# taz.de -- Friesisch-Forscher Alastair Walker: „Die Basis bröckelt weg“ | |
> 40 Jahre mit dem Friesischen befasst: Ein Gespräch über Feldforschung und | |
> die Schönheit von Worten. | |
Bild: Alastair Walker in seinem Büro an der Kieler Christian-Albrechts-Univers… | |
taz: Herr Walker, wann ist ein Wort schön? | |
Alastair Walker: Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Ein Wort kann rein | |
phonetisch schön sein, wenn es sich gut anhört. Oder es ist schön, weil es | |
eine bestimmte Konnotation hat. | |
Sie sind Friesisch-Forscher. Haben Sie ein Beispiel aus dieser Sprache? | |
Wir haben mal ein Experiment gemacht mit unseren Studenten, die sprechen | |
verschiedene Friesisch-Mundarten. Als sie alle zusammen waren, haben wir | |
eine Art Gemeinfriesisch entwickelt. Wir haben dafür aus den verschiedenen | |
Mundarten Wörter genommen, die sich schön anhören. Zum Beispiel das Wort | |
Zuhause. „Ich bin Zuhause“ heißt auf Festlandsfriesisch: „Ik ban ine“ … | |
auf Föhrer und Amrumer Friesisch: „Ik san aran“. Und aran hört sich | |
wirklich sehr schön an, viel schöner als ine. | |
Ist das auch Ihr friesischer Lieblingsausdruck? | |
Nein, der lautet: „Wat’n häi“. Das heißt übersetzt „Welche Freude“… | |
„Ach, wie schön!“. Das sage ich immer wieder. | |
Sie sind britischer Staatsbürger, woher kommt Ihre Begeisterung für die | |
Mini-Sprache Friesisch? | |
Ich habe in England die Fächer Deutsch und Allgemeine Sprachwissenschaft | |
studiert. Da mussten wir das dritte Studienjahr an einer deutschen | |
Universität verbringen und eine schriftliche Arbeit verfassen. Ich hatte | |
einen sehr guten Professor in England, der gesagt hat: Walker, gehen Sie | |
nach Kiel und schreiben Sie eine Arbeit über das Friesische. Ich wusste | |
nicht, was das ist. | |
Was haben Sie dann in Kiel gemacht? | |
Ich wurde ins Friesische eingeführt und habe Feldforschung betrieben: Ich | |
war sechs Wochen auf einem Bauernhof in Dagebüll und habe von dort aus | |
jeden Tag Friesen mit meinem Tonbandgerät besucht. Das war meine | |
Bachelor-Arbeit. Ich bin dann als Stipendiat noch mal nach Kiel gekommen | |
und wurde 1972 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Nordfriesischen | |
Wörterbuchstelle. | |
Was sind dort Ihre Aufgaben? | |
Seit 1988 hat die Wörterbuchstelle etwa zwölf Wörterbücher herausgebracht. | |
Außerdem betreibe ich Mundartkunde, ich habe in fast allen Dörfern auf dem | |
Festland Tonaufnahmen gemacht. | |
Wie läuft so ein Besuch von Ihnen bei Friesisch-Sprechern ab? | |
Ich frage: Wie sagst du in deiner Mundart laufen, rennen, die Kuh, der | |
Deich und so weiter. Ich habe rund 1.100 Wörter, die ich abfrage. Dann | |
erzählen sie das, ich nehme das auf und anschließend analysiere ich die | |
Mundart. In einem anderen Projekt untersuche ich die sprachliche | |
Sozialisierung und frage: Welche Sprachen sprichst du, wie hast du sie | |
gelernt und wann? Eine meiner Lieblingsinformantinnen, Sophie, war schon | |
fünfsprachig, bevor sie zur Schule kam. | |
Wie geht das? | |
Ihr Vater war Reichsdäne, also ein dänischer Muttersprachler aus Dänemark, | |
ihre Mutter kam aus Nordfriesland und hat zu Hause Friesisch gesprochen. | |
Die Familiensprache wurde Festlandsfriesisch, Sophies Muttersprache. Von | |
ihren Großeltern väterlicherseits hat sie Dänisch gelernt. Die Mutter hatte | |
eine Cousine auf Sylt – so hat sie passive Kenntnisse des Sylter Friesisch | |
erworben. Dann hat sie mit den anderen Kindern im Dorf gespielt, die nur | |
Plattdeutsch sprachen. Und es gab auf dem Hof einen Knecht, der aus | |
Flensburg kam, von dem Sophie Hochdeutsch gelernt hat. | |
Wann war das? | |
In den 1920er-Jahren. Seit Anfang der 90er-Jahre habe ich Sophie oft | |
besucht und befragt. | |
Das ist lange her. Gibt es heute noch fünfsprachige Fünfjährige in | |
Nordfriesland? | |
Wir haben das Problem, dass die Mehrsprachigkeit stark nachgelassen hat. | |
Deshalb ist ein großer Teil meiner Arbeit die Dokumentation mit Tonband. | |
Wir haben eine umfangreiche Sammlung von Tonaufnahmen der friesischen | |
Mundarten, die von verschiedenen Kollegen gemacht worden sind. Aber ich | |
muss noch mehr machen. Nicht nur das Friesische soll dokumentiert werden, | |
sondern auch der Sprachwandel. | |
Was stellen Sie fest? | |
