# taz.de -- Hochwasser der Elbe: Die Helfer kommen an ihre Grenzen | |
> Magdeburg kämpft gegen die Fluten an. Andernorts gaben Deiche dem Wasser | |
> längst nach. Die Altstadt Wittenberges wird evakuiert. Schäuble sichert | |
> weitere Gelder zu. | |
Bild: Eine Helferin bei Sicherungsarbeiten im niedersächsischen Hitzacker. | |
BERLIN/MAGDEBURG dpa | Für Zehntausende Helfer und Bewohner in den | |
Hochwassergebieten geht in der zweiten Woche der Flut das große Bangen | |
weiter. An der Elbe sind viele Dämme durchweicht und drohen zu brechen. | |
Besonders dramatisch war die Lage am Samstag in Sachsen-Anhalt. In | |
Magdeburg stand der Pegel mit 7,40 Metern rund 70 Zentimeter höher als bei | |
der Jahrhundertflut 2002, ein ganzer Stadtteil drohte vollzulaufen. Die | |
Katastrophe bringt die Menschen vielerorts an ihre Grenzen, Tausende | |
mussten ihre Häuser verlassen und sich in Sicherheit bringen. | |
Auch in Norddeutschland könnte sich die Lage stärker zuspitzen als zunächst | |
vorhergesagt. Experten korrigierten Prognosen für Niedersachsen, | |
Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein deutlich nach oben. An diesem | |
Sonntag wird Bundespräsident Joachim Gauck im Katastrophengebiet erwartet. | |
In Halle ist ein Besuch in einer von der Flut beschädigten | |
Kindertagesstätte geplant, in Meißen will er mit Flutopfern und Helfern | |
sprechen. | |
Wo das Wasser schon wieder abfließt, bleiben stinkender Schlamm und | |
Sperrmüllberge zurück. Viele Anwohner sind fassungslos und schockiert. | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach den Flutopfern, man werde | |
beim Wiederaufbau alles tun, was menschenmöglich sei. Bundesfinanzminister | |
Wolfgang Schäuble (CDU) deutete in der Passauer Neuen Presse an, dass die | |
Hilfen für Flutopfer aufgestockt werden könnte. Bisher hat der Bund 100 | |
Millionen Euro Soforthilfe zugesagt. | |
Politiker forderten außerdem, Hochwasserschutzbauten schneller zu | |
genehmigen und Veto-Möglichkeiten von Bürgern und Umweltschützern zu | |
begrenzen. „Wir brauchen deutlich kürzere Planungszeiten“, sagte Sachsens | |
Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) der Welt am Sonntag. | |
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle warf Bürgerinitiativen und | |
Umweltverbänden im Focus vor, in den vergangenen Jahren dringend nötige | |
Hochwasserschutzbauten verhindert zu haben. | |
Bundesweit stemmen sich weiterhin rund 70 000 Feuerwehrleute und 11 000 | |
Bundeswehrsoldaten gegen die Flut. Mindestens sieben Menschen starben, | |
mehrere werden vermisst. Und in den kommenden Tagen melden Meteorologen | |
schon wieder örtlich Starkregen in der Mitte und im Süden Deutschlands | |
sowie in den Elbe-Einzugsgebiet in Tschechien und Polen. Die | |
Hochwassersituation im Überblick: | |
## Dramatische Lage in Magdeburg | |
In Sachsen-Anhalt spitzt sich die Lage an Elbe und Saale immer weiter zu. | |
In Magdeburg drohte der Stadtteil Rothensee voll Wasser zu laufen und wurde | |
evakuiert. „Die nächsten Tage werden extrem und schwierig“, sagte | |
Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD). Im Mündungsbereich der Saale in die | |
Elbe forderten die Behörden 3000 Menschen auf, sich in Sicherheit zu | |
bringen, weil ein durchweichter Deich nicht mehr zu halten sei. Die | |
Landesregierung hob das Ladenschlussgesetz auf, damit Helfer und Flutopfer | |
sich auch am Abend in Baumärkten und Lebensmittelgeschäften eindecken | |
können. | |
Neben Teilen Magdeburgs wird auch die Altstadt von Wittenberge | |
(Brandenburg) seit Samstagabend aus Sorge vor dem Hochwasser der Elbe | |
