# taz.de -- Box-Set zu Música Popular Brasileira: Trennkost für Gourmets | |
> Warner Brothers öffnet seine Archive und veröffentlicht CD-Boxen dreier | |
> brasilianischer Popstars: Ellis Regina, Gilberto Gil und Milton | |
> Nascimento. | |
Bild: Gilberto Gil hat für Warner zwischen 1975 und 2009 fast 20 Alben aufgeno… | |
BERLIN taz | Dass die drei verbliebenen Musikmultis jetzt synchron | |
angefangen haben, üppige Multi-CD-Boxen mit Material aus ihren | |
wohlgefüllten Archiven für ein schlappes Dutzend Euros auf den Markt zu | |
schleudern, ist eine Entwicklung, die uns wählerische Music Lover doch | |
eigentlich glücklich machen sollte. Fünf stilprägende, historische Alben | |
von Joni Mitchell, Dr. John oder Charles Mingus zu einem Stückpreis von | |
unter drei Piepen? Gut! | |
Dass sich die Freude dann doch nicht so recht einstellen mag, ist eine | |
Geschichte, die man auch als Metapher für das Versagen und den Untergang | |
eben jener Musikmultis generell lesen kann. Und wir wollen sie erzählen am | |
Beispiel der kürzlich veröffentlichten 5-CD-Boxen mit Alben brasilianischer | |
Künstler, die der globale Musikkonzern Warner Bros. veröffentlicht hat. Mit | |
Gilberto Gil, Elis Regina und Milton Nascimento hat Warner drei Künstler | |
ausgewählt, die international ein tadelloses Standing haben, dennoch nicht | |
gerade im Mainstream angesiedelt sind und eher ein Gourmet-Publikum | |
ansprechen. | |
Von diesen Kanonen der „Música Popular Brasileira“ (MPB) die Schlüsselalb… | |
in ein Paket zu packen und dem geneigten Publikum für weniger als den Preis | |
eines einzelnen neuen Albums anzubieten, klingt doch nach einer schönen, | |
sozialen Idee. Aber schauen wir uns die Päckchen mal genau an. Die Musik | |
allein kann man sich ja auch digital besorgen. Entscheidet man sich fürs | |
Medium CD, sollten doch zumindest die Vorteile genutzt werden, die | |
physische Produkte im Allgemeinen ihren digitalen Geschwistern gegenüber | |
haben. | |
## Hässliche neue Frontcovers und enttäuschende Inhalte | |
## | |
Vielleicht muss man nicht die kompletten Textbeilagen der | |
Vinyl-Originalausgabe mitliefern, vielleicht auch nicht sämtliche Credits | |
(wobei: Warum eigentlich nicht?). Aber welchen Grund gibt es, nur die | |
Original-Frontcover für die Pappeinstecktaschen zu nutzen, nicht aber die | |
Rückseiten? Die sind (hässlich) neu gestaltet worden und enthalten nur ganz | |
dürr eine Auflistung der Titel. | |
Die Originale waren da auskunftsfreudiger und hätten natürlich auch jenen | |
Käufertypus mehr erfreut, der sich hierzulande für 30 bis 40 Jahre alte | |
Musik aus Brasilien interessiert. Hätte Warner nicht noch die Neugestaltung | |
der Hüllen bezahlen müssen, könnte man die Boxen außerdem womöglich sogar | |
für noch weniger Geld erwerben. | |
Mehr zu meckern gibt es auf den zweiten Blick. Elis Regina wechselte vier | |
Jahre vor ihrem Tod (1982) zu Warner und veröffentlichte dort nicht gerade | |
die besten Alben ihrer Karriere. Es erschienen jedoch postum zwei | |
Livealben, von denen das zuerst veröffentlichte, ein Mitschnitt vom | |
Montreux Jazz Festival 1979, das deutlich interessantere ist, in dieser Box | |
jedoch das einzige ihrer Warner-Alben ist, das fehlt. | |
Stattdessen gibt es nicht nur das weniger inspirierte Live-Album „Elis | |
vive“, sondern auch noch die überflüssige Compilation „Elis por ela“, d… | |
größtenteils Titel enthält, die auf den anderen drei Studioalben der Box | |
bereits enthalten sind. | |
Gilberto Gil hat für Warner zwischen 1975 und 2009 fast 20 Alben | |
aufgenommen. Darunter sind absolute Preziosen, aber auch einige Ausfälle, | |
besonders aus jener Zeit in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, als die | |
gesamte MPB-Welt von einer gewissen Ratlosigkeit geprägt war. | |
Mit „Refazenda“, „Refavela“ und „Realce“ sind in der Box nun immerh… | |
Alben enthalten, die in den siebziger Jahren die MPB entscheidend prägten | |
und auch heute noch (mit Abstrichen bei „Realce“) nichts an Wert verloren | |
haben. Mittlerweile wurden sie alle remastered und mit Bonus-Tracks auf CD | |
veröffentlicht, doch eben diese Bonus-Tracks sind hier nur bei „Refavela“ | |
enthalten. | |
## Beispiellose Tiefpunkte | |
Die zwei restlichen Alben sind allerdings beispiellose künstlerische | |
Tiefpunkte in Gils Karriere: Das Billo-Rock-Album „Raça humana“ von 1984 | |
enthält keinen einzigen hörbaren Song, das 18 Jahre später veröffentlichte | |
„Kaya n’gan daya“ dokumentiert einen von diversen Versuchen Gils, Reggae | |
aufzunehmen, was immer komplett in die Hose ging, auch bei diesem | |
rührend-verunglückten Tribut an Bob Marley. | |
Zu Milton Nascimento sollte ich mich vielleicht nicht äußern. Sein | |
Debütalbum „Travessia“ von 1967 ist in meinen Augen einer der großen | |
Geniestreiche der Musik des 20. Jahrhunderts, aber von da an ging’s | |
lichtschnell bergab. Als er in den neunziger Jahren bei Warner ankam, hatte | |
er nicht nur seit ewigen Zeiten keinen interessanten Song mehr geschrieben, | |
auch seine in jungen Jahren unfasslich anrührende Stimme hatte substanziell | |
Schaden genommen. Was blieb, war ein umständlicher Prog-Rock, dominiert von | |
vielen schwer erträglichen Keyboardsounds, die womöglich Fans von Peter | |
Gabriel und Marillion begeistern. | |
Liebe Musikindustrie, wir Music Lovers halten uns mit unserem Mitleid | |
anlässlich eurer Agonie ja nicht nur deshalb so zurück, weil wir | |
schadenfroh sind oder so gerne illegal downloaden. Wir fühlen uns von euch | |
verschaukelt. Wir denken, dass ihr Musik keine Wertschätzung | |
entgegenbringt. | |
Ihr könntet es ja zum Beispiel so machen wie die Kollegen vom | |
Universal-Sublabel Dubas, das unter anderem Nascimentos „Travessia“ 2002 in | |
einer vorbildlichen Edition herausbrachte. Oder wie das Londoner | |
Indie-Label SoulJazz, das die beiden Elis-Regina-Werke „Samba … eu canto | |
assim“ und „Elis Regina in London“ voller Liebe und mit vorbildlicher | |
Artwork wiederveröffentlichte. Macht ihr aber nicht, kriegt ihr nicht hin. | |
Oder wollt ihr nicht …? | |
6 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Detlef Diederichsen | |
## TAGS | |
Brasilien | |
Jazz | |
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