Es gibt noch Kinder, die Friesisch sozialisiert werden. Es gibt etwa eine | |
ganz spannende dreisprachige Grund- und Hauptschule, die friesisch-dänische | |
Schule in Risum-Lindholm. Die Kinder sprechen hier drei Sprachen. | |
Aber das ist doch eher die Ausnahme, oder? | |
Die Zahl der Friesisch-Sprecher hat bedauerlicherweise in den letzten 40 | |
Jahren nachgelassen. | |
Über welche Dimensionen reden wir? | |
Als ich anfing, hat man von 10.000 Friesisch-Sprechern gesprochen, heute | |
eher von 8.000, ein Kollege schätzt die Zahl auf 5.000 Menschen. Ich weiß | |
es nicht. | |
Merken Sie die Veränderung auch bei Ihren Studenten? | |
Natürlich. Was auffällt: Wir haben rund 50 Studierende, die an unseren | |
Veranstaltungen teilnehmen. Am Anfang gab es Druck von unten: Es gab | |
friesische Studenten, die sagten, wir brauchen dringend ein Fach Friesisch. | |
Dadurch ist das Fach etabliert worden. Damals sprachen viele Studenten | |
Friesisch. Heute kommen die wenigsten aus Nordfriesland, sie kommen aus | |
allen Teilen Deutschlands und zum Teil aus dem Ausland. | |
Mit welcher Folge? | |
Wir können nicht mehr so leicht Friesisch als Umgangssprache benutzen, weil | |
es nicht mehr die Muttersprache der Studierenden ist. Das zeugt von diesem | |
allgemeinen Sprachwechsel in Nordfriesland. Die Basis bröckelt weg. | |
Das klingt frustrierend. Warum sind Sie in Kiel geblieben? | |
Ich finde die Situation außerordentlich spannend hier. Sie dürfen nicht | |
vergessen: Ich komme aus dem monolingualen England. Und ich mag die | |
Friesen, auch weil sie mich so liebevoll aufgenommen haben. Außerdem liegt | |
mir die Arbeit draußen im Feld. | |
Was ist Ihr Ansatz: Wie kann Friesisch gestärkt werden? | |
Wir müssen Friesisch in der Schule weiterentwickeln, wir brauchen eine | |
Mehrsprachigkeitsdidaktik. Ein Problem ist, dass Englisch inzwischen in der | |
dritten Klasse Pflichtfach ist und viele Eltern deshalb sagen: Mein Kind | |
kann auf keinen Fall zwei Fremdsprachen gleichzeitig lernen. Das ist | |
falsch. Das ist eine Frage der richtigen Didaktik. Früher hat man es den | |
Eltern nahe gelegt, nur Hochdeutsch mit ihren Kindern zu sprechen, um ihnen | |
den Schulbesuch zu erleichtern. Da könnte man die Frage formulieren: Ist | |
das Kind für die Schule da oder die Schule für das Kind? | |
Sie meinen: Wenn die Schule für das Kind da ist, dann stellt sie sich | |
darauf ein, dass die Kinder eine Regionalsprache sprechen, wenn sie | |
eingeschult werden? | |
Ja, so müsste das sein. Aber das haben Schulen oft nicht getan. Das ist | |
keineswegs nur ein Problem in Nordfriesland, sondern weltweit. Kinder sind | |
geschlagen worden, wenn sie die Regionalsprache in der Schule verwendet | |
haben. | |
Sie engagieren sich auch in der internationalen Minderheiten-Arbeit. Warum | |
begeistern Sie sich so dafür? | |
Ich interessiere mich für Europa, für verschiedene Sprachen und Kulturen. | |
Für mich ist es ein idealer Urlaubsort, wenn ich in die Berge gehen kann, | |
um zu wandern, wenn es dort eine spannende sprachliche Situation gibt, in | |
Chur, im rätoromanischen Teil der Schweiz, beispielsweise oder im | |
österreichischen Kärnten, wo es auch Slowenen gibt. Wenn es dann auch noch | |
eine gute Küche gibt, ist es perfekt. Und wie ein Staat mit Minderheiten | |
umgeht, ist auch eine Frage von Demokratie, von Menschenrechten. Wenn ich | |
unterwegs bin, schaue ich mir etwa an, wie die Minderheiten dort mit | |
Schul-, Hochschulbildung, Medien umgehen. Dann vergleiche ich die | |
verschiedenen Minderheiten – auf der Suche nach Erfahrungen, aus denen wir | |
auch für Nordfriesland etwas lernen können. | |
Haben Sie mit Ihren Kindern Friesisch gesprochen? | |
Nein. Aber sie sind zweisprachig aufgewachsen. Ich habe mit ihnen Englisch | |
geredet, meine Frau Deutsch. | |
Warum kein Friesisch? | |
Weil ich meine Muttersprache mit den Kindern sprechen wollte. Außerdem sind | |
wir zu weit weg von Nordfriesland. Wir wohnen in Nortorf – eine kleine | |
Stadt in der Mitte Schleswig-Holsteins. Mein ältester Sohn hat noch etwas | |
Plattdeutsch beim Spielen gelernt, als wir in einem kleineren Dorf gelebt | |
haben – aber in Nortorf hören Kinder kaum noch Platt. | |
4 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Kummetz | |
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