# taz.de -- Kolumne Macht: Parlamente ohne Bedeutung | |
> Wählen gehen? Nicht wählen gehen? Das Einzige, was wirklich helfen | |
> könnte, wäre eine Bürgerbewegung und eine Demokratisierung der | |
> Europäischen Union. | |
Bild: Wohin gehen, wo ankreuzen, was tun? | |
Während Meinungsforscher selbst absurde Koalitionsmodelle für realistisch | |
erklären, um die Spannung bis zum Wahltag irgendwie hochzuhalten, hat sich | |
in meiner Umgebung und auch bei mir selbst in den letzten Wochen nichts | |
geändert. Nach wie vor hat kaum jemand Lust, über die Wahlen zu | |
diskutieren. Weiterhin würden viele am liebsten gar nicht hingehen. Woran | |
liegt das? | |
Lange habe ich mir selbst in einer nörgeligen Grundhaltung gefallen. Das | |
Spitzenpersonal der Parteien gefällt nicht, die Programme unterscheiden | |
sich nicht substanziell voneinander. Wer behauptet, wirklich etwas ändern | |
zu wollen, ist entweder nicht glaubwürdig oder wird sich nicht durchsetzen | |
können. So die klassische Argumentation am Biertisch. Auch meine. | |
All das ist nicht falsch und trifft doch den Kern nicht. Schließlich gibt | |
es erhebliche Unterschiede zwischen den Programmen der FDP und der | |
Linkspartei. Und so begeisternd war die Alternative zwischen Helmut Schmidt | |
und Helmut Kohl seinerzeit auch nicht, dass es Anlass gäbe, allzu | |
nostalgisch in die Vergangenheit zu blicken. | |
Warum also habe ich früher gern gewählt und schiebe heute die Unterlagen | |
missmutig von einer Seite des Schreibtischs auf die andere, gerade so, als | |
hoffte ich, sie würden unauffindbar verschwinden? Vermutlich weniger aus | |
inhaltlichen als aus strukturellen Gründen. Je länger ich darüber | |
nachdenke, desto weniger habe ich das Gefühl, von Spitzenpolitikern belogen | |
zu werden. Die würden vermutlich schon gern tun, was sie behaupten tun zu | |
wollen. Aber sie können nicht. Aus Gründen, die nicht ausschließlich ihnen | |
anzulasten sind. | |
## Der Wunsch, dass sich nichts ändern möge | |
Ganz egal wie erbittert im Wahlkampf gestritten wird (und worüber): Die | |
Weichen werden auch nach dieser Parlamentswahl nicht neu gestellt werden. | |
Es gibt Leute, die das beruhigend finden. Aber wenn man den Umfragen | |
glauben darf, dann wünscht die Mehrheit – sogar die absolute Mehrheit der | |
Bevölkerung –, dass sich etwas ändert im Land. Dieser Wunsch wird sich | |
nicht erfüllen. | |
Kein realistisch vorstellbares Regierungsbündnis wird über eine Mehrheit im | |
Bundesrat verfügen, nicht einmal eine Große Koalition. Die Länder haben | |
somit in den nächsten vier Jahren beglückend viele Möglichkeiten, sich die | |
Zustimmung zu Vorhaben auf Bundesebene abkaufen zu lassen. Auf europäischer | |
Ebene sind die Handlungsspielräume nationalstaatlicher Parlamente | |
inzwischen ohnehin begrenzt. Nicht einmal die Entscheidung über den | |
Haushalt – das vermeintliche Königsrecht des Parlaments – ist noch | |
unantastbar. | |
Die europäischen Gremien und die Länderkammer haben etwas gemeinsam: Die | |
Regierungen haben dort das Sagen, nicht die Parlamente. Es lässt sich | |
darüber streiten, ob das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung noch | |
funktioniert. Der Bundestag jedenfalls hat an Bedeutung verloren. Und | |
trotzdem starren wir alle auf die Bundestagswahlen, ganz so, als könnten | |
wir damit über unsere Zukunft entscheiden. Das können wir nicht. Längst | |
nicht mehr. | |
Also doch nicht wählen gehen? Na ja, das nützt ja auch nichts. Das Einzige, | |
was wirklich helfen könnte, wäre eine Bürgerbewegung für eine | |
Föderalismusreform und für die Demokratisierung der Europäischen Union. | |
Aber das klingt zäh und langweilig – viel langweiliger als eine Diskussion | |
über Wählen oder Nichtwählen. Daher wird es dazu wohl nicht kommen. | |
Leider. | |
20 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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