| # taz.de -- Schwere Geburt: Hauptsache draußen | |
| > Ob ein Kaiserschnitt gemacht wird oder nicht, entscheidet der Wohnort. | |
| > Auf dem Land verschwinden mit den Geburtskliniken auch die Hebammen. | |
| Bild: Wie dies Baby zur Welt kam, hängt vom Wohnort der Mutter ab. | |
| BREMEN taz | Es ist egal, wie wir geboren werden. Es ist egal, ob unsere | |
| Mutter auf ein Ereignis zurückblickt, das ihr Kraft gegeben hat. Oder | |
| wenigstens sagen kann, „es war nicht so, wie ich es mir gewünscht habe, | |
| aber ich kann gut damit leben“. Es ist auch nicht wichtig, wo wir zur Welt | |
| kommen. Und es spielt überhaupt keine Rolle, ob diejenigen, die uns in | |
| diesen Stunden oder Tagen begleiten, gehetzt sind und überarbeitet. | |
| Hauptsache, das Kind ist draußen und gesund. | |
| Ja, das stimmt. Babys kommen unter den widrigsten Umständen zur Welt. In | |
| Deutschland sterben zwar mehr Kinder im ersten Jahr als in Frankreich, | |
| Spanien, Italien, Norwegen, Finnland, Schweden und Japan – aber immer noch | |
| sehr viel weniger als in anderen Teilen der Welt. Worüber sollen wir uns | |
| aufregen? | |
| ## Die steigende Kaiserschnittrate ist kein Naturgesetz | |
| Darüber, dass es besser ginge. Wir müssen nicht die jährlich steigende | |
| Kaiserschnittrate akzeptieren als wäre sie ein Naturgesetz. Krankenkassen | |
| können Geburtshilfe so vergüten, dass Kliniken stressfreie Kreißsäle | |
| unterhalten und freiberufliche Hebammen von ihrer Arbeit leben können. Wir | |
| sind nicht gezwungen, mit der mangelnden Wertschätzung für die weibliche | |
| Reproduktionskraft zu leben, die sich nicht nur finanziell ausdrückt. | |
| Sondern auch in Struktur und Kultur unseres Geburtshilfesystems. | |
| Es ist grotesk, Müttern 52 mögliche „Risiken“ in ihren „Pass“ | |
| hineinzuschreiben. Es ergibt keinen Sinn, dass diejenigen, die bei der | |
| Geburt dabei sind, nicht die Schwangerschaft begleiten, weil das | |
| niedergelassene ÄrztInnen machen. Es ist respektlos, von werdenden Eltern | |
| zu erwarten, sich zu entspannen – wenn allerorts Schwangerschaft und Geburt | |
| als hochriskante Manöver vermittelt werden. Das beginnt mit der ersten | |
| Ultraschalluntersuchung und endet mit den Vorgaben, wie lange welche Phase | |
| der Geburt dauern darf. | |
| Wir wissen, dass das nicht gut ist, dass unsere Wünsche nach einer | |
| selbstbestimmten Geburt nicht erfüllt werden. Aber wir leben damit, in der | |
| wilden Hoffnung, dass wir für dieses Opfer ein gesundes Kind bekommen. Und | |
| weil „sich keine Frau gegen ein Kind entscheidet, nur weil der nächste | |
| Kreißsaal zu weit weg ist“, wie Lena Rahlfs sagt. | |
| Sie ist im neunten Monat schwanger und erlebt, wie Klinik- und | |
| Krankenkassenpolitik auf ihrem Bauch ausgetragen wird. Die taz hat sie | |
| zuhause im niedersächsischen Bruchhausen-Vilsen besucht und ist mit ihr in | |
| den nächsten Kreißsaal gefahren. Der liegt 30 Kilometer entfernt. Damit ist | |
| sie noch gut dran. | |
| ## Zu wenig Kinder, um die Defizite der Krankenhausfinanzierung aufzufangen | |
| Es gibt in Norddeutschland Regionen, wo die Wege noch weiter sind, weil | |
| Geburtskliniken geschlossen werden. Die Frauen auf dem Land kriegen einfach | |
| nicht genügend Kinder, um die Defizite der Krankenhausfinanzierung | |
| aufzufangen. Auf der Strecke bleibt dabei auch die Versorgung durch | |
| Hebammen. Die streicheln nicht bloß die Mutterseele. Hebammen helfen der | |
| Familie, gesund zu bleiben. | |
| In den Großstädten gibt es noch genügend Hebammen, jedenfalls in den | |
| reichen Stadteilen. Hier haben Frauen auch noch die Wahl zwischen der | |
| Geburt in der Klinik oder zu Hause oder in einem Geburtshaus. Aber auch in | |
| der Stadt ist die Wahrscheinlichkeit, vom Kind durch einen Kaiserschnitt | |
