Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Homophobie-Ausstellung: „Erpresst, ausgeraubt, verprügelt“
> Lange nach der NS-Zeit war Homosexualität geächtet und verfolgt. Wie
> Polizei, Justiz und Bevölkerung im angeblich liberalen Hamburg gegen
> Schwule vorgingen.
Bild: Frappierende Kontinuität: Büro der Hamburger Kripo, 1948.
taz: Herr Bollmann, angenommen die Hamburger Drag Queen Olivia Jones hätte
vor 60 Jahren ihre Homosexualität offen ausgelebt. Wie wäre es ihr
ergangen?
Ulf Bollmann: Die Öffentlichkeit hätte das nicht gern gesehen. Ein
Auftreten auf der Straße wäre skandalös gewesen und hätte einen
Polizeieinsatz nach sich gezogen. Ihre Stadtführungen hätte sie nicht
machen können.
Die Nazis hatten Homosexuelle verfolgt und ermordet. Hat sich ihre
Situation in der Nachkriegszeit gebessert, Herr Lorenz?
Gottfried Lorenz: Gewiss, schließlich gab es keine Konzentrationslager
mehr. Es begann eine ordentliche Gerichtsbarkeit. Was sich allerdings nicht
geändert hat, waren die gesetzlichen Grundlagen und deren soziale Folgen.
Inwiefern?
Lorenz: Der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches existierte bis 1994. Er war
nicht nur ein Relikt aus der NS-Zeit, sondern existierte seit Gründung des
zweiten Deutschen Kaiserreichs. Danach mussten sexuelle Handlungen zwischen
zwei Männern mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden. Schwule wurden
aufgespürt und verurteilt.
Homophobie gab es also trotz des demokratischen Aufbruchs?
Lorenz: Durchaus. Und nicht nur in den rechten Parteien. Homophobie war in
jeder Gesellschaftsschicht vertreten, selbst unter denen mit einer
angeblich liberalen Haltung.
Was ist der konkrete Anlass für Ihre Ausstellung?
Lorenz: Der Hamburger Richter Matthias Lux hat uns darum gebeten.
Eigentlich war das nicht unser ursprünglicher Plan. Doch waren wir nach
zwei Büchern über das Hamburger Schwulenleben, vielen Stadtrundgängen und
durch die Stolperstein-Initiative bekannt.
Worauf stützen sich Ihre Recherchen?
Bollmann: Vor allem aus Akten des Staatsarchives Hamburg. Viele Quellen
waren auch Glücksfälle. Zum Beispiel hat uns eine Mitarbeiterin eines
Bezirksamtes gesagt, sie habe noch eine Akte. Mit der konnten wir zum
ersten Mal die genauen zeitlichen Abläufe belegen, wie Homosexuelle in
öffentlichen Toiletten systematisch von der Polizei überwacht worden sind.
Hamburg lobt sich gerne als liberal. War es denn als Homosexueller
leichter, in dieser Stadt zu leben?
Lorenz: Nein, die Hauptstadt der Schwulen nach dem Krieg war zunächst
Frankfurt. Dort gab es 1950 eine schlimme Verfolgungswelle. Hamburg als
größte westdeutsche Stadt hatte ebenfalls eine schwule Infrastruktur. Viele
Menschen sagen, die Stadt sei damals liberal gewesen. Unsere Recherchen
konnten das allerdings nicht bestätigen.
Was haben die ergeben?
Lorenz: Dass die Polizei von Anfang an darauf geeicht war, Schwule in
Hamburg aufzuspüren. Fast jeder Verein, den sie gründen wollten, wurde
verhindert.
Bollmann: Es gab Gangs, die Homosexuelle erpresst, ausgeraubt und
verprügelt haben. Zum Beispiel die Dammtorbande: Sie haben Männern am Abend
aufgelauert und so getan, als würden sie sexuellen Kontakt suchen.
Reagierte jemand, wurde er verprügelt und zur Polizei geschleppt. „Das ist
hier ein Schwein“, hieß es dann, „der wollte uns anmachen.“ Polizisten d…
Wache Feldbrunnenstraße fanden das gut und haben sich mehr solcher Anzeigen
gewünscht.
