# taz.de -- Hirnschädigungen bei US-Footballspielern: Reine Kopfsache | |
> Tausende Ex-Footballprofis erhalten eine Entschädigung für erlittene | |
> Gehirnerschütterungen. Es handelt sich um eine historische Entscheidung. | |
Bild: Ein gefährlicher Sport. Vor allem für den Kopf. | |
Die Summe klingt gewaltig. 765 Millionen Dollar wird die National Football | |
League (NFL) als Entschädigung an Tausende ihrer ehemaligen Angestellten | |
zahlen. Darauf einigten sich die Liga und mehr als 4.500 ehemalige | |
Footballprofis, die gemeinschaftlich geklagt hatten, dass sie durch | |
Gehirnerschütterungen, die sie in NFL-Spielen erlitten hatten, | |
Langzeitschäden erlitten hätten. Die Klubs allerdings, so der Vorwurf der | |
Kläger, hätten Beweise zurückgehalten und die Spieler, die an Krankheiten | |
wie Alzheimer, Parkinson oder Demenz leiden, nicht angemessen und offen | |
über mögliche Schädigungen aufgeklärt. | |
Wenn die zuständige Richterin in Philadelphia ihr zustimmt, wird die mit | |
Hilfe eines Mediators zustande gekommene Einigung rechtskräftig. Dann soll | |
die Hälfte der Summe in den kommenden drei Jahren ausgeschüttet werden, der | |
Rest über weitere 17 Jahre verteilt. Mit dem Geld sollen erkrankte | |
Ex-Profis und die Familien verstorbener Spieler entschädigt, aber auch | |
medizinische Forschung finanziert werden. Auch weitere Ex-Spieler, nicht | |
nur die ungefähr 4.500, die die Sammelklage eingereicht hatten, haben nun | |
in Zukunft die Gelegenheit, Geld aus dem eingerichteten Fonds zu erhalten. | |
Trotz der neunstelligen Entschädigungssumme wird die Beilegung des | |
Rechtsstreits in den USA als Erfolg für die NFL gewertet. 765 Millionen | |
Dollar, die mit Anwaltshonoraren und Gerichtskosten auf nahezu eine | |
Milliarde steigen könnten, das klingt zwar enorm. Doch die Summe | |
relativiert sich, wenn man bedenkt, dass die NFL die umsatzstärkste | |
Profisportliga der Welt ist und momentan jährlich nahezu zehn Milliarden | |
Dollar einnimmt. | |
Die Einigung bedeutet, dass jedes der 32 NFL-Teams über 20 Jahre verteilt | |
ungefähr 30 Millionen zahlen muss. Da kommt der Ersatz des | |
Ersatz-Quarterbacks teurer. Aber die Einigung kam wohl auch deshalb | |
zustande, weil beide Parteien an einer schnellen Einigung interessiert | |
waren: Die klagenden Spieler, weil sie das Geld brauchen, um ihre | |
Arztrechnungen zu bezahlen, und die NFL, weil eine möglichst geräuschlose | |
Lösung keinen weiteren Imageschaden verursacht. | |
## Sicherheit im Football verbessern | |
Trotzdem hat der Mediator, der Richter Layn Phillips, Recht, wenn er sagt: | |
„Dies ist eine historische Einigung, die dafür sorgen wird, dass ehemalige | |
Spieler entschädigt werden und die Sicherheit des Footballs auf allen | |
Leistungsebenen verbessert wird.“ Tatsächlich dürfte die Beilegung des | |
Rechtsstreits, auch wenn die NFL glimpflich davon kam, dafür sorgen, dass | |
nicht nur die Langzeitfolgen von Gehirnerschütterungen besser erforscht | |
werden, sondern das Bewusstsein für die Problematik weiter geschärft wird | |
und auch im Nachwuchsbereich und im College weitere Schutzmaßnahmen | |
eingeführt werden. | |
Schließlich wurde der nordamerikanischen Öffentlichkeit in den vergangenen | |