evakuiert. Etwa 1500 Einwohner sollen ihre Wohnungen verlassen, sagte der | |
Landrat des Kreises Prignitz, Hans Lange. Lautsprecherwagen der Polizei | |
fordern die Anwohner dazu auf. Für Teile der Stadt besteht ein hohes | |
Überflutungs-Risiko. Gegen 19.15 Uhr erreichte die Elbe bei Wittenberge | |
einen historischen Höchststand von 7,45 Meter. Das war ein Zentimeter mehr | |
als beim bisherigen Rekord im Jahr 1880. Am Abend stieg der Fluss immer | |
noch weiter - um fünf bis zehn Zentimeter pro Stunde. „Mit so einer | |
Entwicklung konnte nicht gerechnet werden“, sagte Lange. | |
In der Prignitz bereiteten sich rund 500 Feuerwehrleute sowie Einsatzkräfte | |
von Hilfsorganisationen, Technischem Hilfswerk, Bundeswehr und | |
Landespolizei auf das Eintreffen des Flutscheitels vor. Nach Prognosen | |
werden am Dienstag 8,10 Metern erwartet. Am Pegel Wittenberge steht das | |
Wasser normalerweise bei 2,77 Meter. | |
Zur Entlastung sollen auch die Havelpolder geflutet werden. Unklar war aber | |
noch, wann die Wehre geöffnet werden, teilte das Brandenburger | |
Umweltministerium mit. Damit solle ein Rückstau des Wassers in der Havel, | |
die in die Elbe mündet, verhindert werden. | |
Die Flächen liegen etwa 30 Kilometer vor Wittenberge bei Neuwerben. Sie | |
können etwa 250 Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen. Darüber entscheiden | |
gemeinsam die Elbanrainer Brandenburg, Sachsen-Anhalt, | |
Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und der Bund. | |
Die Elbestadt Mühlberg (Elbe-Elster) war am Samstag fast menschenleer. Mehr | |
als drei Viertel der 4230 Einwohner hatten den Ort nach Ausrufung des | |
Katastrophenfalles verlassen. Wann sie in ihre Häuser oder Wohnungen | |
zurückkehren können, war nach Angaben des örtlichen Katastrophenstabes noch | |
unklar. Die meisten kamen bei Verwandten oder Freunden unter. | |
Rund 100 Personen wurden in Altersheimen, Notunterkünften und | |
Pflegeeinrichtungen unterbracht. "Es kommt kein Unbefugter in die Stadt", | |
sagte Polizeisprecherin Ines Filohn. Viele Einwohner hätten Angst um ihr | |
zurückgelassenes Eigentum. | |
Den Höchststand hatte die Elbe in Mühlberg am Freitag mit 9,88 Metern | |
erreicht - gut dreimal so hoch wie an normalen Tagen. Am Samstagabend | |
zeigte der Pegel noch einen Wert von 9,65 Meter. Mehr als 1000 | |
Einsatzkräfte waren vor Ort und sicherten die Anlagen. Unterdessen konnte | |
der gefährdete Deich des Ortes stabilisiert werden. | |
## Alarmstimmung in Lauenburg | |
Unterdessen hat die neueste Prognose der Hochwasservorhersagezentrale in | |
Magdeburg in Niedersachsen und Schleswig-Holstein schnell für Alarmstimmung | |
gesorgt. Am Donnerstag soll der Pegel in Hohnstorf (Landkreis Lüneburg) auf | |
der anderen Elbseite von Lauenburg bei einem historischen Höchstwert von | |
10,10 Meter stehen, berichtete der Sprecher des Krisenstabes in Lauenburg, | |
Karsten Steffen. Zeitpläne für die Evakuierung der Altstadt und der | |
Elbstraße werden erarbeitet. Höchster jemals gemessener Wasserstand am | |
Pegel Hohnstorf waren 9,88 Meter. | |
Am Samstag herrschte an der Elbe in Norddeutschland zunächst eher eine | |
entspannte Stimmung. Die Vorbereitungen auf das Hochwasser seien | |
abgeschlossen, die meisten Einsatzkräfte abgezogen, hatte Steffen | |
geschildert. Die Altstadt von Lauenburg sei vorsorglich gesperrt worden. | |
Nur Anwohner und Einsatzkräfte hatten Zutritt. | |
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Thorsten Albig (SPD) hatte am Rande | |
eines Bürgerkongresses in Büdelsdorf erklärt, es werde in Lauenburg und | |
Geesthacht das Menschenmögliche getan, um den Bürgern bei der Bewältigung | |
