# taz.de -- Der Schnauzer und die „Tagesthemen“: Schlimmstenfalls wie Nietz… | |
> Skandal!, riefen 1974 die Zuschauer, als in der ARD ein Schnurrbart | |
> auftauchte. Jetzt geht er regelmäßig auf Sendung. Was sagt uns das? | |
Bild: Schni-Schna-Schnorres. Schnorres, Schnorres, Schnorres. | |
FRANKFURT taz | Der von 1959 bis 1987 amtierende „Tagesschau“-Sprecher | |
Karl-Heinz Köpcke galt als Integrität in Person, als „Derrick des | |
Nachrichtengewerbes“ oder gar als „getreuer Buchhalter des Weltgeistes“ | |
(taz). Für einen Skandal sorgte der Mann nur ein einziges Mal in seiner | |
langen Karriere, 1974, als er, frisch aus dem Urlaub, plötzlich mit einem | |
Schnauzbart die Nachrichten verlas. | |
Er beugte sich den Protesten und nahm ihn bald wieder ab. Für einen | |
Schnauzer war schon damals kein Platz mehr in der seriösen ARD; im | |
Gegensatz zum softpornografischen Nachtprogramm und abgesehen von | |
Spaßvögeln wie Gottlieb Wendehals oder Waldemar Hartmann. | |
Nun geht mit Thomas Roth plötzlich auch der Schnurrbart wieder auf Sendung, | |
dort wo man ihn am wenigsten erwartet hätte – um 22.15 in den | |
„Tagesthemen“. | |
Es ist ein Detail nur, aber kein unwichtiges. Wenn es stimmt, dass das | |
Gesicht eines Menschen seine Benutzeroberfläche ist, dann gilt dies umso | |
mehr für den Moderator des noch immer wichtigsten Nachrichtenmagazins im | |
deutschen Fernsehen. | |
Die maliziös gelupfte Augenbraue der Anne Will, die dauergeduckte Haltung | |
des hünenhaften Ulrich Wickert, die energiesparlampengleiche Blässe des Tom | |
Buhrow, all diese Dinge sieht unwillkürlich mit, wer die „Tagesthemen“ | |
sieht. | |
## Die urbane „jeunesse dorée“ und ihr Pornobalken | |
Nun steht nicht zu erwarten, dass Roth mit seinem Bärtchen als Trendsetter | |
auftritt, eher als Trendstopper. Gerade männliche Vertreter der urbanen | |
„jeunesse dorée“ tragen unter bunten Sonnenbrillen längst wieder etwas, d… | |
sie selbst ironisch „Pornobalken“ nennen – neuerdings gerne auch | |
wilhelminisch Gezwirbeltes, keinesfalls aber so vierschrötige „Slawenhaken“ | |
wie Wolf Biermann oder Janosch. | |
Auch Roth trägt einen – übrigens fast weißen – Schnauzbart, wie er von | |
Männern bevorzugt wird, deren Männerjob ihnen wenig Zeit für die Bartpflege | |
lässt. Praktisch ist der ordinäre Schnorres, weil er seinen Träger im Falle | |
der Verwilderung schlimmstenfalls wie Friedrich Nietzsche aussehen lässt. | |
Und er ist männlich, weil Barthaare allen kulturellen Überformungen zum | |
Trotz physiologisch nichts anderes sind als Schamhaare im Gesicht. So | |
gesehen signalisiert dieses Attribut eine patriarchalische Autorität und | |
damit einen gewissen Konservatismus. Merke: Ein Bart kann sich nur stehen | |
lassen, wem einer wächst. Darum hängten sich schon die Pharaonen | |
vorsichtshalber künstliche Bärte ins glattrasierte Gesicht. | |
Wir werden erleben, dass ein Satz wie „Der Tarifkonflikt in der | |
Metallindustrie hat sich verschärft“ gleich gewichtiger klingt, wenn ihn | |
jemand sagt, der selbst so aussieht, als käme er gerade von der Frühschicht | |
am Hochofen. Das gilt künftig erst recht für schlechte Nachrichten aus dem | |
Ausland. Denn Thomas Roth trägt, wie der türkische Ministerpräsident | |
Erdogan oder dessen venezolanischer Kollege Nicolás Maduro, ein klassisches | |
Potentatenbärtchen. | |
26 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
## TAGS | |
Thomas Roth | |
Tagesthemen | |
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