# taz.de -- Die Wahrheit: Sieg mit Geisel | |
> Der Frankfurter Fanklub „Hatschongelb“ hatte vor Wochen den Fuß des | |
> FSV-Maskottchens entführt. Jetzt kam es zu einer Übergabe der Geisel. | |
Bild: Manager Münker, Maskottchen Franky, Spieler Schlicke, Sportchef Stöver … | |
Was bisher geschah: Die Fußballfreunde des kürzlich gegründeten Frankfurter | |
Fanklubs „Hatschongelb“ entführen den pelzigen Fuß des Maskottchens ihres | |
Zweitligavereins FSV Frankfurt. Dann setzen die Entführer ein | |
Bekennerschreiben auf und verlangen Verhandlungen mit der Vereinsführung, | |
die auf die Forderungen tatsächlich eingeht … | |
22. Mai 2013, 11 Uhr, Richard-Herrmann-Platz 1, Frankfurt-Bornheim. Ein | |
denkwürdiger, ja bedenkenswerter Tag. Stone, der zwielichtige Presidente | |
des untadeligen FSV-Frankfurt-Fanklubs Hatschongelb (HSG), der | |
Geheimdienstchef von HSG, Peter Buschman, und ich, der Chefideologe des | |
vollkommen bekloppten Haufens, parken an der Haupttribüne des Frankfurter | |
Volksbank-Stadions. | |
Tags zuvor hatte FSV-Geschäftsführer Jens-Uwe Münker unser | |
Erpresserschreiben beantwortet, in dem wir die Rückgabe des linken Fußes | |
des Maskottchens Franky bei Erfüllung von elf Forderungen in Aussicht | |
gestellt hatten. In einer anschließenden zähen telefonischen Unterredung | |
war vereinbart worden, heute in Footnapping-Verhandlungen einzutreten. | |
Wir nahmen einen letzten Schluck Stärkungsbier zu uns und streiften die | |
schwarzen Strumpfmasken über. Auf dem Weg zum Eingang schärfte uns | |
Gesprächsinstruktor Buschman noch mal ein, „kompromisslos und hart“ | |
vorzugehen. Stone murmelte irgendwas von „Friedensgipfel“, als zwei Männer | |
auf uns zuschlenderten – die Bild-Zeitung war informiert worden. Mit | |
vorwurfsvollen Mienen schlossen sie sich uns an. | |
Im Aufzug war die Anspannung mit Augen zu sehen, und die Luft unter unseren | |
Masken war zum Schneiden dünn, da wir im zweiten Stock ankamen. | |
Geschäftsführer Münker empfing uns eiskalt – mit einem sardonischen | |
Lächeln. Er würde uns zur Minna machen und einlochen lassen, das war jetzt | |
klar. Gut, dass Stone sein Nagelfeilenset von Prada dabeihatte. | |
Wir waren in eine Falle getappt. Im Blitzlichtgewitter, das der | |
Bild-Fotograf auslöste, grinste Münker diabolisch, während er sich in | |
seinem elfenbeinfarbenen Viasit-Sessel zurücklehnte. „Und? Was nun?“ Ich | |
zog meine blaue Super-Soaker-Bottle-Blitz-Wasserpistole aus der | |
Jackentasche und legte sie auf den weißen Tisch. | |
Das wirkte. Münkers Gesichtsausdruck tendierte augenblicklich ins | |
Staatsmännische, und Punkt für Punkt akzeptierte er, sich unseres | |
argumentativen Trommelfeuers mühsam erwehrend, plötzlich praktisch alle | |
unsere Forderungen: FSV-Trainer Benno Möhlmann trinkt mit uns eine | |
Schneider Weisse, Franky kriegt eine Sportplatzbratwurst und ein | |
frischgezapftes Licher auf Vereinskosten. | |
## Schatzmeisterin ausgeschlossen | |
Dann gestand Münker ein, dass es beim FSV eine „erhebliche | |
Sicherheitslücke“ gebe, lud unsere Gleichstellungsbeauftragte ein, in der | |
