# taz.de -- Tennis French Open: Das Hohelied auf Haas | |
> Tommy Haas spielt bei den French Open mit 35 Jahren besser denn je. Es | |
> ist das wohl größte Comeback der jüngeren Sportgeschichte. | |
Bild: Stehaufmännchen: Im Viertelfinale trifft Tommy Haas auf den Weltranglist… | |
PARIS taz | Vor zwei Jahren war er fast schon verschollen in der | |
Weltrangliste. Zwischen halben Amateuren, ewig erfolglosen Talenten und | |
grünen Tennis-Neulingen tauchte auf Platz 896 der ATP-Hitparade auch der | |
Name Tommy Haas auf. Damals, im Frühling 2011, sagt Haas, habe er nach | |
einer dieser endlosen, nervtötenden Verletzungspausen und dem | |
unvermeidlichen Absturz in der Hackordnung der Profis nur noch daran | |
gedacht, „einen halbwegs ordentlichen Abschied zu finden“: „Ich dachte mi… | |
So kannst du einfach nicht aufhören. Du musst den Leuten anders in | |
Erinnerung bleiben.“ | |
Und jetzt? Ist Haas das Phänomen der gerade laufenden French Open. Der | |
Mann, der selbst berühmte Kollegen wie Roger Federer in Erstaunen versetzt | |
(„Was er leistet, ist unfassbar“). Der Mann, der das vielleicht größte | |
Sport-Comeback der jüngeren deutschen Sportgeschichte auf den Centre Courts | |
schreibt, ein Ding zwischen Hollywood und Disneyland. | |
Und der Mann, der sich nur über sich selbst wundern kann: „Das ist ein | |
bisschen unwirklich, das Ganze. In dem Alter kannst du zwar noch auf so | |
etwas hoffen – aber nicht damit rechnen. Ich denke selbst oft: Das kann | |
nicht wahr sein.“ Der ewige Tommy, das Stehaufmännchen des | |
Tennis-Wanderzirkus. Der Tennis-Vagabund, der „den Leuten“ nun tatsächlich | |
anders in Erinnerung bleiben wird. Zum Beispiel auch als | |
Sensations-Viertelfinalist in Paris, wo er am Mittwoch gegen die Nummer 1 | |
der Weltrangliste antreten wird, gegen den Serben Novak Djokovic. | |
Djokovic, aber auch Altmeister Roger Federer oder der spanische | |
Sandplatzmatador Nadal sind auf den ersten Blick die prägenden Spieler der | |
Tennisszene. Aber gefühlt hat auch er da vorne seinen Platz, unter den ganz | |
Großen, dieser unverwüstliche, unermüdliche, unerschrockene Thomas Mario | |
Haas, der erzwungenermaßen etwas einsam Starkes auf die Spiel-Plätze der | |
Welt zauberte – eine Rückkehr mit Mitte Dreißig ins Gipfelrevier der | |
Rangliste nach inzwischen fünf schweren und karrieregefährdenden | |
Operationen. Weiter, immer weiter ging und geht es für Haas, den deutschen | |
Amerikaner, der sich einfach nicht in Pension schicken lässt. | |
## Turbulenten Laufbahn mit Rückschlägen | |
Es ist ein sagenhafter Aufstieg – in einer Zeit, da das internationale | |
Herrentennis physisch und mental so herausfordernd ist wie niemals zuvor in | |
seiner Geschichte. „Das ist eine ganz, ganz große Leistung von Tommy“, sagt | |
daher auch Freund und Weggefährte Federer, „es ist schon bewundernswert, | |
wie er sich immer wieder zurückgekämpft hat. Viele in seiner Lage hätten | |
längst das Handtuch geschmissen und gesagt: Danke, das war’s jetzt.“ | |
Wo er in der Liste der hartnäckigsten Siegertypen stehen könnte, wenn da | |
nicht diese immer neuen Rückschläge in seiner turbulenten Laufbahn gewesen | |
wären, sogar tragische Momente wie der schwere Motorradunfall seiner | |
Eltern, das beschäftigt den gereiften Haas nicht länger. Mit den Wenns und | |
Abers seiner Karriere will sich der Routinier, der vor 17 Jahren sein | |
erstes professionelles Tennismatch gegen den Belgier Dick Norman in | |
Indianapolis gewonnen hatte, nicht mehr aufhalten. | |
Spielen will der Weltklasseprofi ohne klare Begrenzung, ohne ein zeitliches | |
Stoppschild im Kopf – nicht zuletzt, weil er sein Tennisalter wegen der | |
vielen Auszeiten und Zwangspausen „ganz anders einschätzt“ als sein | |
tatsächliches Alter: „Ich bin jünger als Athlet, vielleicht Anfang 30. Und | |
das ist heute ein gutes Alter“, sagt er. | |
Haas zeigt gerade bei wichtigen Tennis-Gelegenheiten, was es braucht, um in | |
der Champions League zu bestehen: Selbstvertrauen, Biss, Leidenschaft, | |
Willenskraft, gute Nerven. Und die Zähigkeit, auch Widrigkeiten im zuweilen | |
