# taz.de -- Iggy & The Stooges in Berlin: Ich will deine Hund sein! | |
> Auch in Berlin zieht Iggy das Hemd aus. Die Stooges tragen würdevolle | |
> Bäuche. Am Ende zeigt Iggy noch seinen Po. Man ist begeistert. | |
Bild: Man munkelt, Iggy würde gar keine Oberbekeidung besitzen. | |
BERLIN taz | 1973 war Schluss mit der Disziplinargesellschaft. 1973 nahmen | |
Iggy and the Stooges „Raw Power“ auf. Das erste Stück dieses epochalen | |
Albums trägt denselben Titel, „Raw Power“, und mit ihm fängt Iggy Pop auch | |
sein Konzert in der Zitadelle Spandau an, das einzige in Deutschland in | |
diesem Sommer: „Dont you try, don’t you try to tell me what to do / | |
Everybody’s always tryin’ to tell me what to do.“ | |
Die Botschaft ist angekommen bei immer neuen Generationen, und so jubeln | |
die weißhaarigen Freaks, die Punkmütter und die jungen Hüpfer gemeinsam, | |
als es los geht. Alle strahlen wie Atomkraftwerke. | |
Iggy, Sohn eines Lehrers und einer Sekretärin, in einem Trailer Park in | |
Ypsilanti, Michigan aufgewachsen, springt auf die Bühne, als wäre er nicht | |
vor kurzem 66 geworden. Er trägt schwarze Jeans, schwarze Lederstiefel und | |
einen Gürtel, das übliche Bühnenoutfit seit Jahrzehnten, weil der | |
wichtigste Bestandteil des Kostüms sein nackter, sehniger, braungebrannter | |
Oberkörper ist, Ausdruck und Beweis dafür, dass es ums Existenzielle geht, | |
dass Iggy alles gibt, wenn er auf der Bühne steht. „Raw power got a healin’ | |
hand / Raw power can destroy a man / Raw Power is so much more than soul / | |
Got a son called Rock’n’Roll“. | |
Man fragt sich, ob Iggy, der gern mal Fernsehmoderatoren über den | |
Unterschied zwischen dionysischer und appolinischer Kunst nach | |
Schelling/Nietzsche aufklärt, Lacan gelesen hat. „Raw Power“ als | |
unzerstörbare Substanz des Lebendigen, die alles antreibt: „Happiness ist | |
guaranteed / It was made for you and me / Can you feel it? / Can you feel | |
it?“ Wir fühlen es und merken auch bald, dass Iggy ein Problem mit seiner | |
Hüfte hat, was ihn nicht daran hindert, auf der Bühne herumzuwirbeln wie | |
ein Derwisch. | |
## Das Recht auf Anderssein | |
Die pure Präsenz des Mannes dementiert den melancholischen Einschlag des | |
neuen, vor kurzem erschienenen Stooges-Album, das „Ready to Die“ heißt. Auf | |
dem Cover sieht man Iggy mit einem Sprengstoffgürtel, im Fadenkreuz. Bei | |
jedem anderen wäre es lächerlich, bei Iggy ist es die treffende | |
Symbolisierung eines Werks, bei dem es um die Verlorenheit des Einzelnen | |
geht, aber eben auch um das Recht auf Anderssein, selbst wenn es die | |
Grenzen des Erwünschten sprengt: „Anytime I want I got a right to move / | |
Anytime I want I got a right to say / No matter what they say.“ | |
Aber nun, Seminar zu Ende, was war los in Spandau? Es ist heiß, die Leute | |
sind begeistert, über 5.000 sind gekommen, eine biblische Menge, in der | |
schwülen Luft hängen Haschischschwaden, die sich mit den Parfums der Frauen | |
mischen, die Stooges tragen würdevolle Bäuche und graue Haare und spielen | |
grandios und mit roher Kraft ihren metallischen Sound, die ersten Stücke | |
sind „Raw Power“, das wunderbare „Gimme Danger“ und „Gun“ vom neuen… | |
Wilde junge Männer lassen sich über die Köpfe der Menge nach vorn tragen | |
und von den streng blickenden Ordnern an der Absperrung in Empfang nehmen, | |
einer streckt triumphierend seinen Schuh in die Luft, als er weggeführt | |
wird. Später schenken die Securitys Wasser an die Leute in der ersten Reihe | |
aus. Im Himmel über Spandau blitzt es. | |
Bei „Search and Destroy“ sitzt Iggy sinnierend am Bühnenrand, danach | |
springt er auf und ruft: „I’m feeling lonely! Come and dance with the | |
fucking Stooges!“ Das lassen sich die Leute in der ersten Reihe nicht | |
zweimal sagen. Nach zwanzig Sekunden ist die Bühne voll, das Personal hat | |
Mühe, die Fans davon abzuhalten, Iggy zu küssen, der es genießt und die | |
Zeilen von „Fun House“ singt: „We been separated a little too long.“ | |
## Leuchtende Gesichter | |
Auf den Gesichtern der Frauen kann man ein Leuchten sehen. Iggy ist sexy, | |
weil er nicht nur sein Begehren ausdrückt, sondern auch albern ist, und | |
weil man in seinen Augen immer wieder die Begeisterung, aber auch die | |
Verwunderung des kleinen Jungen erblickt, der zärtlich den Blick seiner | |
Mutter sucht und sich fragt, wo sie geblieben ist. Iggy ist „the world’s | |
forgotten boy“. Irgendwann sagt er: „Fucking thank you, ich bin zuhaus.“ | |
Immer wieder kommt er runter von der Bühne, tanzt an der Absperrung | |
entlang, und dann steht er strahlend vor einem und singt auf Deutsch: „Ich | |
will deine Hund sein.“ Ich schwöre, er hat mich gemeint. Viel zu früh heißt | |
es: „Gute Nacht, tschussi, auf Wiedersehen!“ Macht aber nichts, weil die | |
folgende Zugabe am Ende gefühlt genauso lang wie das Konzert gewesen ist. | |
Langsam wird’s dunkel, die Blitze mehren sich, und Iggy fordert vom Mann am | |
Lichtpult: „Turn on the lights, I wanna see everybody!“ Am Ende zeigt er | |
seinen nackten Po. | |
Nachdem Iggy gegangen ist, herrscht für ein paar Minuten Ruhe. Dann bricht | |
das Unwetter los. Unter dem mächtigen Tor der Zitadelle suchen die Leute | |
Schutz. Wer trotzdem raus will, muss im Gänsemarsch durch ein schmale Gasse | |
gehen, gefeiert und bejubelt von den Massen. Jeder, der durchs Tor | |
marschiert, bekommt seinen Beifall. Der alte Mann mit dem langen weißen | |
Bart, die Frau im Rollstuhl, die Freunde, die sich unter einer Plastikplane | |
drängeln, und die Mutter mit ihren Kindern. Heute sind wir alle Iggy. | |
7 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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