der Flut zu helfen. | |
Der normaler Wasserstand der Elbe bei Lauenburg beträgt rund 4,80 Meter. | |
Bei knapp 9 Metern beginnt die Elbe an einigen Stellen die Elbstraße zu | |
überfluten. Ab 9,30 Meter muss für einige Teile der Altstadt der Strom | |
abgeschaltet werden, die Feuerwehr zieht aus Sicherheitsgründen ihre | |
Pumpenmannschaften aus der Altstadt ab. Ab 9,50 Meter gibt es eine | |
flächendeckende Stromabschaltung in der Altstadt. | |
Ob es angesichts der korrigierten Prognosen doch eine Zwangs-Evakuierung | |
der historischen Stadtinsel des niedersächsischen Ortes Hitzacker gibt, war | |
am Abend noch unklar. Der Krisenstab werde wohl noch einmal beraten, sagte | |
eine Sprecherin des Kreises Lüchow-Dannenberg. Dort ist die Sicherung der | |
Deiche weitgehend abgeschlossen. Deichläufer beobachten ständig, ob die | |
Schutzwälle noch dicht sind. | |
Das Land Sachsen hat den Scheitelpunkt der Elbeflut inzwischen zwar schon | |
überstanden, doch noch immer sind Orte überschwemmt. Viele Tausend Menschen | |
harren noch in Notquartieren aus, in Dresden waren 4700 Haushalte ohne | |
Strom. Hoteliers klagen über viele Stornierungen. Dem Hotel- und | |
Gaststättenverband Dehoga zufolge könnten die Stornierungen für die | |
Betriebe teurer werden als die Flut selbst. | |
## Bundeswehr bleibt in Deggendorf | |
An der Donau ist das Hochwasser weitgehend überstanden – doch zurück | |
bleiben Unmengen Schlamm. „Es ist eine stinkende Brühe“, sagte ein | |
Stadtsprecher in Deggendorf. Mit schweren Räumfahrzeugen reinigte die | |
Bundespolizei Straßen von Schlamm und Treibgut. Bewohner schaufelten die | |
Überreste der Flut aus ihren Häusern. In einer Schule stapelten sich | |
gespendete Kleidung, Schuhe, Zahnbürsten und Duschgel. Bäckereien brachten | |
Kuchen und Gebäck. Die Anteilnahme sei unglaublich, sagte Schulleiter | |
Robert Seif. „Die Flutkatastrophe schweißt die Menschen im Raum Deggendorf | |
zusammen.“ | |
Die Bundeswehr bietet Bayern auch nach dem Aufheben des Katastrophenalarms | |
weitere Hochwasser-Hilfe an. Rechtlich sei das bei Anschlussarbeiten | |
möglich, bei denen es zum Beispiel um Verkehrsinfrastruktur und | |
Seuchenvorsorge gehe, sagte Bundeswehr-Koordinator Matthias Friese am | |
Samstag. Er hält weitere Hilfe vor allem in Deggendorf für sinnvoll. „Wir | |
haben die Pionierpanzer, um die Autobahn wieder freizuräumen“, ergänzte er. | |
Auch Bagger und Kipplader stünden bereit. Sie könne auch in Elektrizitäts- | |
und Klärwerken helfen, wenn nötig. | |
Friese machte sich am Samstag selbst ein Bild von den schweren Verwüstungen | |
in Deggendorf. „Wir bleiben so lange, wie der Landrat uns um | |
Anschlussarbeiten bittet, die mit der Katastrophe zusammenhängen“, sagte | |
Friese. Zurzeit seien noch etwa 900 Soldaten in Bayern im | |
Hochwasser-Einsatz, mehr als die Hälfte von ihnen in Deggendorf. Laut | |
Friese ist der Katastrophenalarm noch nicht in allen bayerischen | |
Landkreisen aufgehoben. | |
Auch donauabwärts in Österreich schaufeln Feuerwehr, Soldaten und | |
freiwillige Helfer Tonnen Schlamm aus zuvor überfluteten Ortschaften. Die | |
Schäden werden mit der Jahrhundertflut 2002 verglichen. Auch die ungarische | |
Hauptstadt Budapest hat das Rekordhochwasser erreicht. Das Wasser stand | |
schon am Samstag höher als beim Rekordhochwasser 2006, dabei wird die | |
Scheitelwelle erst Montagfrüh erwartet. Tausende Helfer sind im Einsatz, um | |
Dämme mit Sandsäcken zu verstärken. In Tschechien begannen an der Moldau | |
die Aufräumarbeiten, an der Elbe stand das Wasser noch zu hoch. | |
8 Jun 2013 | |
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