# taz.de -- „Zwergschulen“ in Sachen-Anhalt: Zitterpartie und Zahlenschwäc… | |
> „Es war bisher jedes Jahr ernst“, sagt die Direktorin. „Aber jetzt wird | |
> es besonders ernst.“ Der Grundschule Schköna droht 2014 das Aus. | |
Bild: Kleine Klassen, intensive Betreuung – die Dorfschule von Schköna. | |
SCHKÖNA taz | Zu Beginn eines neuen Schuljahres wird die Evakuierung geübt. | |
Falls es mal brennen sollte, schließlich stammt das Fachwerkgebäude der | |
Schkönaer Grundschule aus dem Jahr 1855. Nun läuft der Hausmeister mit | |
einer großen Glocke durch das Haus und ruft „Feuer, Feuer, Feuer“. | |
Wenige Minuten später stehen die 29 Mädchen und Jungen mit ihren vier | |
Lehrerinnen vor der Schule. Die Kinder freuen sich über die kleine | |
Unterbrechung des Schulalltags. Schon im kommenden Jahr könnte es mit der | |
Alarmübung vorbei sein. Denn zukünftig soll es in Sachsen-Anhalt keine | |
sogenannten Zwergschulen – mit weniger als 52 Schülern – mehr geben. | |
Schköna, ein Ort mit etwa 750 Einwohnern, gehört zur Stadt Gräfenhainichen | |
im Landkreis Wittenberg. Eine Hauptstraße mit kleinen Einfamilienhäuschen, | |
Lebensmittelladen, Friseur; Kirche, Friedhof und Schule liegen in direkter | |
Nachbarschaft – die klassische Dorfanlage. Die Schule von Schköna sieht aus | |
wie eine richtige Dorfschule: weiß gestrichen, mit schwarzem Fachwerk. Das | |
Büro der Direktorin – unter dem Dach, etwa acht Quadratmeter groß. Tisch, | |
drei Stühle, Schrankwand, Wandkalender, Kopierer – das Lehrerzimmer. Nicht | |
nur die Schülerzahlen, auch die Räumlichkeiten sind hier überschaubar. | |
Renate Puschkasch leitet die Schule seit fast zehn Jahren. Doch wie es im | |
kommenden Schuljahr mit ihrer Schule weitergehen wird, weiß sie nicht. Aber | |
sie ahnt nichts Gutes. „Seit 2006 erleben wir jährlich diese Zitterpartie“, | |
sagt die 58-Jährige. „Ernst war es bisher jedes Jahr. Aber ich glaube, für | |
das nächste Schuljahr wird es besonders ernst.“ | |
Puschkaschs Sorge rührt vom Schulentwicklungsplan für das Land | |
Sachsen-Anhalt, der höhere Schülerzahlen fordert. Ab dem Schuljahr 2014/15 | |
muss es 15 „Einschüler“ geben, also Kinder, die eingeschult werden sollen. | |
Für den ländlichen Bereich gilt eine Ausnahmeregelung, hier müssen es nur | |
13 sein. Für die Schkönaer Schule liegen aber bisher lediglich 6 | |
Anmeldungen vor. | |
## Zu kleinteilig | |
Im Mai wird das Kultusministerium deswegen auf Basis der Anmeldungen | |
beschließen, ob die Schule in Schköna weitermachen darf. Die | |
Landesregierung in Magdeburg hält das gegenwärtige Grundschulnetz für zu | |
kleinteilig und kostenintensiv. Sachsen-Anhalt hat gegenwärtig 500 | |
Grundschulen – Mecklenburg-Vorpommern dagegen nur 200. | |
An der Grundschule Schköna wird, anders als bei einer Zwergschule zu | |
vermuten, nicht jahrgangsübergreifend unterrichtet. Ausnahme: die Fächer | |
Sport und Musik. An diesem Herbsttag ist die dritte Klasse gerade | |
unterwegs, um im Hallenbad des Nachbarorts das Schwimmen zu lernen, die | |
Erstklässler sitzen an Tischen und malen mit Farbstiften Mandala-Vorlagen | |
aus. Unterhalten ist erlaubt, aber nicht lauter als die klassische Musik, | |
die im Hintergrund läuft. Die Klingel schellt – Hofpause. | |
An den Tischen, wo noch vor 15 Minuten gemalt wurde, sitzen nun drei Jungen | |
