei…
[3] http://www.kirchenkreis-wittstock-ruppin.de/
[4] http://www.ekbo.de/
[5] http://www.kirche-im-aufbruch.ekd.de/reformprozess/impulspapier.html
## AUTOREN
Thomas Gerlach
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