# taz.de -- Umstrittene Ruderin Nadja Drygalla: Armes Mädchen | |
> Bei Olympia 2012 sorgte die Ruderin Nadja Drygalla für Aufregung, weil | |
> ihr Freund ein Nazi war. Ein Jahr später will ihre Umgebung nicht darüber | |
> reden. | |
Bild: Was zählt, ist der sportliche Erfolg: Die Ruderszene steht geschlossen h… | |
BERLIN taz | Nein, sagt Nadja Drygalla. Nein, sie möchte eigentlich nichts | |
mehr dazu sagen. Dann legt sie auf. Nein, sagen viele, die man zu Nadja | |
Drygalla befragt. Nein, sagt auch Walter Arnold. Er ist Vorsitzender des | |
Olympischen Ruderclubs in Rostock. „Niemand wird etwas sagen“, orakelt er, | |
„und von mir werden sie schon gar keinen Kommentar bekommen.“ Hans | |
Sennewald, der stellvertretende Vorsitzende des Clubs, hält auch dicht. | |
„Die Sache ist für mich abgeschlossen“, sagt er, „finden Sie doch jemand | |
anderen!“ | |
Sennewald kennt Drygalla vielleicht besser als jeder andere in der Szene | |
der Ruderer. Seine Tochter Ulrike saß lange mit ihr in einem Boot. Nach dem | |
frühen Tod von Drygallas Vater war Sennewald ein väterlicher Begleiter für | |
die junge blonde Ruderin. Doch dazu: nichts. Nein, sagt Sennewald. Es macht | |
klack. Hans Sennewald hat aufgelegt. Es ist ein unheimliches Schweigen. | |
Es hat schnell die Runde gemacht, dass ein Journalist der taz ein Jahr nach | |
dem „Fall“ Drygalla noch einmal Fragen stellt, Fragen nach der Form von | |
Drygalla und Fragen nach Michael Fischer. Fischer, ihr Freund, ehedem | |
Rostocker Nazikader, NPD-Kandidat und Kopf der Nationalen Sozialisten | |
Rostock. Fischer, der ehemalige Riemenruderer, Fotograf und angeblicher | |
Szeneaussteiger. | |
Dass Drygalla bei den Olympischen Spielen mit Fischer zusammen war, hat | |
hohe Wellen geschlagen. Die einen empörten sich über die „Nazibraut“ im | |
deutschen Olympiaachter. Die anderen sprangen der Ruderin schnell bei und | |
sprachen von „Sippenhaft“ und „Gesinnungsschnüffelei“; sie habe sich d… | |
nichts zuschulden kommen lassen, das arme Mädchen. | |
Der Ruderverband lavierte herum. Der Deutsche Olympische Sportbund schickte | |
die Sportlerin nach Hause und rechnete mit dem Faktor Zeit. Intern fand | |
eine Blitzentnazifizierung statt. Drygalla versicherte, sich schon immer | |
von rechtsradikalem Gedankengut distanziert zu haben. | |
Und Michael Fischer fraß öffentlich Kreide: „Mein stärkstes Interesse war | |
das Soziale, natürlich auf nationaler Ebene. Aber ich würde mich nicht als | |
Nationalsozialist bezeichnen“, sagte er einer Nachrichtenagentur. Damit war | |
die Sache für die meisten erledigt. | |
## Geprüfte Soldatin | |
Fast zeitgleich mit der Einstellung des Verfahrens gegen Fischer wegen | |
schweren Landfriedensbruchs wurde Drygalla Ende 2012 in die | |
Sportfördergruppe der Bundeswehr aufgenommen, „nach sehr genauer Prüfung | |
des Antrags“, wie ein Sprecher der Streitkräftebasis in Bonn sagt. | |
Drygalla absolvierte die Grundausbildung in Hannover und trainierte dann | |
härter als jemals zuvor. Sie wollte es wieder schaffen. Ein Platz im Achter | |
war ihr Ziel. Doch die Kraftwerte, im Frühjahr auf einem Ruder-Ergometer | |
gemessen, waren wohl schlechter als 2012. Drygalla schaffte es nicht ins | |
Vorzeigeboot. | |
„Das Bemühen war da“, sagt ihr Trainer Manfred Rahn. „Psychologisch war … | |
okay drauf, aber sie hat zu viel gewollt.“ Es gibt Stimmen, die behaupten, | |
Drygalla sei ganz bewusst ausgebootet worden, um sich weiteren Ärger vom | |
Hals zu halten. | |
„Man hat den Eindruck, dass da auch eine politische Entscheidung | |
dahintersteht“, vermutet ein Insider. Drygalla soll in dieser Phase der | |
Enttäuschung sogar einen Rückzug aus dem Sport erwogen haben, doch jetzt | |
wurde ihre Stelle in der Sportfördergruppe verlängert. Auch Coach Rahn | |
macht Drygalla Mut: „Wir müssen mit jedem Leistungskader gut umgehen, so | |
viel haben wir ja nicht.“ | |
Es ist nicht zu erfahren, was ihre ehemalige Kolleginnen im Olympiaachter | |
von der aktuellen Entwicklung und rückblickend von den Tagen in London | |
halten. Sie alle wurden von der taz angeschrieben. Die Sportlerinnen wollen | |
sich aber nicht äußern und schicken Athletensprecherin Ronja Schütte vor. | |
Schütte bespricht sich, bevor sie Kontakt mit der taz aufnimmt, mit | |
Verbandsfunktionär Mario Woldt, damit sie auch nichts Falsches übermittelt. | |
In einer E-Mail schreibt sie dann, dass die Medien mit ihrer | |
Berichterstattung Nadja Drygalla die Möglichkeit genommen hätten, „das | |
