# taz.de -- Zaren-Stück am Deutschen Theater: Auf den Rasputin gekommen | |
> Jürgen Kuttner und Tom Kühnel zeigen am Deutschen Theater Berlin „Agonie. | |
> Ein zaristisches Lehrstück über die letzten Tage der Romanows“. | |
Bild: Moritz Grove (links) dirigiert als Zarewitsch Alexei seine Schwestern in … | |
BERLIN taz | Es stand nicht gut um das russische Zarenreich im Jahre 1905. | |
Nikolaus II., mit der Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt vermählt, war | |
zwar 1904 nach vier Töchtern endlich ein Thronfolger geboren worden. Doch | |
der kleine Alexei, der Zarewitsch, kam mit der vererbten und unheilbaren | |
Bluterkrankeit zur Welt. | |
Im Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05 verlor Russland zudem die | |
Vorherschaft über die Mandschurei und Korea. Die Kämpfe waren sehr | |
verlustreich, die Japaner versenkten auch den Großteil der russischen | |
Flotte. In Petersburg und anderen Städten kam es zu Streiks und Erhebungen. | |
Doch Nikolaus II. hielt an seiner autokratischen Adelsherrschaft fest und | |
ließ alles blutig niederschlagen. | |
Jürgen Kuttners und Tom Kühnels Stück am Deutschen Theater in Berlin, | |
„Agonie. Ein zaristisches Lehrstück über die letzten Tage der Romanows“, | |
setzt mit den Ereignissen von 1905 im Hintergrund ein. Er versammelt ein | |
solide gespieltes Herrscherpaar (Jörg Pose und Katharina Marie Schubert) | |
samt Zarewitsch (Moritz Grove) und seinen niedlich in Weiß gekleideten vier | |
Schwestern auf der Vorbühne der Kammerspiele im Deutschen Theater. | |
## Mongolenscherzchen | |
Tür auf, Tür zu: von den Seiten stürmt Personal hinein und geht ab. | |
Großfürst Nikolai Nikolajewitsch (Helmut Mooshammer) überbringt die | |
Lageberichte der Front, der Premierminister (Daniel Hoevels) die der | |
Politik, von einer als Ventil 1905 geschaffenen halbdemokratischen Duma. | |
Das lässt sich alles leicht verstehen, sofern man die russische Geschichte | |
bis zum Ersten Weltkrieg und zur Oktoberrevolution 1917 halbwegs im Kopf | |
hat. | |
Doch insgesamt ist die Botschaft der Inszenierung trotz schöner Kostüme | |
(Daniela Selig) und abwechslungsreich ausgestatteter (Dreh-)Bühne (Jo | |
Schramm) reichlich schlicht. | |
„Krieg ist Krieg, da kann man nix gegen machen“, lässt die Regie den | |
Zarendarsteller sprechen. Die alte Elite, sie ist infantil, dumm, | |
egoistisch, machtverliebt, selbstbezüglich und und und. Aber, wusste man | |
dies nicht schon vor hundert Jahren (und in der DDR dann sowieso)? | |
## Playback-Arbeiterklassenchansons | |
Auch die Playback-Einspielungen alter Arbeiterklassenchansons wirken | |
sensationell einfallslos. Als überzeitliche Kommentare aus dem Off sind sie | |
klischeehaft und statisch. | |
Darf man denn nichts neu und schon gar nicht musikalisch neu | |
interpretieren? Für jede kleine Brechung, für jede intellektuelle Weitung, | |
wäre man an diesem Abend dankbar gewesen. Nicht aber für dümmliche | |
Mongolenscherzchen – hatten wir nicht gerade eine Black-Facing-Diskussion? | |
– und eine Weltgeschichte, die im Wikipedia-Format als Familienulk | |
daherkommt. | |
„Mein kleiner Babyzar stirbt“, das sind so die Kalauer, die die Zarin hier | |
mit dramatisch rollenden Augen von sich geben muss. Umso länger der Abend | |
dauert, umso mehr kommen Kuttner/Kühnel dabei auf den Rasputin. | |
Die Figur des mythischen russischen Wanderpredigers Rasputin, der am Hofe | |
ein und aus ging, soll alles, was dem Stück abgeht – Witz und Analyse etwa | |
–, überspielen. Das geht, ausgefüllt von Michael Schweighöfer, schlimm aus: | |
ein Volksstück wie aus dem Wiener Würstelprater. | |
3 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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