# taz.de -- Mann in Blau: Prügeln wird billiger | |
> Auch im Berufungsprozess werden zwei Polizisten wegen Körperverletzung | |
> verurteilt. Ihre Strafe fällt jedoch deutlich schwächer aus. | |
Bild: Potentielle Gefahrenquelle für Demonstranten: ein Polizeiwagen. | |
Die Bilder sind eindeutig: Nachdem er nach einer Dienstnummer gefragt hatte | |
und sich abwendet, wird der Demonstrant mit dem blauen Shirt und dem | |
Fahrrad plötzlich von einem Polizisten zurückgezogen und geschlagen, auch | |
ein zweiter Beamter schlägt ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Dann wird der | |
„Mann in Blau“ zu einem Einsatzwagen gezerrt. | |
So geschehen am Ende der Berliner Datenschutz-Demo „Freiheit statt Angst“ | |
im September 2009. Ein [1][Video], das den Vorfall festhielt, wurde zum | |
Symbol für Polizeigewalt, klickte sich im Internet tausendfach. | |
Doch vor Gericht scheint der Vorfall weniger deutlich. Am | |
Dienstagnachmittag milderte das Berliner Landgericht das ursprüngliche | |
Urteil für die beiden Polizisten ab: Statt je 6.000 Euro Geldstrafe – 120 | |
Tagessätze à 50 Euro – muss der reißende Polizist nun nur noch 4.000 Euro | |
zahlen, 80 Tagessätze. Für den schlagenden Beamten sind es gar nur 1.000 | |
Euro, 20 Tagessätze. Für Letzteren wurde auch der Tatvorwurf abgeschwächt: | |
Statt für vorsätzliche wurde er nur noch für fahrlässige Körperverletzung | |
verurteilt. Johannes Eisenberg, Anwalts des Opfers Oliver H., kritisierte | |
das Urteil als „grotesk“. | |
Die Polizisten waren im April 2012 in einem ersten Prozess vor dem | |
Amtsgericht Tiergarten verurteilt worden. Im Anschluss hatten alle | |
Beteiligten Rechtsmittel eingelegt. Die Verteidiger der Angeklagten | |
forderten Freispruch, da die Beamten den Demonstranten festnehmen wollten | |
und dafür auch „unmittelbaren Zwang“, also Gewalt, anwenden durften. | |
Staatsanwaltschaft und Nebenkläger hielten die Strafen dagegen für zu | |
gering. | |
Seit April wurde nun vor dem Landgericht erneut verhandelt. Und Richterin | |
Delia Neumann verurteilte die Polizisten wieder – aber eben deutlich | |
milder. Das Zurückzerren und die Schläge von Dirk K. seien zwar | |
unrechtmäßig, da es in der Situation keinerlei Gefahr gegeben habe und sich | |
der Demonstrant von den Beamten entfernte. | |
Bei der Körperverletzung handele es sich aber um einen minderschweren Fall, | |
da das Opfer zuvor „gezielt provoziert“ habe und einem Platzverweis nicht | |
in die angezeigte Richtung gefolgt sei. Auch die Schläge des zweiten | |
Beamten, Marcus N., seien nur eine fahrlässige Körperverletzung, so die | |
Richterin. Sei er doch von einer korrekten Festnahme seines Kollegen | |
ausgegangen. | |
Opferanwalt Eisenberg kritisierte die Begründung als nicht nachvollziehbar: | |
„Wenn das noch ein minderschwerer Fall von Gewalt ist, was ist es nicht?“ | |
Gleich viermal hintereinander habe der zweite Beamte zugeschlagen. „Das ist | |
nicht mehr fahrlässig.“ Eisenberg sieht die Tat als gemeinschaftliche | |
Körperverletzung. Mit den nun erteilten Tagessätzen lägen die Polizisten | |
aber sogar unterhalb der Grenze, die für einen Eintrag ins Führungszeugnis | |
sorgt – und gelten somit als „nicht bestraft“. Eisenberg kündigte an, | |
Rechtsmittel einzulegen. | |
Der Anwalt geriet im Prozess allerdings auch in der Kritik. Richterin | |
Neumann hielt ihm vor, das Verfahren zu einem Grundsatzprozess gegen die | |
Polizei gemacht zu haben. Er habe Gerichtsmitarbeiter „bedroht“ und Zeugen | |
befragt, bevor dies die Polizei tat. Eisenberg weist das zurück. Er habe in | |
der Vergangenheit mehr Polizisten als deren Opfer vertreten. Auch sei es | |
seine Aufgabe, eigene Auskünfte einzuholen. Und er habe nicht gedroht, | |
sondern auf die öffentliche Wahrnehmung eines milden Urteils hingewiesen. | |
Die Richterin kritisierte auch das Opfer, das wiederholt auf Demos | |
Polizisten provoziert habe wie auf einem Video dokumentiert sei. Allerdings | |
sind alle Verfahren gegen den promovierten Biologen eingestellt. Auch | |
erhielt er ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro. Durch die Schläge waren | |
seine Lippen zerrissen worden, er erlitt Abschürfungen. Bis heute leidet er | |
nach eigenen Angaben unter Taubheitsgefühlen und Traumata. | |
19 Jun 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=DopH0DRef0w | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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