# taz.de -- Literatursommer Schleswig-Holstein: Von Widerstand und ewiger Suche | |
> Der Literatursommer Schleswig-Holstein widmet sich bis Ende August | |
> AutorInnen aus Litauen, Lettland und Estland widmet. | |
Bild: Literatur aus Estland? Auch Literaturfans unbekannt, denn viele Werke wer… | |
HAMBURG taz | 2010 war es Polen, 2011 die Türkei, 2012 dann China. Dieses | |
Jahr widmet sich der Literatursommer in Schleswig-Holstein Litauen, | |
Lettland und Estland. Muss es dem Literaturfan unangenehm sein, wenn er | |
sich etwa mit estnischer Literatur nicht auskennt? | |
„Gar nicht. Denn bisher ist da nicht viel übersetzt worden“, sagt die | |
Übersetzerin Irja Grönholm. Sie wird die beiden estnischen | |
Schriftstellerinnen Mari Saat und Eeva Park auf ihren Auftritten begleiten. | |
Beide haben sowohl die Sowjetzeit als auch danach den Wechsel in die | |
Unabhängigkeit im Herbst 1991 erlebt. | |
Saat schildert in ihrer Novelle „Im Grunde“ die Suche einer jungen | |
Künstlerin und wenn zwischendurch die „Estonia“ in der Ostsee versinkt, ist | |
damit nicht nur das Schiff gemeint. Park wiederum schickt in dem | |
lesenswerten Roman „Falle, unendlich“ ihre junge Heldin in Abbruchhäuser, | |
in wüste Clubs und üble Spelunken und dann weiter in den Westen, wo es ihr | |
noch weniger gut ergeht. | |
„Beiden Autorinnen geht es um Angstbewältigung und um die Frage, wie man | |
einen Verlust wieder wettmacht und das ist typisch für diese Generation“, | |
sagt Grönholm. Die Texte der jüngeren Generation seien dagegen – wenn man | |
es hart formuliert – flacher und es fehle der große aktuelle Roman. | |
Die junge Republik Estland hat lange die Kultur und damit auch die | |
Literaturförderung abgebaut. „Früher wurden Schriftstellern und überhaupt | |
Künstlern richtig ein Gehalt gezahlt“, sagt Grönholm. „Heute verdienen | |
Autoren so gut wie nix und die Auflagen sind von Zigtausenden, wie es zu | |
Sowjetzeiten war, auf ein paar Hundert geschrumpft.“ Mittlerweile scheint | |
man sich ein wenig zu besinnen und hat einige durchaus lukrative Stipendien | |
eingerichtet – finanziert werden sie durch die Alkohol, Tabak und | |
Glücksspielsteuer. | |
## Aufmüpfige Literatur | |
So etwas hat Lettland nicht. Lettland hat konsequenter jede Art von | |
Literaturförderung an die Wand gefahren, während es zugleich etwa den | |
Gewinn beim Verkauf von Immobilien nicht besteuert. Lettland könne auf eine | |
überaus reichhaltige Literatur zurückblicken, sagt der in Riga lebenden | |
Übersetzer Matthias Knoll. Und das auch zu Zeiten der Sowjetunion. | |
„Es gab vieles an hervorragender, auch an renitenter und aufmüpfiger | |
Literatur, insbesondere in den 70ern und 80ern“, sagt Knoll. Aber ab 1991 | |
sei es bergab gegangen. Große Ausnahme sei die Kinder und Jugendliteratur. | |
Darum reist Knoll auch mit dem Kinderbuch „Die wilden Piroggenpiraten“ von | |
Maris Putnins nach Schleswig-Holstein. | |
Und ja, es gebe immer wieder spannende Texte junger Autoren, aber ihnen | |
fehle der Rückzugsraum, um an ihren Talenten dauerhaft zu arbeiten. | |
„Schriftsteller wird man nicht einfach so, man muss viel Zeit und Arbeit in | |
seinen Stil investieren“, sagt Knoll. Auch gebe es so gut wie keine | |
Lektoren mehr und der Buchmarkt sei nahezu zusammengebrochen. | |
