# taz.de -- Brustkrebs erkennen: Umstrittene Vorsorge | |
> Wer zum Mammographie-Screening geht, geht das Risiko sogenannter | |
> Überdiagnosen ein. Wer nicht hingeht, riskiert mehr. | |
Bild: Frau beim Mammographie-Screening. | |
BERLIN taz | Die Unsicherheit geht um in der Brustkrebsvorsorge in | |
Deutschland. Nach internationalen Studien erweist sich das | |
Mammographie-Screening als nicht so wirksam wie erhofft bei der Bekämpfung | |
von Brustkrebs. Gleichzeitig geraten die vielen „Überdiagnosen“ im | |
Screening zunehmend in die Kritik, denn viele Befunde hätten nicht zum | |
Krebstod geführt. | |
„Es gibt viel falschen Alarm“, sagt Martina Schröder vom Feministischen | |
FrauenGesundheitszentrum (FFGZ) in Berlin der taz. Sie will aber keine | |
konkrete Empfehlung für oder wider die Teilnahme am Mammographie-Screening | |
abgeben. „Wir können die Frauen nur beraten, dass sie selbst eine | |
Entscheidung treffen können.“ | |
In Deutschland wird jede Frau im Alter von über 50 Jahren alle zwei Jahre | |
angeschrieben, sich an der Röntgenuntersuchung der Brust in einer | |
radiologischen Praxis vor Ort zu beteiligen, dies ist kostenfrei und | |
freiwillig und soll die jährliche Krebsvorsorge beim Frauenarzt nicht | |
ersetzen, sondern ergänzen. | |
Etwa jede Zweite der Eingeladenen kommt zur Reihenuntersuchung. Da das | |
Screening erst seit 2005 angeboten wird, fehlen in Deutschland aber noch | |
Langzeitdaten zu Überlebens- und Sterblichkeitsraten. | |
## Jede zweite läßt sich untersuchen | |
Ingrid Mühlhauser, Gesundheitswissenschaftlerin an der Universität Hamburg, | |
erklärte im Gespräch mit der taz, dass nach den Erkenntnissen der | |
internationalen Cochrane Review innerhalb von 10 Jahren nur eine von 2.000 | |
gescreenten Frauen im Alter zwischen 50 und 69 Jahren bedingt durch das | |
Screening einen Brustkrebs überlebt. Demgegenüber aber erhielten zehn von | |
2.000 Frauen eine „Überdiagnose“, sagt Mühlhauser. | |
Unter „Überdiagnose“ versteht man Krebsdiagnosen, aufgrund derer zwar | |
operiert, also Gewebe entfernt wird. Dabei handelt es sich dann aber | |
entweder um Veränderungen, die sich in der Folgezeit gar nicht als bösartig | |
herausgestellt hätten oder die nicht zum Tode führen, etwa, weil die Frau | |
später an einer ganz anderen Ursache verstirbt. Dies erklärte Corinna | |
Heinrich, Sprecherin der Kooperationsgemeinschaft Mammographie, der taz. Im | |
Vorfeld einer Operation ist es leider nicht möglich, schon zu sehen, wie | |
sich ein Karzinom „in situ“, also im noch „ruhenden“ Stadium später | |
tatsächlich entwickeln könnte. | |
Die Kooperationsgemeinschaft, die über das Screening informiert und es | |
bewirbt, spricht aufgrund von Modellrechnungen und Schätzungen von einem | |
relativ günstigen Zahlenverhältnis zwischen den Frauen, die aufgrund des | |
Screenings einen Brustkrebs überleben, und denen, die durch das Screening | |
eine Überdiagnose erhalten. „Wir gehen von einem Verhältnis von eins zu | |
eins aus“, sagt Heinrich. | |
## Eine von 200 Frauen wird geschützt | |
Nach einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss, dem obersten Beschlussgremium | |
von Ärzten-, Kliniken- und Krankenkassenvertretern, veröffentlichten | |
Rechnung bekommen von 200 Frauen, die 20 Jahre lang am | |
Mammographie-Screening-Programm teilnehmen, 60 Frauen einen verdächtigen | |
Befund. Doch nur zehn der Frauen kriegen aufgrund von weiteren | |
Untersuchungen tatsächlich die Diagnose Brustkrebs. Drei weitere Frauen | |
erhalten ebenfalls die Diagnose Brustkrebs zwischen den zweijährlichen | |
Screening-Runden. | |
Von diesen insgesamt 13 Frauen mit der Diagnose sterben drei Frauen an | |
Brustkrebs, 10 dieser Frauen sterben nicht daran. Von diesen zehn Frauen | |
hätte eine Frau ohne die Mammographie zu Lebzeiten nichts von ihrem Krebs | |
erfahren, acht Frauen wären auch ohne Teilnahme am Mammographie-Screening | |
erfolgreich behandelt worden, wenn auch teilweise mit einer belastenderen | |
Therapie. Eine von 200 Frauen wird laut dieser Rechnung dank des Screenings | |
vor dem Tod durch Brustkrebs bewahrt. | |
In der britischen Wissenschaftszeitschrift Lancet tobte allerdings unlängst | |
ein heftiger Streit unter den Experten über diese Zahlenverhältnisse, da | |
sie letztlich auch auf Hochrechnungen beruhen. | |
Wer aber nun glaubt, auf die Mammographie verzichten zu können, weil die | |
Tastuntersuchung zu Hause im Badezimmer schon irgendwie zuverlässig genug | |
sei, wird auch durch Mühlhauser ernüchtert. „Es gibt zwei Studien, die | |
belegen, dass die Selbstuntersuchung der Brust mehr Schaden als Nutzen | |
anrichtet“, sagt Mühlhauser. Denn oft würden aufgrund der Befunde der | |
Selbstuntersuchung fälschlich Folgebehandlungen initiiert. Die Mammographie | |
liefere in jedem Fall die besseren Erkenntnisse als eine Tastuntersuchung. | |
Was also tun? Christian Albring, Gynäkologe und Präsident des | |
Berufsverbands der Frauenärzte (BVF), sieht „gegenüber den allgemeinen | |
Statistiken immer auch das individuelle Schicksal“, so Albring zur taz. Er | |
empfiehlt seinen PatientInnen, wenn sie in die Altersgruppe für die | |
Reihenuntersuchung kommen, das Screening. „Ich erlebe in der Praxis, dass | |
durch Früherkennung schonender behandelt und aggressive Nachtherapien und | |
ungünstige Entwicklungen vermieden werden können“, sagt der Frauenarzt. | |
Von der Kooperationsgemeinschaft Mammographie ist zu hören, dass die | |
Teilnehmerzahlen am Screening trotz der kritischen Medienberichte nicht | |
sinken. | |
16 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
## TAGS | |
Brustkrebs | |
Vorsorge | |
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