vor jeweils einem Keyboard und klimpern auf den Tasten. Daneben stehen vier | |
Mädchen mit Violinen und üben die richtige Körperhaltung. Rainer Schaffrin | |
legt ihnen einen Tischtennisball auf die Seiten, den sie ausbalancieren | |
müssen. Der Musikpädagoge kommt einmal in der Woche nach Schköna, um die | |
Kinder mit Instrumenten vertraut zu machen. Da die kleine Schule wenig | |
Zimmer hat, müssen am Ende der Musikstunde die Geigen und Keyboards | |
weggeräumt werden. In nur wenigen Minuten wird aus dem Klassenzimmer das | |
Musikzimmer der Speisesaal. | |
Noch bis vor einem Jahr kochte eine alte Frau aus dem Dorf täglich für die | |
Kinder das Mittagessen – in Deutschland wohl einmalig. Nun beliefert die | |
Schule ein Caterer. Die Kinder stehen in einer Schlange am Ausgabetisch. | |
Aus einem roten Plastikkörbchen nehmen sie sich Messer und Gabel. Es gibt | |
Kartoffeln und Quark. Als Dessert Schokopudding. „Besser als | |
Kirschkompott“, kommentiert ein blondes Mädchen mit Pferdeschwanz. | |
## Leistungsstark | |
„Wie es ist, wenn eine Schule abgewickelt wird, habe ich noch gut in | |
Erinnerung“, sagt Renate Puschkasch. 1997 wurde die Grundschule im | |
Nachbarort Tornau geschlossen, wo sie damals unterrichtete. Seitdem gehen | |
die Kinder aus Tornau in Schköna zur Schule. Wenn die Schkönaer Schule auch | |
noch zumachte, müssten die Kinder aus Tornau und Schköna mit dem Bus in das | |
zehn Kilometer entfernte Gräfenhainichen fahren. | |
Dabei könnte die Schkönaer Schule Schule machen – denn Zwergschulen haben | |
Vorteile, die Eltern zu schätzen wissen. Ein Drittel der Schüler kommt | |
nämlich jeden Tag aus Gräfenhainichen angereist. Die Eltern finden die | |
Betreuung und die Gemeinschaft an der Zwergschule besser als in der großen | |
Grundschule vor Ort. Weshalb sich jetzt auch Eltern aus Gräfenhainichen für | |
den Erhalt der Grundschule Schköna starkmachen. | |
„Bei kleinen Klassen erkennt man als Lehrer sofort, welches Kind Probleme | |
hat“, erklärt die Schulleiterin, „man kann es dann viel gezielter fördern. | |
Es fallen weniger Schüler durch das Raster als in großen Schulen.“ Ihre | |
Schüler gehören später in den weiterführenden Schulen leistungsmäßig zum | |
oberen Drittel. Eine Tatsache, die Puschkasch zufrieden macht. „Was bleibt, | |
ist der große Graben zwischen dem pädagogischen Blickwinkel und der | |
Wirtschaftlichkeit“, sagt die Schulleiterin. „Aus wirtschaftlicher Sicht | |
wundert es mich, dass wir noch da sind.“ | |
Wie es für die Schkönaer Grundschule auch kommen mag, von ihren Schülern | |
möchte sie die ganze Schließungsdebatte möglichst fernhalten. „In den | |
Familien wird davon schon genug geredet. Es gibt Kinder, die wegen der | |
Sache nicht schlafen können.“ Eine Gehminute von der Schule entfernt steht | |
das Eigenheim der Familie Uhlig. Zwei imposante ungarische Hirtenhunde | |
springen im Garten herum. Katja Uhlig, von Beruf Polizeibeamtin, ist die | |
Vorsitzende des Fördervereins Grundschule & Kindergarten Schköna. | |
Ihr Sohn Ben, acht Jahre, geht in die zweite Klasse; der elfjährige Paul | |
besucht bereits das Gymnasium in Gräfenhainichen. „Die Unsicherheit, wie es | |
mit der Grundschule weitergeht, ist natürlich nicht dienlich“, sagt Katja | |
