| # taz.de -- Verbote im öffentlichen Raum: Bitte benehmen Sie sich! | |
| > Das Leben auf Straßen und Plätzen wird zunehmend als zu laut, zu voll und | |
| > zu unübersichtlich empfunden. Nun sollen Verbote her. Was sagt das über | |
| > uns? | |
| Bild: Verboten: das öffentliche Trinken in der Göttinger Nikolaistraße. | |
| HAMBURG taz | Können Sie noch daran erinnern, wann im öffentlichen Raum | |
| zuletzt etwas ausdrücklich erlaubt worden ist? So was wie: Ab sofort ist | |
| das Rad fahren in allen Parks gestattet, das Urinieren in den Rinnstein, | |
| oder in einer Innenstadt sein Zelt aufzuschlagen? Das dürfte lange her | |
| sein, denn die Tendenz ist eine andere, eine restriktivere: Wer sich im | |
| öffentlichen Raum aufhält, Freunde trifft und feiert, der wird zunehmend | |
| als störend empfunden oder als potenzielle Gefahrenquelle. | |
| Nun ist Feiern auf der Straße nicht gleich Feiern auf der Straße: Viele | |
| Städte und Gemeinden setzen auf Events wie Public Viewing oder | |
| Straßenfeste: ein erwünschtes, ein gesteuertes Feiern unter freiem Himmel, | |
| ein Wirtschafts- und Tourismusfaktor. Daneben aber hat sich ein Trinken und | |
| Feiern auf der Straße etabliert, das abseits dieser zu vermarktenden | |
| Event-Kultur funktioniert. Und das soll weg, weil es keinen kommerziellen | |
| Interessen folgt, stört und laut ist und manchmal auch wirklich eklig sein | |
| kann. | |
| ## Verbote treffen Jugendliche und Randständige | |
| Mancherorts versucht man, solchem unerwünschtem Verhalten auf Straßen und | |
| Plätzen mit Alkoholkonsumverboten beizukommen, in Göttingen zum Beispiel. | |
| Wenn aber kein Alkohol mehr jenseits der Bars und Kneipen verkauft und | |
| konsumiert werden darf, trifft das diejenigen, die es sich nicht leisten | |
| können oder wollen, drinnen zu trinken: Jugendliche und Randständige. | |
| Bleiben sollen wiederum die Kneipensitzer mit dem guten Benehmen. | |
| Das ist auch ein Grund, wieso in Deutschland immer wieder mal diskutiert | |
| wird, das Trinken im öffentlichen Raum ganz zu verbieten – und zwar nicht | |
| an den Ort gekoppelt, sondern an das unerwünschte Verhalten. Bisher | |
| scheiterten diese Vorhaben daran, dass ein Verbot immer nur für bestimmte | |
| Gruppen gelten sollte. Zum Beispiel in Freiburg, wo das Verwaltungsgericht | |
| Baden-Württemberg ein Alkoholverbot im Kneipenviertel kassierte. | |
| Natürlich kann Alkohol zu aggressivem Verhalten führen. Aber nicht jeder, | |
| der auf der Straße Bier trinkt, wird gewalttätig, argumentierte das | |
| Gericht. Das müsste aber sein, damit ein solches Verbot in Ordnung geht. | |
| Verdrängung durch Verbote kennt man bisher eher aus privaten Räumen, in | |
| denen das Hausrecht gilt: Dort ist klar, wer darüber bestimmt, welches | |
| Verhalten gut ist und welches schlecht. Auch in Nahverkehrs- oder | |
| Regionalzügen beispielsweise gibt es Alkoholkonsumverbote, dazu | |
| Rauchverbote auf den Bahnsteigen und private Sicherheitsdienste, die | |
| Unerwünschte, weil nicht Kaufkräftige, vertreiben. | |
| Im öffentlichen Raum dagegen gilt das Recht auf allgemeine | |
| Handlungsfreiheit. Dazu gehört es auch, alkoholische Getränke konsumieren | |
| zu dürfen. „Ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum“, sagt Michael Fehling, | |
