# taz.de -- Genossenschaften auf Sardinien: Das linke Erbe | |
> Auf Sardinien wird der Mitbegründer der KP, Antonio Gramsci, mit einem | |
> Museum geehrt. Die vielen Kooperativen auf der Insel sind zum Teil auch | |
> sein Vermächtnis. | |
Bild: Das Bergdorf Orgosolo im Inneren Sardieniens ist bekannt für seine zahlr… | |
Laut tönt das Vaterunser durch das Kirchenschiff an dem Corso Umberto in | |
der sardinischen Kleinstadt Ghilharza. Weihrauch steigt auf aus den | |
Messingkesseln. „Ideologischer Staatsapparat“, hätte der Marxist Louis | |
Althusser zu der Szene gebrummelt. Für Antonio Gramsci wäre der | |
Gottesdienst eher Teil einer „Zivilgesellschaft“ gewesen, die kulturellen | |
Aktivitäten, Standards und Vorstellungen, mit denen sich das Bürgertum | |
neben dem Staat seine Herrschaft sichert. | |
Es sind nur einige wenige Schritte, die die Kirche von der „Casa di Antonio | |
Gramsci“ trennen, jenem Haus an der Hauptstraße mit der Nummer 57, in dem | |
der marxistische Philosoph und Vordenker des italienischen Kommunismus | |
seine Kindheit verbracht hat. | |
Das von außen unscheinbare Haus am Corso Umberto wurde 1965 von der KPI | |
aufgekauft und in ein „Zentrum für die Dokumentation und Forschung über das | |
Werk Gramscis und der Arbeiterbewegung“ eingerichtet. In den 1980er Jahren | |
wurde das Haus in ein Museum umgewandelt, das heute von einem Verein | |
getragen wird. | |
1891 in Ales auf Sardinien geboren, lebte Gramsci von seinem 8. bis 17. | |
Lebensjahr in Ghilharza. Hier besuchte er die Volksschule und im Nachbarort | |
das Gymnasium. Nach dem Abitur 1911 bewirbt sich Gramsci für ein Stipendium | |
an der Turiner Universität. Doch seine Mittel für den Lebensunterhalt sind | |
gering, er leidet unter Erschöpfungszuständen und Krankheiten und bricht | |
1915 das Studium ab. | |
## Gramsci wird verhaftet | |
Er arbeitet nun als Journalist für Zeitungen und kommt in der Stadt der | |
Fiat-Werke mit der Arbeiterklasse in Berührung. Dort wird er zu einem der | |
Begründer der italienischen Kommunistischen Partei. Nach der Machtübernahme | |
durch Mussolinis Faschisten werden im November 1926 die führenden Köpfe der | |
Kommunistischen Partei verhaftet, darunter auch Gramsci. | |
1928 wird er zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Dort verfasst er die | |
berühmten „Quaderni del carcere“ (Gefängnishefte), sein theoretisches | |
Hauptwerk. Seine Gesundheit ist bereits schwer angeschlagen. Gramsci stirbt | |
im April 1937 mit 46 Jahren in Rom. | |
Das Museum in Ghilharza zeigt mit Briefen, Fotografien, offiziellen | |
Dokumenten und persönlichen Habseligkeiten diesen Lebensweg. Sie sind in | |
den verschiedenen Räumen des Hauses angeordnet, die einen Einblick in das | |
Leben zu jener Zeit geben. So können die Besucher den Garten betreten, den | |
Brotbackraum und die Küche. | |
## Nachgebaute Gefängniszelle | |
Im ersten Stock ist die Bibliothek mit mehr als 3.000 Bänden zur Geschichte | |
der internationalen Arbeiterbewegung untergebracht. Hier befinden sich auch | |
die Exponate der Ausstellung, darunter die Totenmaske und die Brille | |
Gramscis. An einer Wand ist als vergrößertes Faksimile der Brief an seine | |
Mutter zu sehen, bevor er in das Gefängnis ging, auch seine Zelle ist | |
originalgetreu nachgebaut. | |
Zentraler Begriff im Werk Gramscis ist der Begriff der kulturellen | |
Hegemonie. Hegemonie zielt ab auf die Gewinnung sozialer und moralischer | |
Autorität in der Gesellschaft. Hegemonie ist also nicht ein statischer | |
Machtzustand, sondern ein permanenter Prozess des Kampfes zwischen sozialen | |
Klassen. | |
Diese Betonung eines sich permanent verändernden Prozesses der | |
Herrschaftsgewinnung und -aufrechterhaltung anstelle eines starren und | |
statischen Herrschaftskonzeptes ist es, was Gramsci für die Linke heute | |
noch interessant macht. Gramsci, so der italienische Moralphilosoph Giorgio | |
Baratta, sei der einzige marxistische Denker, der den Zusammenbruch des | |
Sozialismus unbeschadet überstanden habe. | |
## Die Lenin-Pizzeria | |
Auf Sardinien sind noch viele Reminiszenzen an ein linkes 20. Jahrhundert | |
zu finden. Zum Beispiel Pizzerien, die „Da Lenin“ heißen. Oder | |
sozialwirtschaftliche Betriebe. Genossenschaften sind auf Sardinien ein | |
fester Bestandteil der Ökonomie. | |
Bekannt ist die Cantina sociale, die Genossenschaft der Weinbauern, bei der | |
man auch sehr edle Tropen erstehen kann. Bekannt sind die Käse- und | |
Milchproduzenten, die sich eine genossenschaftliche Form gegeben haben. | |
Arborea ist ein sardisches Milchwirtschaftsunternehmen, eine 1956 | |
gegründete Kooperative von 248 Produzenten, die ihren Sitz in der | |
gleichnamigen Stadt an der Ostküste hat. | |
Rund 160.000 Genossenschaften soll es in Italien geben, 18,7 Prozent davon | |
werden auf Sardinien und Sizilien gezählt. Mittlerweile ist der kooperative | |
Sektor auch in der Tourismusbranche Sardiniens auf bis zu 150 Kooperativen | |
angewachsen. Man setzt auf Ökologie, bietet Exkursionen in die Natur und | |
baut Alternativen zum Strandtourismus auf. | |
## Arbeitslose gründen Kooperative | |
Zu finden sind sie etwa im sardischen Städtchen Oliena im Bergmassiv des | |
Supramonte. Hier, auf rund 800 Metern Höhe, liegt unter dem Schatten von | |
alten Steineichen ein ehemaliges Kindererholungsheim, das heute ein Hotel | |
mit Tagungsräumen, eine Bar, einen Laden mit landestypischen Produkten und | |
einen angeschlossenen Campingplatz beherbergt. | |
Betrieben wird Monte Maccione – so der Name der Anlage – von der | |
Cooperativa Turistica Enis, einer Genossenschaft im Touristikbereich. | |
Gegründet wurde die Cooperativa in den 1980er Jahren von einer Gruppe | |
junger Arbeitsloser, die mit viel Eigeninitiative und finanzieller | |
Unterstützung durch die Gemeinde das alte Gebäude renovierten und ein | |
Restaurant einrichteten. | |
Im kleinen Laden neben der Bar werden Produkte aus eigenem biologischen | |
Anbau verkauft, man bietet Trekkingtouren in die wilde Berglandschaft an. | |
Es sind vor allem Familien mit Kindern und Naturfreunde, die den weiten | |
Blick hinab in die Ebene von der Terrasse des Monte Maccione genießen. | |
2 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Stumberger | |
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