| # taz.de -- Todesstrafe für abgeschobenen Inder: Gauck bittet um Gnade | |
| > Bundespräsident Gauck und Außenminister Westerwelle schicken | |
| > Gnadengesuche für einen Inder, der aus Deutschland abgeschoben wurde und | |
| > gehenkt werden soll. | |
| Bild: Protest gegen Abschiebungen. | |
| BERLIN taz | Devinder Pal Singh Bhullar wartet. Darauf, dass ihm ein Strick | |
| um den Hals gelegt oder doch noch ein Gnadengesuch für ihn erfolgreich ist | |
| - bislang wurden alle abgelehnt. Bhullar ist jetzt seit über 18 Jahren in | |
| indischer Haft. Ihm wird ein Bombenattentat zur Last gelegt. | |
| Mit zwei Gnadengesuchen bittet jetzt auch Berlin nach einem Medienbericht | |
| Indien, die Todesstrafe in lebenslange Haft umzuwandeln – denn Bhullar war | |
| vor Jahren aus der Bundesrepublik abgeschoben worden. | |
| Sowohl Bundespräsident Joachim Gauck als auch Bundesaußenminister Guido | |
| Westerwelle (FDP) hätten an ihre indischen Pendants geschrieben, berichtete | |
| die Zeitung Indian Express am Freitag. Sie berief sich dabei auf ein | |
| Interview mit dem deutschen Botschafter in Indien, Michael Steiner. | |
| Bhullar hat mehrere Selbstmordversuche hinter sich und leidet an einer | |
| schmerzhaften Halswirbelsäulenerkrankung wie indische Zeitungen berichten. | |
| Am 12. April 2013, wurde in letzter Instanz sein Todesurteil bestätigt. | |
| Im Dezember 1994 wurde Bhullar auf seiner Flucht nach Kanada am Frankfurter | |
| Flughafen festgenommen. Mit gefälschten Papieren bat er um politisches | |
| Asyl, das als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wurde. Erst dann | |
| offenbarte er seine wahre Identität, sein Anwalt legte Rechtsmittel gegen | |
| die Abschiebung ein – erfolglos. Bhullar musste im Januar 1995 nach Indien | |
| zurückkehren und wurde gleich bei seiner Ankunft am Flughafen in Delhi | |
| festgenommen. | |
| ## Frankfurter Gericht kam zu spät | |
| Zu diesem Zeitpunkt war noch kein Urteil gesprochen, doch | |
| Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sowie Sikh-Verbände | |
| warnten bereits damals vor einer Abschiebung Bhullars wegen Foltergefahr | |
| und drohender Todesstrafe. Diese Einsicht kam den deutschen Behörden jedoch | |
| zu spät. Als das zuständige Oberverwaltungsgericht zwei Jahre später in | |
| Frankfurt entschied, dass die Abschiebung rechtswidrig war, saß Bhullar | |
| schon in Haft. | |
| Nach sechsjährigem Prozess wird in Indien im August 2001 dann das Urteil | |
| verkündet: Devinder Pal Singh Bhullar wird zum Tode verurteilt. Er wird | |
| beschuldigt, an einem terroristischen Bombenanschlag im Jahr 1993 in Delhi | |
| beteiligt gewesen zu sein, bei dem neun Menschen getötet wurden. Bhullar, | |
| der der Sikh-Religion angehört, soll Mitglied der | |
| Khalistan-Liberation-Force gewesen sein, eine Separatistenbewegung, die | |
| einen eigenen Staat für Sikhs im Nordwesten Indiens erstrebte. | |
| Amnesty International sieht die Bundesregierung aufgrund der | |
| Fehlentscheidung in der Verantwortung. „Die Vollstreckung könnte jederzeit | |
| geschehen“, sagte Michael Gottlob, Sprecher der Indien-Kogruppe von Amnesty | |
| Deutschland. Zudem erfolgte Bhullars Festnahme unter dem Anti-Terror-Gesetz | |
| TADA, das wenig später wieder außer Kraft gesetzt wurde, weil es | |
| internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren zuwider lief, so | |
| Gottlob. Schuldig gesprochen wurde Bhullar aufgrund eines „Geständnisses“, | |
| von dem er später behauptet, es nur unter polizeilicher Folter gegeben zu | |
| haben. | |
| Der Fall wirft ein zweifelhaftes Bild auf die hiesige Asylpolitik. „Auf | |
| dramatische Weise zeigt der Fall die strukturellen Mängel des | |
| bundesdeutschen Flughafenverfahrens“, sagt Karl Kopp, Europareferent von | |
| Pro Asyl. | |
| ## Flughafenverfahren in der Kritik | |
| Seit der Einführung des Flughafenverfahren am 01. Juli 1993 steht diese | |
| Sonderregelung im Asylverfahrensgesetz immer wieder in der Kritik. | |
| Innerhalb von maximal neunzehn Tagen wird noch im Flughafentransitbereich | |
| darüber entschieden, ob ein Flüchtling einreisen darf oder nicht. „Der Fall | |
| Bhullar verdeutlicht, dass Entscheidungen über Leben und Tod nicht in | |
| Schnellverfahren unter haftähnlichen Bedingungen gefällt werden können“, | |
| sagt Kopp. | |
| Eine Mitschuld wurde von Seiten der Bundesregierung schon mehrfach | |
| eingeräumt. Die Kritik am Flughafenverfahren bleibt für die Bundesregierung | |
| dennoch unbegründet. Sie bedaure zwar diesen Vorgang, „sieht die Ursache | |
| aber nicht in der Ausgestaltung des Flughafenasylverfahrens,“ sagte ein | |
| Sprecher des Bundesinnenministeriums. | |
| Die Ablehnung des Antrags als „offensichtlich unbegründet“ sei aufgrund der | |
| Tatsache, dass sich Bhullar zunächst mit gefälschten Papieren ausgewiesen | |
| hatte, „auch im Nachhinein nachvollziehbar.“ Derzeit werde jedoch | |
| unabhängig von diesem Fall die Asylverfahrensrichtlinie überarbeitet - | |
| dabei werde auch geprüft, ob Änderungen am Flughafenasylverfahren | |
| gegebenenfalls erforderlich seien. | |
| 10 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
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