kommenden Saison einmal als Franky aufzulaufen, und sei‘s bei einem | |
Kindergeburtstag. und meinte beim abschließenden diplomatischen Arschtritt | |
… Unfug: Händedruck: „Der Fuß ist beim Trainingsauftakt am 13. Juni frisch | |
shampooniert zu übergeben.“ | |
Triumphal zogen wir von dannen. Stone nahm in der Fanklublimousine sofort | |
unser Büro, einen verrosteten Leitz-Ordner, zur Hand und löste ein, was | |
Münker einzig von uns verlangt hatte: Schauprozess gegen Jenny M. Mit einem | |
Federstrich schlossen wir unsere Schatzmeisterin aus, denn sie hatte in den | |
vergangenen Tagen wie eine schwer narzisstisch gestörte vierjährige Göre | |
ungebremst herumgenölt, Frankys Fuß gehöre ihr, den rücke sie nicht mehr | |
raus. | |
Am nächsten Tag schmückte ein Bild-Aufsteller die halbe Stadt: „Irre! | |
Erpresser entführen FSV-Maskottchen“. Im Blatt war angeblich der längste | |
Artikel, der jemals über den FSV in der Bild erschienen ist, zu lesen. Wir | |
seien „Geiselnehmer“ beziehungsweise „Geiselgangster“ und für die | |
„witzigste Geiselnahme des deutschen Fußballs“ verantwortlich. Na also. | |
Fünf Tage später legte Bild nach: „Die irrste Geschichte des Jahres – Hier | |
spricht das FSV-Maskottchen (dessen Fuß entführt wurde) – Franky kommt auf | |
Krücken, dick verbunden ins Stadion: ,Es geht mir nicht so gut. Das Laufen | |
ohne meinen Fuß fällt mir schwer.‘“ | |
Dem Corpus delicti allerdings ging es von Tag zu Tag besser. Es entwickelte | |
ein lupenreines Stockholm-Syndrom: freundete sich mit dem Präsidentenhund | |
Attila an, erkieste Weltgeistbeauftragte Kørsten zur | |
Lebensabschnittsgefährtin, soff mit uns Verbrechern an Samis Kiosk | |
(Apfelschorle mit einem Schuss Nagellack, wahlweise warmes Fußpils). | |
Ausgewählte Fotos von Franky im Volksgefängnis spielten wir Bild zu, die | |
prompt eines veröffentlichte. So läuft das, Genossen von heute! | |
## „Santé to Franky!“ | |
Am 13. Juni pirschten wir schließlich, jeder angetan mit einem gelben | |
Kleidungsstück, auf den Rasen des FSV-Stadions und postierten uns am | |
Mittelkreis. Der Verein hatte der konspirativen Übergabe „unter den | |
entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen“ (Bild) zugestimmt. Christian, unser | |
Beauftragter für Raum und Zeit, lief Patrouille und gab uns Feuerschutz. | |
Dann kamen sie aus den Katakomben geschlichen: Jens-Uwe Münker, Uwe Stöver | |
(Geschäftsführer Sport), Matthias Gast (Pressesprecher), der Abwehrhaudegen | |
und Hölderlin-Spezialist Björn Schlicke und Franky mit bandagiertem Bein. | |
Die FSV-Delegation bildete eine Phalanx. Unser Präsident im gelben | |
Regennerz hob umgehend zu seiner achtstündigen Rede an, die er am Abend mit | |
den Worten schloss, er „verspüre eine große Erleichterung, nach all den | |
übersäuerten Wochen mit beschissenen Laktatwerten nicht mehr im Untergrund | |
darben zu müssen und dem bewaffneten Kampf abschwören zu dürfen. Es lebe | |
der FSV! Santé to Franky!“ | |
Da konnte ich als Chefideologe nicht hintanstehen. Ich angelte ein | |
klassisches Reclam-Heft aus der Tasche und sprach: „An einem historischen | |