| entbunden zu werden, hoch. 28,7 Prozent kamen in Bremen nach einer | |
| aktuellen Auswertung der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2010 so zur Welt, in | |
| Hamburg waren es 27,5 Prozent. Das ist zwar etwas weniger als der | |
| Bundesdurchschnitt – aber immer noch mehr als nötig. | |
| Das finden jedenfalls die ChefärztInnen der Geburtskliniken im Land Bremen, | |
| die in diesem Jahr gemeinsam mit niedergelassenen GynäkologInnen, Hebammen, | |
| KinderärztInnen und VertreterInnen der Kassen ein „Bündnis zur Förderung | |
| der natürlichen Geburt“ gegründet haben. Zentrales Anliegen: weniger | |
| Kaiserschnitte. | |
| Bremen stellt sich damit der Tatsache, dass sich die hohe Sectio-Rate nicht | |
| damit erklären lässt, dass die Frauen „das so wollen oder richtig fordern�… | |
| wie der Geschäftsführer einer Klinik an der niedersächsischen Küste seine | |
| 42 Prozent der taz.nord begründete. Er beschäftigt keine fest angestellten | |
| Geburtshelfer, sondern örtliche Gynäkologen, die als Belegärzte arbeiten. | |
| In diesen Belegstationen wird häufiger geschnitten als in anderen, hat die | |
| Bertelsmann-Stiftung herausgefunden. | |
| Der Verwaltungschef ist nicht der einzige, der sich mit dieser Ausrede der | |
| Verantwortung entledigt: Auch ÄrztInnen machen dies und Medien nehmen es | |
| auf, weil sich das Thema mit Fotos des mutmaßlichen Sectio-Models Claudia | |
| Schiffer bebildern lässt. Dabei zeigen Studien, dass nur in zwei Prozent | |
| aller Fälle der Kaiserschnitt einzig auf Wunsch der Frau geschah. Und dies | |
| nicht aus Termin- oder Beautygründen, sondern aufgrund panischer Angst. | |
| Nicht selten nach einer traumatischen ersten Geburt. | |
| Eine Erklärung für die beträchtlichen Unterschiede zwischen einzelnen | |
| Landkreisen liefert hingegen die [1][Studie der Bertelsmann-Stiftung]: Es | |
| liegt an der geburtshilflichen Praxis, also an den ÄrztInnen. Dabei greifen | |
| diese nicht aus böser Absicht zum Skalpell, sondern weil sie glauben, sonst | |
| das Leben von Mutter und Kind zu gefährden. | |
| Aber noch mehr Kaiserschnitte machen Babys eben nicht gesünder. Im | |
| Gegenteil. Es ist jetzt nachgewiesen, dass Kaiserschnitt-Kinder ein doppelt | |
| so hohes Diabetes-Risiko haben. Schon länger bekannt ist, dass nach einem | |
| Kaiserschnitt Atemprobleme auftreten, die Kinder infektionsanfälliger sind. | |
| In der Folge werden ihnen früher und häufiger Antibiotika verabreicht. | |
| ## Können wir beides haben: maximale Sicherheit und den natürlichen Lauf | |
| der Dinge? | |
| Wir können im Einzelfall nicht wissen, ob die Sectio unnötig war, ein | |
| anderer Geburtsort das Gebären leichter gemacht, eine andere Hebamme, ein | |
| anderer Arzt besser geholfen hätte. Es gibt keine einfachen Antworten, wenn | |
| wir uns fragen, ob wir beides haben können: maximale Sicherheit und den | |
| natürlichen Lauf der Dinge. | |
| Vieles beim Kinderkriegen entzieht sich unserer Kontrolle. Ob wir schwanger | |
| werden, das Kind gesund heranreift, wann es sich auf den Weg macht – wir | |
| haben es nicht in der Hand. Aber die Umstände, unter denen wir uns auf | |
| dieses Abenteuer einlassen, die schon. | |
| Wir reden gerade viel über das Ende des Lebens, wo wir alt werden und wie | |
| wir sterben wollen. Zu Recht, wir haben nur dies eine Leben. Und deshalb | |
| ist es überhaupt nicht egal, wie es beginnt. | |
| Mehr zum Thema lesen Sie in der taz.am wochenende oder im E-Paper | |
| [2][hier]. | |
| 14 Jun 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://kaiserschnitt.faktencheck-gesundheit.de/ | |
| [2] /zeitung/e-paper/e-kiosk/ | |
| ## AUTOREN | |
| Eiken Bruhn | |
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