| der an der Bucerius Law School in Hamburg Öffentliches Recht lehrt, „ist | |
| nur durch die Beeinträchtigung Dritter zu rechtfertigen.“ | |
| Und zwar nur dann, wenn eine plausible Störung wie beispielsweise Lärm oder | |
| Müll die Gesundheit oder die Handlungsfreiheit Dritter beeinträchtige – | |
| ästhetische Gründe zählten nicht. Pauschal beantworten lässt sich die Frage | |
| nicht, wo genau diese Beeinträchtigung anfängt. In jedem Einzelfall muss | |
| abgewogen werden. | |
| ## Erziehung im öffentlichen Raum | |
| Vom „Drangsalierungszwang im öffentlichen Raum“ und einem „Erziehen zu | |
| einem guten und gesunden Leben“ spricht in diesem Zusammenhang Nils | |
| Zurawski, Soziologe am Institut für Kriminologie an der Universität | |
| Hamburg. Die Anfänge lägen in der zunehmenden Privatisierung des | |
| öffentlichen Raums: Seit den späten 1980er-Jahren gibt es in Deutschland | |
| Einkaufszentren nach britischem und US-amerikanischem Vorbild, Mitte der | |
| 1990er-Jahre begann die rasante Aufwertung der Innenstädte. | |
| Seit 2004 haben Bundesländer wie Bremen, Hamburg oder Schleswig-Holstein | |
| Gesetze verabschiedet, die sogenannte Business Improvement Districts (BID) | |
| fördern, in denen sich Gewerbetreibende zusammentun und ihr | |
| Geschäftsviertel gemeinsam vermarkten und gestalten. Dabei ist gewollt, | |
| dass die Nutzung öffentlichen Raums zunehmend auf Kunden und Konsumenten | |
| beschränkt werden. | |
| Was wir jetzt etwa in Göttingen beobachten können, ist eine subtile Form | |
| dieser zunehmenden Privatisierung: Immer häufiger gelten immer | |
| restriktivere Regeln nicht mehr nur in Bahnhöfen oder Einkaufszentren, | |
| sondern auch vor deren Türen. Das verändert die Städte – und unser | |
| Zusammenleben. | |
| ## Auf Straßen und Plätzen muss Vielfalt möglich sein | |
| „Sollen Straßen und Plätze öffentlicher Raum sein, das heißt soll sich auf | |
| ihnen die Gesellschaft selbst darstellen, so müssen sie eine Vielzahl von | |
| Funktionen aufnehmen“, schreibt der Soziologe Hans-Paul Bahrdt. „Man darf | |
| die Menschen, die sich in der Öffentlichkeit ergehen, nicht zu einem ihnen | |
| unangemessenen spezialistischen Gehabe zwingen.“ Dieses Zitat ist über 50 | |
| Jahre alt, aus dem Band „Die moderne Großstadt“ von 1961. Aber Bahrdts | |
| Beschreibung dessen, was die Stadt und ihre Bewohner prägt, gilt in der | |
| Stadtsoziologie bis heute. | |
| Wenn wir also annehmen, dass sich die Gesellschaft im öffentlichen Raum | |
| selbst darstellt, dann bedeutet es etwas, wenn in der Göttinger | |
| Nikolaistraße an den Wochenenden auf 214 Metern Länge kein Alkohol | |
| getrunken werden darf. Und es bedeutet etwas, wenn in der Limmerstraße in | |
| Hannover private Sicherheitsdienste patrouillieren. Solche Verbote sind, | |
| für sich genommen, unproblematisch und aus Sicht der jeweils betroffenen | |
| Anwohner absolut nachvollziehbar. Aber was ist mit der Tendenz zur | |
| Reglementierung insgesamt? | |
| Mitarbeit: Nadine Rösch | |
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| 21 Jun 2013 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ilka Kreutzträger | |
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