# taz.de -- Zeitungsmarkt Österreich: Innovation statt Bezahlschranke | |
> Seit 1995 war die Onlineversion des „Standard“ selbstständig. Die | |
> Zusammenlegung mit der Printredaktion soll kein Rückschritt sein. | |
Bild: Barockes Zeitunglesen im Wiener Kaffeehaus. | |
WIEN taz | Wer im Aquarium sitzt, hat den besten Überblick. Von hier kann | |
man den Eingangsbereich, den Empfang und das Großraumbüro von Österreichs | |
jüngster Qualitätstageszeitung Der Standard einsehen – und zugleich von | |
überall beobachtet werden: wie ein Fisch im Wasserglas. Der „Aquarium“ | |
genannte Konferenzraum des Standard ist von überschaubarer Größe, nur rund | |
fünfzehn Stühle verteilen sich um den Tisch. Dennoch war er bislang nur | |
selten voll besetzt, wenn Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid mit den | |
Chefs der einzelnen Ressorts zur Morgenkonferenz traf. | |
Doch seit Donnerstag wird es voller. Zum 1. August wurden die Print- und | |
[1][die Onlineausgabe] formell vereinigt und konferieren daher auch | |
gemeinsam. „Nennen Sie mir eine Onlineredaktion, die sechzig angestellte | |
Mitarbeiter hat“, sagt Föderl-Schmid selbstbewusst. Die 42-jährige | |
ehemalige Berlin-Korrespondentin leitet seit 2007 die Printredaktion. Jetzt | |
steht sie der vereinigten Redaktion vor. | |
Tatsächlich leistet sich keine andere Tageszeitung im deutschsprachigen | |
Raum eine vergleichbare Onlineausgabe. Der Erfolg ist an den Zugriffen zu | |
messen, rund 16 Millionen Visits waren es zuletzt monatlich. Hinter dem | |
Angebot des ORF ist derstandard.at das am meisten genutzte | |
Nachrichtenportal in Österreich. Und nicht nur das: „Wir verdienen auch | |
Geld“, sagt Föderl-Schmid. Die Onlineausgabe trägt sich durch die Werbung | |
selbst. | |
Warum wird sie dann an die Kandare genommen? Beim Start von derstandard.at | |
im Jahr 1995 sei es vorteilhaft gewesen, dass das „nicht als Appendix von | |
Print gelaufen ist, sondern sich sehr eigenständig entwickeln konnte“, sagt | |
Föderl-Schmid. So haben sich „zwei verschiedene Redaktionskulturen getrennt | |
entwickelt. Und das war gut so“, findet auch Eric Frey, der als Chef vom | |
Dienst arbeitet: „Da waren junge Leute, die einen anderen Zugang haben.“ | |
Aber, sagt die Chefredakteurin, „jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo man | |
eine gemeinsame Steuerung braucht“. Die Onlineredaktion sei so gewachsen, | |
dass sie ein Eigenleben entwickelt habe: „Wir haben erkannt, dass sehr viel | |
parallel gearbeitet worden ist.“ Da treffen sich etwa Reporter von Print | |
und Online bei derselben Pressekonferenz. Oder derselbe Minister wird | |
zweimal um eine Stellungnahme gebeten. „Ein Klassiker.“ | |
## Büroturm statt Barock | |
Die redaktionelle Vereinigung fällt zusammen mit der räumlichen | |
Veränderung, zum Jahreswechsel zog man vom barocken Ambiente in einem | |
zentral gelegenen Stadtpalais mit zwei Außenstellen in einen modernen | |
Büroturm am Rande der Innenstadt. Nur der Wienfluss und die U-Bahnlinie 4 | |
trennen das Haus vom Gründerzeitbau des Museums für Angewandte Kunst. Das | |
Finanzministerium ist gleich ums Eck, auch die Ministerien für | |
Landwirtschaft und Soziales sind nur einen Steinwurf entfernt. | |
Der neue Glaspalast bietet auf zweieinhalb Etagen allen Redaktionen und | |
Verwaltungsabteilungen Platz. Das Großraumbüro im Erdgeschoss ist eigens | |
für Redaktionszwecke gestaltet. Die weißen Paneele an der Decke und der | |
flauschige Teppich brechen und schlucken Geräusche. Für Interviews stehen | |
schallgeschützte Inseln zur Verfügung. Sie gleichen gepolsterten | |
Strandkörben, die einander gegenüber stehen. Die Sparefrohgasse an der | |
Seitenfront des Gebäudes verrät, dass hier früher eine Bank zu Hause war. | |
Demnächst soll dort ein Schanigarten entstehen – also ein paar Tische unter | |
freiem Himmel, an denen getratscht und Kaffee getrunken werden kann. | |
Wie praktisch alle Zeitungen leidet Der Standard unter der Wirtschaftskrise | |