chaotischen Betrieb eines Spitzenturniers zu trotzen. Große Wettbewerbe | |
sind immer auch Leistungsschauen der Szene – Veranstaltungen, bei denen der | |
Status der Besten taxiert und die Hierarchie festgestellt wird. „Es gilt, | |
auf diese Momente hinzuarbeiten“, sagt Haas. | |
## Mumm und Körpersprache | |
Und was er sagt, lebt er auch vor, anders als andere deutsche | |
Berufsspieler. Er hat schlicht den nötigen Mumm und die nötige | |
Körpersprache, die Gegner einschüchtern kann. Er schindet sich in | |
Krafträumen, stellt die Ernährung auf glutenfreie Kost um, verpflichtet | |
neue Trainer wie den erfahrenen Ulf Fischer. „Man kann nur den Hut ziehen | |
vor ihm, vor dieser Aufholjagd, die er da wieder gestartet hat“, sagt der | |
ehemalige amerikanische Spitzenspieler und heutige TV-Kommentator Brad | |
Gilbert. | |
Auch Nick Bollettieri, der berühmteste Coach der Welt, rühmt die | |
Beharrungs- und Ausdauerkraft seines langjährigen Schülers Haas: „Er ist | |
ein Vorbild für die Kids, die sehen, dass man auch nach so großen | |
Schwierigkeiten in seiner Karriere nie aufgeben sollte.“ In seinem riesigen | |
Ausbildungscamp in Bradenton in Florida singt Bollettieri deshalb auch gern | |
das Hohelied auf den amerikanischen Deutschen, der vor gut zwei Jahrzehnten | |
als hoffnungsvoller Tennis-Rookie zu ihm gekommen war. | |
Das Gute an dem nunmehr hochgelobten Mittdreißiger Haas ist: Er hat über | |
die Jahre und Jahrzehnte Schritt für Schritt gelernt, seine Schwerpunkte in | |
einer Saison gekonnt zu setzen, das Wichtige vom Unwichtigen zu | |
unterscheiden. Er verzettelt sich nicht mehr in wilden Hetzjagden und ist – | |
nachdem er sich oft genug in andere Dienste und unter die nationale Fahne | |
gestellt hat – auch mal Egoist genug, um ausschließlich ans eigene | |
Fortkommen zu denken. | |
Nun ist er wieder mittendrin im Kampfgetümmel, ohne deshalb den kühlen Kopf | |
und das Kalkül für das Wesentliche zu verlieren. „Ich hänge nicht | |
irgendwelchen Wahnsinnsideen nach“, sagt Haas: „Ich weiß, dass ich jetzt | |
nicht mehr alles aufholen kann, was ich früher verpasst habe – eben auch | |
wegen der vielen Verletzungen.“ Nicht alles, aber noch einiges. | |
5 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Jörg Allmeroth | |
## TAGS | |
Tennis | |
French Open | |
Tommy Haas | |
Roger Federer | |
Novak Djokovic | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tommy Haas zurück auf dem Platz: Vom Sonnyboy zum Kämpfer | |
Tennis-Profi Tommy Haas hat sich nach einjähriger Verletzungspause mal | |
wieder zurückgekämpft – beim Turnier in Stuttgart aber früh verloren. | |
Tommy Haas' goldener Karriereherbst: Ein inspirierender Unfall | |
Der 34-jährige Tommy Haas ist fitter denn je. In Key Biscane steht er | |
erstmals das Achtelfinale – gegen den Weltranglistenersten Novak Djokovic. | |
Tennis-Masters in Florida: Sensationeller Sieg von Haas | |
Thomas Haas brauchte nur 80 Minuten, um für die Überraschung des Turniers | |
zu sorgen: Der Tennisprofi schlug den Weltranglistenersten Novak Djokovic. | |
was fehlt ...: ... Ball im Aus | |
Bei den French Open passte Tennisprofi Stakhovsky ein Schiedsrichterurteil | |
nicht. Um den Gegenbeweis anzutreten holte er kurzerhand sein Smartphone | |
aus der Sporttasche. | |
French Open: Tsonga, der „Tennis-Ali“ | |
Weil Jo-Wilfried Tsonga zu einem Kämpfer mit Köpfchen geworden ist, steht | |
der Lokalmatador im Halbfinale und hofft auf den großen Coup. | |
French Open Finale: Vom Bad Girl zur Musterschülerin | |
Serena Williams kämpft gegen die Russin Maria Scharapowa um den | |
French-Open-Titel. Und gegen den Übermut vergangener Tage. | |
Triumph in Paris: Die Strahlende aus Stahl | |
Serena Williams zerstört auch Maria Scharapowa und stößt mit ihrem 16. | |
Grand-Slam-Erfolg in eine neue Dimension vor. | |
Frollein-Tenniswunder Annika Beck: „Die besten Beine seit Steffi Graf“ | |
Die 19-jährige Deutsche ist ehrgeizig und zäh. In Wimbledon kombiniert | |
Annika Beck schnelles Tennis mit strategischem Geschick. Alle sind | |
begeistert. |