Jahren immer wieder drastisch vor Augen geführt, dass wiederholte | |
Gehirnerschütterungen ernste Hirnschäden zur Folge haben können. In | |
erschreckender Regelmäßigkeit machen ehemalige Sportstars wie Junior Seau | |
Schlagzeilen, die Amok laufen, sich selbst oder sogar Familienmitglieder | |
umbringen. Depressionen sind unter Ex-Profis an der Tagesordnung, das | |
Risiko an Alzheimer zu erkranken ist drei Mal höher als im Durchschnitt. | |
Während der normale amerikanische Mann 75 Jahre alt wird, liegt die | |
Lebenserwartung eines NFL-Profis zwischen 53 und 59 Jahren. | |
Das Problem existiert natürlich nicht nur im Football, sondern auch in | |
anderen Sportarten, in denen es regelmäßig zu Kollisionen kommt: Beim Boxen | |
und Rugby, beim in den USA immer beliebter werdenden Mixed Martial Arts, | |
aber auch im Fußball und natürlich im Eishockey. Der kanadische | |
Nationalheld Eric Lindros musste seine Eishockey-Karriere nach mehreren | |
Gehirnerschütterungen tränenreich beenden, und auch Sydney Crosby, der | |
aktuell wohl beste Kufencrack der Welt, setzte schon einmal nahezu ein | |
ganzes Jahr aus, um die Symptome auszukurieren, die nach einem | |
Zusammenprall aufgetreten waren. | |
Man muss den nordamerikanischen Profiligen zugute halten, dass sie – | |
nachdem sie das Problem lange ignoriert hatten – in den vergangenen Jahren | |
reagiert haben. Regeln wurden verschärft, Schiedsrichter angewiesen, die | |
Spieler konsequenter zu schützen, regelmäßige Medizinchecks eingeführt und | |
Regularien festgelegt, wie lange ein Spieler aussetzen muss, wenn eine | |
Gehirnerschütterung diagnostiziert wird. Die NFL hat das Programm „Heads Up | |
Football“ entwickelt, mit dem jungen Football-Spielern eine gefahrlosere | |
Form des Tacklings beigebracht werden soll. | |
## „Deutschland ist Lichtjahre von Amerika entfernt“ | |
Eine Entwicklung, von der wir in Deutschland noch weit entfernt sind, | |
obwohl es auch hierzulande ausreichend Sportinvaliden gibt. Unlängst | |
beschrieb der ehemalige Eishockey-Nationalspieler Stefan Ustorf einem | |
taz-Interview dezidiert seinen labilen Gesundheitszustand nach zwanzig | |
Jahren Profisport, den er erst aufgab, als er ein weiteres | |
Schädel-Hirn-Trauma erlitt. 15 bis 20 Gehirnerschütterungen habe der | |
39-Jährige in seiner Karriere erlitten, schätzt sein Arzt angesichts der | |
Gehirnschädigungen, fünf oder sechs davon wurden tatsächlich | |
diagnostiziert. | |
Nun fordert Ustorf auch in Deutschland bessere Aufklärung, Früherkennung | |
und Therapien: „Spieler, die Gehirnerschütterungen haben, müssen aus dem | |
Spiel gehalten werden, bis sie hundertprozentig fit sind.“ Zwar würde | |
langsam auch hierzulande das Bewusstsein für die Problematik wachsen, meint | |
Ustorf, die DEL führe nun erste Tests durch, aber vor allem „im | |
Nachwuchsbereich muss noch mehr passieren“. Deshalb wirft auch Ustorf – | |
nicht erst seit der bahnbrechenden Entschädigungszahlung – den Blick nach | |
Nordamerika, wo er selbst einige Jahre spielte: „Wir sind um Lichtjahre von | |
dem entfernt, was in den Vereinigten Staaten therapiemäßig möglich ist.“ | |
1 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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