Tag wie diesem ist es nicht vermessen, ein leider allzu unbekanntes Gedicht | |
des Hymnendichters Klopstock zu zitieren. Es heißt ,Ode an den FSV‘: ,Nun, | |
da Zwist zerstoben / Und aller Streit um den Fuß / Des aufricht‘gen Franky | |
von uns gewichen ist, / Bekennen wir anhänglich und glühend: // Göttin | |
Freude, dich, wir empfinden dich! / Ja, du warest es selbst, Schwester der | |
Menschlichkeit, / Deiner Unschuld Gespielin, / Die sich über uns ganz | |
ergoß! // Süß ist, fröhlicher Frühsommer, deiner Begeisterung Hauch, / Wenn | |
der Bornheimer Hang dich gebiert, wenn sich dein Odem sanft / In der | |
Jünglinge Herzen / Und die Herzen der Mädchen gießt. // Ach, du machst das | |
Gefühl siegend, es steigt durch dich / Jede blühende Brust schöner und | |
bebender, / Lauter redet die Liebe zum FSV / Nun jubelnd hold durch dich!‘“ | |
Als Hatschongelb-Presidente Stone mit Frankys gutgelauntem Fuß auf einem | |
silbernen Tablett auf die einstigen Gegner zuschritt, um ihn auf freien Fuß | |
zu setzen, brachen sich die Gefühle Bahn. Die Abordnungen fielen sich in | |
die Arme und hernach gemeinsam über die gelbe Präsentschachtel her, die | |
enthielt: Bananen, Viala Sweet (italienischer Wein), Sonnenblumenöl, eine | |
Tüte Ricola, Birkel-Nudeln, ein kleines Licher, Rhön Sprudel Orange Plus, | |
Senf, Uhu, Post-its, eine Honigmelone, eine Tube Pferdemark-Haarkur, eine | |
gelbe Paprika, drei Zitronen, gelbe Servietten, Gelbwurst und eine | |
Sonnenblume. | |
„Bei uns ist Fußball viel mehr als in Deutschland“, sagte Lothar Lässig, | |
Präsident von Erzgebirge Aue, kürzlich, und Eckhard Henscheid schrieb: | |
„Geld und Liebe sind die Säulen unseres Lebens. Das dritte aber ist der | |
Fußball, ja, er hat möglicherweise sogar die Liebe schon überholt.“ | |
So scheint es. O ja, so scheint es zu sein. | |
16 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Roth | |
## TAGS | |
Entführung | |
Hauptbahnhof | |
Gedicht | |
Italien | |
Maskottchen | |
Maskottchen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Würzburg, Bahnhof, unbehaust | |
Die Deutsche Bahn hat ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Der | |
Würzburger Hauptbahnhof ist jetzt ein Ort der Niedertracht. | |
Die Wahrheit: Nachricht an die NSA | |
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit-Seite. Heute darf sich die | |
Leserschaft an einem lyrischen Werk über Drohnen und Geheimdienste | |
erfreuen. | |
Die Wahrheit: Italien, du brühendes Land | |
Wenig hört man dieser Tage aus Italien, das ist eher ein gutes Zeichen. Wie | |
heißt der amtierende Ministerpräsident? Muss man googeln: Enrico Letta. | |
Die Wahrheit: Massage mit Geisel | |
Der FSV-Frankfurt-Fanklub Hatschongelb hat den FSV und den Fuß dessen | |
flauschigen Maskottchens Franky fest im stahlharten Griff. | |
Die Wahrheit: Die Geisel vom Hang | |
Die Fußballfreunde vom Frankfurter Fanclub „Hatschongelb“ entführen den F… | |
ihres Vereins-Maskottchens. | |
Die Wahrheit: Schöne Öde | |
Zum Rückrundenstart der Fußball-Bundesliga: Ein knurriger Ausblick. |