Uhlig und fragt: „Wer schickt schon gern sein Kind in eine Schule, die | |
geschlossen werden soll?“ Dennoch ist Uhlig optimistisch, dass noch 7 | |
Kinder hinzukommen werden, um auf die geforderte Zahl 13 für das kommende | |
Schuljahr zu kommen. Der Förderverein plant einen Tag der offenen Tür, um | |
interessierte Eltern aus den Nachbarorten zu gewinnen. | |
Das gewichtigste Argument, mit dem der Verein wirbt, sind die kleinen | |
Klassen. „Die Kinder haben bei uns eine optimale Betreuung. Es ist eine | |
Förderschule in beide Richtungen“, erklärt die Mutter. Ihr Sohn Paul hat | |
eine Mathebegabung und durfte deshalb schon Aufgaben aus höheren | |
Klassenstufen lösen. Und Ben, der beim Lesen Schwierigkeiten hat, erhält | |
gezielten Förderunterricht für sein Problem. „Da macht es einen | |
Unterschied, ob 10 oder 26 Kinder in einer Klasse sind“, sagt Katja Uhlig. | |
## Wegzug befürchtet | |
Von einer möglichen Schließung sind in Sachsen-Anhalt bis zu 75 | |
Grundschulen betroffen. Widerstand gegen das Ende der Zwergschulen gibt es | |
deshalb von Salzwedel bis Zeitz. Auf Facebook hat sich die Gruppe | |
„Grundschule vor Ort“ gegründet, die mit einer Onlinepetition 9.000 | |
Unterschriften sammelte und diese im Sommer dem Landtagspräsidenten | |
überreichte. Die Unterschriften, das weiß auch Katja Uhlig, die wie viele | |
Schkönaer unterzeichnete, werden die Schulen nicht retten. Aber sie | |
erzeugen Aufmerksamkeit und machen sensibel für das Anliegen der | |
Initiative. | |
Dieter Plahl ist der ehrenamtliche Ortsbürgermeister von Schköna und hat | |
ebenfalls im Schulgebäude sein kleines Büro. Auch ihm bereitet die Zukunft | |
der Grundschule Kopfzerbrechen. Doch er ist guter Dinge, was den | |
Fortbestand angeht. „Wir müssen jetzt kräftig die Werbetrommel rühren“, | |
sagt er, „dann bekommen wir auch die noch fehlenden Anmeldungen zusammen.“ | |
Er würde das Aus für die Grundschule sehr bedauern. | |
Schköna hat eine seit Jahren stabile Einwohnerzahl, es gibt viele junge | |
Leute und Familien, die im Ort bleiben statt wegzuziehen, kaum | |
Wohnungsleerstand, und auch der Kindergarten ist gut ausgelastet. Dieter | |
Plahl befürchtet einen Dominoeffekt, sollte die Grundschule schließen. Und | |
für das soziale Gefüge des Ortes wäre es schade, die Schulfeste sprächen | |
das ganze Dorf an. | |
An ein großes Einsparungspotenzial für das Land glaubt der Bürgermeister | |
ohnehin nicht. „Was eingespart wird, müsste für den dann notwendigen | |
Fahrverkehr wieder ausgegeben werden“, ist er sich sicher. Sollte es hart | |
auf hart kommen, wird Plahl gegen eine Schließung klagen. Eine Klage hat | |
der Ortschaftsrat schon einmal – und gegen den Landkreis – aufgrund von | |
schweren Verfahrensfehlern gewonnen. Zweckoptimismus kann Hoffnung geben. | |
Im Fleischergeschäft Schenkenberger gegenüber der Schule sitzt eine | |
rundliche Frau Ende 70 vor einem Teller mit Schnitzel, Spiegelei und | |
Bratkartoffeln. Auch sie ging einst gegenüber zur Schule. Was sie dazu | |
sagt, wenn hier im Ort die Schule schließen müsste? Schweigen. Die Frau | |
stochert mit ihrer Gabel im Essen. „Wenn die Kinder weg sind, wird es hier | |
ganz still.“ | |
20 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Friedemann Kahl | |
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