unglaubliche Erlebnis Olympische Spiele weiter zu genießen. Für uns ist es | |
schade, dass sich die meisten Menschen, wenn sie wissen, dass wir an den | |
Spielen teilgenommen haben, nur an diesen Vorfall erinnern.“ Mehr ist nicht | |
von ihr zu erfahren. Auch sie schottet sich ab. | |
## Die Ruderin sei zum „Prellbock“ gemacht worden | |
Es ist ein wiederkehrendes Muster: Die Medien sind schuld am Schlamassel. | |
Das findet auch Kathrin Boron, die ehemalige Ruderin, die jetzt am | |
Olympiastützpunkt in Potsdam arbeitet. „Das Ganze wurde so breitgetreten, | |
das war unfair der Sportlerin gegenüber.“ Drygalla sei zum „Prellbock“ | |
gemacht worden. „Diese Vorgehensweise war nicht okay.“ | |
In der Ruderszene wird Drygalla fast durchweg als „nette, aufgeschlossene, | |
ehrgeizige Person“ beschrieben, als ein Opfer der Presse. „Es wurden viele | |
Gerüchte in die Welt gestreut“, sagt Ruderin Daniela Schultze, die in | |
diesem Jahr oft mit Drygalla trainiert hat. Auch sie sagt: „Das Thema ist | |
durch.“ Aber ist es das wirklich? | |
Die Antifa in Rostock ist Michael Fischer auf der Spur geblieben. „In | |
Social Communitys hat Fischer den Ausstieg nicht richtig hinbekommen“, sagt | |
ein Sprecher der Antifa und verweist darauf, dass Fischer auch nach seinem | |
verkündeten Ausstieg bei Rechtsradikalen als Facebook-„Freund“ gelistet | |
gewesen sei und auch Werbung für „Label 23 – Boxing Connection“ verlinkt | |
habe. Jacken und T-Shirts der Firma werden in der rechten Szene getragen. | |
Auf Fischers Facebook-Profilbild war bis zuletzt ein weiß-roter | |
New-Balance-Sneaker in Großaufnahme zu sehen. In der Szene steht das N für | |
Nationalsozialismus. | |
Fischers Farbwahl spricht für sich selbst. Gleichwohl wurde Fischer weder | |
von der Antifa noch von Endstation Rechts, einem Informationsportal über | |
Nazis in Mecklenburg-Vorpommern, noch von Szenekenner Günther Hoffmann | |
(„Der Fischer ist kein Blöder, der hat eine führende Rolle in Rostock | |
gespielt“) bei rechten Aufmärschen oder Demos gesehen. | |
Er hat sich zurückgezogen, fotografiert für das Label Fail Better | |
Photography am liebsten Blondinen in unschuldiger Pose. Ob er noch immer in | |
der rechten Szene aktiv ist? Eindeutige Hinweise gibt es nicht. | |
## Zaghafter Freigeist | |
Nach längeren Recherchen, die immer wieder an einer Mauer des Abwiegelns | |
und Schweigens enden, unternehmen wir noch einen letzten Versuch beim | |
Olympischen Ruderclub in Rostock. Und siehe da: Der zweite Vorsitzende, | |
Karsten Natzius, möchte reden über die Sache Drygalla. | |
Er sei ein freier Mann in einem freien Land, niemand könne ihm den Mund | |
verbieten, sagt er – auch nicht seine Clubkollegen Sennewald und Arnold, | |
Letzteren nennt er „El Presidente“. Er habe nichts zu verbergen, der | |
Presseboykott sei kontraproduktiv. | |
„Wir haben Fehler begangen in der Anfangsphase“, räumt Natzius ein, vor | |
allem müsse jetzt etwas passieren, weil keine Lehren aus der Vergangenheit | |
gezogen worden seien. „Wie es den Anschein hat, macht ihr Freund weiter“, | |
sagt er – weiter in der rechten Szene. | |
Woher er das wisse? „Das murmelt der Volksmund“, sagt Natzius, | |
Juniorenweltmeister im Rudern aus dem Jahr 1975, und kündigt an, das Thema | |
bei der nächsten Vorstandssitzung aufs Tapet zu bringen. Danach sei er zu | |
einem Treffen mit der taz in Rostock bereit. | |
Nach der Sitzung meldet Natzius sich nur noch einmal per E-Mail. Er | |
schreibt: „Wie angekündigt haben wir Ihr Anliegen am gestrigen Abend im | |
Vorstand des ORC diskutiert. Wir sind der festen Überzeugung, dass über | |
Nadja Drygalla hinreichend berichtet wurde und werden uns zu dieser | |
Angelegenheit nicht mehr äußern.“ | |
Der vermeintliche Freigeist, Chef einer TÜV-Prüfstelle in Rostock, hat sich | |
dem Druck der Funktionäre gebeugt. Auf weitere Anfragen reagiert Natzius, | |
laut Selbsteinschätzung ein „vorwärtsorientierter Mensch mit dem Glauben an | |
das Gute“, nicht. Die Reihen sind wieder fest geschlossen. Der Abweichler | |
wurde auf Linie gebracht. | |
Am Ende ist es genau so, wie es der SPD-Politiker Julian Barlen, Initiator | |
von Endstation Rechts, im Gespräch mit der taz vermutet hat: „Das A und O | |
ist der sportliche Erfolg, alles andere wird negiert.“ Das gilt auch für | |
den deutschen Rudersport. | |
25 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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