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# taz.de -- Passgenauer Paternalismus: Wie viel ist zu viel?
> Ein Jobcenter bezieht Dresche für eine Hartz-IV-Broschüre: Sie nehme
> Betroffene nicht ernst. Aber passt das nicht zu dem, was der Staat und
> seine Agenturen „fordern und fördern“ nennen?
Bild: "Moderner, serviceorientierter Dienstleister": Unter anderem setzt die Br…
HAMBURG taz | Eine Broschüre für Hartz-IV-Betroffene hat dem Jobcenter im
schleswig-holsteinischen Landkreis Pinneberg Protest aus der ganzen
Republik eingebracht. Das Erwerbslosen-Forum Deutschland erkannte „äußerst
fragwürdige Tipps“ und eine „Verhöhnung“ der Adressaten. Sprecher Martin
Behrsing mutmaßte, die Verantwortlichen müssten „wohl äußerst schlechte
Drogen“ genommen haben, „um so viel geschmacklosen Unsinn zu verbreiten“.
Weniger drastisch, in der Tendenz ähnlich, äußerten sich Arbeiterwohlfahrt
und Paritätischer Wohlfahrtsverband sowie SPD-Abgeordnete aus dem Bundestag
und dem Kieler Landtag. Zur SPD, Sie erinnern sich, gehörte auch
Bundeskanzler Gerhard Schröder, der 2005 einen Schwung Arbeitsmarktreformen
bei VW-Buddy Peter Hartz bestellte.
Im 112-Seiten-Ratgeber muss die fiktiv-idealtypische Familie Fischer –
Vater, Mutter, eine Tochter, ein Sohn – mit der überraschenden
Arbeitslosigkeit von Vater Knut umgehen, mit der Suche nach einem Job – und
der Bürokratie, die damit einhergeht. „Unsere Intention war es, einen
nüchternen Gesetzestext in eine verständliche Sprache zu übersetzen“,
erklärte der Pinneberger Jobcenter-Sprecher Jörg Kregel. In etwaigen
künftigen Ausgaben werde man die Kritik berücksichtigen. Die entzündete
sich hauptsächlich an den Empfehlungen, wie Arbeitsuchende mit dem
überschaubaren Regelsatz hinkommen können: etwa im Internet versteigern,
was nicht mehr benötigt auf dem Speicher verstaubt, Vegetarier werden oder
statt Wasser in Flaschen solches aus der Leitung trinken.
Das seien Tipps, „die regelmäßig in jeder Verbraucherzeitung stehen“,
verteidigte Heinrich Alt, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, die
Pinneberger Broschüre. Nicht die sei „schräg“, sondern die Debatte darüb…
Richtig ist: In anderen Kontexten, auch in der taz, gehört die Empfehlung,
auf Fleisch zu verzichten, zum Kernbestand der Maßnahmen gegen den
Klimawandel – im Fall der Broschüre sorgt sie für Ärger.
Lässt man sich auf den Vorwurf ein, dass hier Menschen, denen es ohnehin
dreckig geht, mit nutzlosen Pseudo-Tipps behelligt werden, fragt sich: Wäre
das überhaupt ein Bruch mit dem, was Hartz-IV-Betroffene ohnehin erleben?
Wird auf diesen 112 Seiten aus dem Landkreis Pinneberg wirklich eine Grenze
überschritten – angesichts der vielfach als entmündigend empfundenen
Behandlung durch überforderte Sachbearbeiter, an der sich so gar nichts
dadurch ändert, dass sie ihr Gegenüber auch schon mal als „Kunde“
bezeichnen?
Hinweis: Das ausdrückliche Angebot, ihre Sicht der Dinge zu diesem
Schwerpunkt beizusteuern, hat die Geschäftsführung des Jobcenters
abgelehnt.
Lesen sie mehr in der taz.am.wochenende. Oder im e-Paper [1][hier]
26 Jul 2013
## LINKS
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## AUTOREN
Alexander Diehl
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