## Alter Kram | |
„Es kann sich keiner leisten, ein guter Autor zu werden“, sagt Knoll und | |
hat noch eine Anekdote parat. „Bei meinen literarischen Führungen durch | |
Riga sind manchmal Besucher dabei, die sagen: ’Ach, lesen Sie doch nicht | |
immer diesen alten Kram! Haben Sie nichts Gegenwärtiges?‘“ Hat er | |
natürlich, erzählt Knoll. „Und wenn ich es dann vortrage, meist ist es ein | |
Gedicht, bin ich nicht mal bei der Hälfte angekommen und es heißt: ’Okay, | |
wir haben verstanden.‘“ | |
Und Litauen? Litauen war 2002 Gastland der Frankfurter Buchmesse – mit dem | |
Titel „Die Mitte liegt ostwärts“. Litauen schlug damals das Angebot aus, | |
sich die Halle mit Lettland zu teilen. Stattdessen bestellte man nur eine | |
halbe Halle und hat aus dieser Gelegenheit, sich auch dem deutschsprachigen | |
Markt vorzustellen, nicht allzu viel gemacht. Nur der Versuch des damaligen | |
litauischen Ministerpräsidenten Algirdas Brazauskas, eine Diskussionen über | |
die jüdische und kommunistische Vergangenheit des Landes zu unterbinden, | |
sorgte vorab für einen ordentlichen Skandal. | |
Vertreten wird Litauen nun im schleswig-holsteinischen Literatursommer von | |
Marius Ivaskevicius (Jahrgang 1973). Er stellt mit „Die Grünen“ einen | |
relativ ruppigen Roman vor. Erzählt wird von einer skurrilen | |
Partisanentruppe, die ab August 1950 den ungleichen Kampf gegen die | |
sowjetischen Besatzer aufnimmt. | |
In Litauen sind wie in den beiden anderen Staaten derlei wahre, halb wahre | |
oder auch komplett erfundene Widerstandsaktionen bis heute eine Quelle | |
nationalen Stolzes. Kommen wird auch Teodoras Cetrauskas, der aus dem Buch | |
„Irgendwas, irgendwie, irgendwo“ lesen wird, das den bräsigen Untertitel | |
„Ironische Stadtgeschichten“ trägt und aus den 1980er Jahren und damit aus | |
Sowjetzeiten stammt. | |
## Literarische Miniaturen | |
Und das soll interessant sein, fragt man sich, bis man Cetrauskas | |
literarische Miniaturen liest und auf einen angenehm altmodischen, genau | |
beobachtenden und von untergründigem Humor nur so getränkten Schriftsteller | |
stößt. | |
In seinem Vorwort erzählt der ehemalige Lektor eines damals staatlich | |
kontrollierten Verlags von seinem sozialistischen Arbeitsalltag und einem | |
wird klar, wie dennoch oder trotzdem widerständige Literatur entstehen | |
konnte: „Ich selbst kam gewöhnlich gegen elf in mein Verlagsbüro | |
(Arbeitsbeginn war um neun Uhr), begab mich dann erstmal in die Kantine, | |
einen Kaffee trinken, und vielleicht noch einen Likör. Dann rauchte ich im | |
Korridor und unterhielt mich über ein unverfängliches Thema. | |
Hatte ich daraufhin eine halbe Stunde am Schreibtisch verbracht, war es | |
Zeit, im Sportkomplex schwimmen zu gehen, Basketball zu spielen oder die | |
Sauna aufzusuchen. Anschließend speiste ich im Restaurant, kehrte an meinen | |
Arbeitsplatz zurück, hängte dort meinen Mantel auf und ging in die Kantine, | |
einen Kaffee...“ | |
Also, ist das nicht einfach schön geschrieben? | |
Literatursommer Schleswig-Holstein: bis 31. August an verschiedenen Orten | |
im Land. Das ganze Programm gibt es unter [1][www.literaturhaus-sh.de] | |
23 Jul 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.literaturhaus-sh.de | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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