# taz.de -- Aufenthalt für Afghanin: Notlüge bleibt straffrei | |
> Amtsgericht Nienburg spricht eine Frau frei, die mit gefälschten Papieren | |
> in Deutschland Zuflucht gefunden hat. Sie habe keine Alternative gehabt. | |
Bild: Schweres Los: Afghanische Flüchtlinge in einem Camp. | |
HAMBURG taz | Rechtsverstöße können legitim sein, wenn ein Notstand | |
vorliegt. Zu dieser Auffassung ist das Amtsgericht Nienburg in | |
Niedersachsen gekommen, das eine Afghanin freigesprochen hat, die mit | |
gefälschten Papieren als Flüchtling in Deutschland eingereist ist. „Kann | |
sich der Täter – wie hier gegeben – keine echten Papiere beschaffen, so | |
verbleibt ihm nur die Einreise mit gefälschten Papieren“, sagte Amtsrichter | |
Philipp Förtsch in seinem Urteil. | |
In dem Fall ging es um eine junge Afghanin. Sie lebte mit ihrem Ehemann in | |
Kabul, der als Dolmetscher für die US-Streitkräfte tätig war. Als 2011 die | |
Truppen des nordatlantischen Bündnisses abgezogen wurden, befürchteten die | |
Eheleute Repressalien. Sie hatten Angst um ihr Leben und das Leben ihrer | |
Kinder. | |
Da sie offiziell von den afghanischen Behörden keine Papiere zur Ausreise | |
und Flucht bekommen hätten, wandten sich beide an eine Gruppe von | |
Menschenschleusern. Sie bekamen für Geld einen türkischen Pass und ein | |
falsches Visum. Im Januar 2012 reisten sie über den Iran, die Türkei und | |
Griechenland in Deutschland ein. Bei einer Kontrolle erkannte die | |
Bundespolizei die gefälschten Papiere und nahm die Frau fest. Im Zuge der | |
Vernehmung beantragte sie dann politisches Asyl. | |
Im Strafverfahren erkannte Richter Förtsch zwar den Tatbestand der | |
Urkundenfälschung als erfüllt an. Und auch ein „rechtfertigender Notstand“ | |
liegt seiner Auffassung nach nicht vor, denn in dem Falle der | |
Rechtfertigung würde auch eine Strafbarkeit der Menschenhändler entfallen. | |
„Dies würde Urkundenfälschungen insgesamt Tür und Tor öffnen und so die | |
allgemeine Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs erschüttern“, | |
befand Förtsch. | |
Die Angeklagte sei jedoch aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, | |
urteilte Förtsch. Es habe eine „Notstandslage“ vorgelegen. „Die Angeklag… | |
und ihre Angehörigen befanden sich in Afghanistan in unmittelbarer | |
Lebensgefahr“, sagte der Richter. Der drohende Racheakt hätte jederzeit und | |
ohne erkennbare Zwischenschritte durchgeführt werden können. Die | |
Lebensgefahr habe nur durch eine Flucht zuverlässig abgewendet werden | |
können. | |
„Hierbei war es erforderlich, bei der Einreise in die Bundesrepublik | |
Deutschland die Urkundenfälschung zu begehen“, sagte Förtsch. „Denn eine | |
Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ist unter menschenwürdigen | |
Umständen nur mit Ausweispapieren möglich.“ Diese habe sie nicht bekommen. | |
Und auch eine Flucht in einen Drittstaat wie Griechenland, den Iran oder | |
die Türkei wäre kein adäquates Mittel gewesen, „die Gefahr für Leib und | |
Leben abzuwehren“. | |
Ein Flüchtling habe das Recht, eine Flucht in den Staat anzustreben, in dem | |
er am sichersten Zuflucht finde und seine Zukunft unter Berücksichtigung | |
der dortigen Lebensumstände am besten gesichert sei. Es sei der Afghanin | |
nicht zuzumuten gewesen, die Urkundenfälschung bei der Einreise einzuräumen | |
und die echten Personalien anzugeben. | |
Jeder „vernünftige Dritte in der Position der Angeklagten“ würde zunächst | |
versuchen, vollendete Tatsachen zu schaffen und als landesunkundiger | |
Flüchtling die angestrebte Sicherheit nicht auf „Gedeih und Verderb einem | |
unüberschaubaren bürokratischen Verfahren am anderen Ende der Welt“ | |
auszuliefern, fand Förtsch. Da die Angeklagte mit dem notwendigen | |
Rettungswillen handelte, sei ihr kein Vorwurf zu machen. | |
Der hannoversche Anwalt der Afghanin, Peter Fahlbusch, hat das Urteil | |
begrüßt. Da Visa an Flüchtlinge nicht ausgestellt würden, seien Flüchtlinge | |
gezwungen, mit gefälschten Papieren einzureisen, was ihnen strafrechtlich | |
nicht zur Last gelegt werden dürfe, sagte Fahlbusch. „Ein sehr schön | |
begründetes Urteil“, fand er. | |
13 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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