Wie erklären Sie sich diese ausgeprägte Abneigung gegenüber Homosexuellen?
Lorenz: Es ist die Angst vor dem Fremden und die Erziehung in der Nazizeit.
Zudem war Gewalt nach dem Krieg banal und man konnte davon profitieren,
Schwule auszurauben. Die Polizei hat selbst oftmals vermerkt, dass
Homosexuelle keine Anzeige erstatten. Die Zahl der angezeigten Erpressungen
von damals ist sehr gering.
Warum?
Lorenz: Das ist die Angst. Ich habe das selbst erlebt. Während meines
Studiums habe ich mich gegen eine Erpressung gewehrt, bin zur Polizei
gegangen. Das waren bange Wochen. Ich wusste nicht, was geschehen würde.
Gegen mich wurde plötzlich als Schwuler ermittelt, ich hätte vielleicht
nicht weiter studieren dürfen. Meine Mutter hat dann von der Kripo
erfahren, dass ich homosexuell bin.
Bollmann: Gerade die älteren Schwulen sind durch diese Erfahrungen
traumatisiert. Es ist heute ungemein schwierig, Zeitzeugen zu finden. Wir
können in der Ausstellung keine nach dem Paragraphen 175 verurteilten
Männer zeigen. Nicht, dass es sie nicht gäbe – sie wollen mit diesen
Erinnerungen nicht konfrontiert werden und bis heute nicht öffentlich
darüber reden.
Was waren damals gängige Vorurteile und Feindbilder?
Bollmann: Dass sich der Homosexuelle an Jugendliche und Kinder ranmacht, um
sie zu verführen. Daher war das Hauptargument, öffentliche Toiletten
stärker zu kontrollieren, dass sie ja nahe an Spielplätzen liegen würden.
Wir haben in Hamburg allerdings keinen einzigen in der Nähe gefunden.
Soll die Ausstellung Vorurteilen entgegenwirken?
Bollmann: Wir wollen Verständnis und Aufklärung stärken. Es schwirrt die
Vorstellung in den Köpfen, Hamburg sei so liberal. Das entsprach aber
oftmals nicht der Realität. Wir möchten, dass die Besucher über
individuelle Schicksale nachdenken. Das eröffnet vielleicht einen Zugang zu
diesem vermeintlich Fremden namens Homosexualität.
Lorenz: Zudem wollen wir zeigen, dass zwar eine Menge erreicht wurde, aber
der Zustand nicht ungefährdet ist. Die Schwulengeschichte Hamburgs ist noch
lange nicht aufgearbeitet.
Kann man in Hamburg heute unbesorgt homosexuell sein?
Lorenz: Bis heute sind Vorurteile gegen Schwule virulent – in allen
Gesellschaftsschichten.
Hat sich etwas verbessert, seit 2006 das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
in Kraft trat?
Lorenz: Rechtlich ja. Aber das ist so ähnlich wie mit der postulierten
Gleichberechtigung im Grundgesetz: Das haben wir seit 1949, aber es gibt
viele Gruppen, die immer noch benachteiligt werden.
Bollmann: Wir sind frohen Mutes, dass unsere Themen politisch und
gesellschaftlich akzeptiert werden. Die Verfolgung von Schwulen, Lesben und
Transvestiten nach 1945 sollte endlich als Unrecht anerkannt und in
irgendeiner Weise entschädigt wird.
Ausstellung „Liberales Hamburg? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und
Justiz nach 1945“: bis 1. September, Hamburg, Ziviljustizgebäude
22 Jul 2013
## AUTOREN
Amadeus Ulrich
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
## ARTIKEL ZUM THEMA
Entschädigung für Homosexuelle: 30 Millionen für Wiedergutmachung
Justizminister Maas plant den Beitrag für Schwule ein, die nach dem
ehemaligen Paragrafen 175 verurteilt wurden. Ihre Handlungen galten demnach
als strafbar.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.