und dem allgemeinen Strukturwandel der Medienbranche. Wobei das 1987 von | |
Oscar Bronner gegründete Medienhaus 2011 noch einen Gewinn von 3,4 | |
Millionen Euro erzielt hatte – 2012 waren es prekäre 142.000 Euro. | |
Die Geschäftseinnahmen seien stabil, versichert Föderl-Schmid. Aber die | |
Einahmen einer Zeitung hingen eben zu zwei Dritteln vom Anzeigengeschäft ab | |
– und das sei eingebrochen, das kann man auch am schlanken Umfang der | |
Zeitung erkennen, deren durchschnittlich verkaufte Auflage im zweiten | |
Halbjahr 2012 bei 68.163 Exemplaren lag. | |
Aber man ist erfinderisch. Seit einigen Monaten wird an die Abonnenten der | |
Wochenendausgabe sowie an 4.000 frühere Abonnenten der Kompakt-Standard | |
verschickt. Nach dem Vorbild der Welt kompakt soll diese Kleinversion | |
Leserinnen und Leser einfangen, die zu wenig Zeit haben, um eine komplette | |
Zeitung zu lesen oder sich vom günstigen Preis von einem Euro ansprechen | |
lassen. | |
Der Inhalt ist ein Best-of von weitgehend ungekürzten Artikeln und dem | |
Hauptkommentar aus der Printausgabe – auch Kreuzworträtsel und Sudoku | |
dürfen nicht fehlen. „Das habe ich gelernt“, sagt Föderl-Schmid, die selb… | |
mit Rätseln wenig anfangen kann: „Das ist wichtig für die | |
Leser-Blatt-Bindung.“ Ob sich die Kompaktausgabe als Dauereinrichtung | |
etablieren wird, ist noch nicht entschieden. Der Aufsichtsrat hat bis | |
Jahresende grünes Licht gegeben. | |
## Aktive Onlinegemeinde | |
Die Leser-Blatt-Bindung ist auch bei der Onlineausgabe stark. Keine andere | |
Zeitung hat ein so aktives Forum. Zu manchen Artikeln melden sich mehrere | |
hundert Leser zu Wort, 18.000 bis 20.000 Postings werden an einem | |
durchschnittlichen Tag registriert. Dazu kommen noch mehrere Dutzend Emails | |
und einige echte Leserbriefe an die Redaktion. Alexandra Föderl-Schmid | |
versucht, sie alle zu beantworten. | |
Eine Bezahlschranke, wie sie in manchen Zeitungen nach jahrelanger | |
Gratisexistenz eingeführt wurde, ist im Standard derzeit kein Thema. Das | |
wurde nicht einmal diskutiert. Vielmehr versucht man bei Innovationen die | |
Nase immer vorn zu haben. | |
Pionierarbeit leistete die Onlineredaktion mit ihren Live-Tickern: Bei | |
Aufsehen erregenden Prozessen kann man sich darauf verlassen, dass | |
Standard-Leute im Gerichtssaal sitzen und jede Aussage in Echtzeit | |
dokumentieren. Auch in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, wo in | |
Österreich keine Bild- und Tonaufnahmen zulässig sind, nützen die Ticker | |
eine Gesetzeslücke, die nur gegen heftigen Protest zu schließen sein würde. | |
## Gegen den Trend | |
„Die Frage kommt bestimmt. Darum sage ich es gleich: Wir werden keine | |
Stellen abbauen“, beeilt sich Alexandra Föderl-Schmid, die Folgen der | |
Synergie zu klären. Vielmehr wurden 23 Personen im redaktionellen Bereich | |
zusätzlich eingestellt. Bei ihnen handelt es sich allerdings um | |
Pauschalistinnen und Pauschalisten, die bisher zu schlechteren Bedingungen | |
die gleiche Arbeit verrichtet haben. | |
Geschäftsführung und Redaktion blicken also durchaus optimistisch in die | |
ungewisse Zukunft, die von weiter schrumpfendem Anzeigenmarkt, | |
Gratisblättern und zunehmendem virtuellem Medienkonsum geprägt sein wird. | |
Föderl-Schmid ist sicher, dass es den Standard auch in 20 Jahren noch geben | |
wird: „Weil es Vorteile gibt, die das schnelle Medium online nicht bringen | |
kann: die Hierarchisierung und Selektion. Was ist wichtig? Das schätzen | |
viele.“ In einer Welt, wo alles immer schneller verfügbar ist, würden diese | |
Kerntugenden des Zeitungsjournalismus stärker zum Tragen kommen. | |
4 Aug 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://derstandard.at/ | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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Zeitungssterben | |
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Frankfurter Rundschau | |
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