# taz.de -- Kinofilm aus Frankreich: Fee in der Fahrschule | |
> Prinzessin, Wolf und Oger wollen mehr als Märchen und machen Kino. Agnés | |
> Jaoui übernimmt die Regie und zaubert in „Unter dem Regenbogen“. | |
Bild: Gleich verliert der Tänzer seinen Schuh: Laura (Agathe Bonitzer) und San… | |
Jede Komödie, die auf sich hält, braucht einen Griesgram. Einen, der die | |
Last der schlechten Laune auf seine Schultern lädt und sie damit gleichsam | |
fortträgt. Kaum ein anderer Schauspieler hat es im Griesgram-Verkörpern zu | |
solcher Meisterschaft gebracht wie Jean-Pierre Bacri. Und nirgendwo kann er | |
das so schön zeigen wie in den Filmen seiner ehemaligen Lebensgefährtin, | |
der Schauspielerin Agnès Jaoui, mit der er zusammen die Drehbücher | |
verfasst, die sie dann als Regisseurin realisiert. | |
In „Unter dem Regenbogen“ erscheint er in der zweiten Szene, und was mit | |
ungewohnt süßlichen Anklängen begann, wird prompt durch seine saure Miene | |
geerdet. Den Kopf eingezogen, tiefe Ringe unter den Augen, die Schulter | |
angespannt, läuft er an der Seite seiner Exfrau über einen Friedhof. | |
Sie beklagt sich über ihr Pech im Spiel in letzter Zeit, bevor sie sich | |
gewahr wird, wo sie sich befinden. „Es gibt Schlimmeres“, sagt sie | |
schließlich, wie um abzuwiegeln. „Eben“, erwidert Bacri so knapp und | |
einsilbig, dass sich schwerkraftmäßig sofort alle Miesepetrigkeit an ihn | |
heftet. Es stellt sich heraus, dass sein Vater eben beerdigt wurde, aber | |
Trauer ist nicht der Anlass seines Missmuts, sondern ein viel „niedrigeres“ | |
Gefühl: die Angst, der nächste zu sein. Wer könnte es ihm verdenken. | |
## Der Oger und die gute Nacht | |
„Au bout du conte“ heißt der Film im Original, und verweist damit gleich | |
auf ein doppeltes Ende: auf das des Märchens genauso wie auf den | |
gleichklingenden „bout du compte“, den Endeffekt. | |
Märchenmotive kleiden den Film ein wie Fantasie-Kostüme eine | |
Kindergartenaufführung: verspielt und einfallsreich, oft auch | |
zweckentfremdet und überraschend neu interpretiert. Bacris Figur etwa lässt | |
sich in seiner schlechten Laune als Oger lesen, ein Kinderschreck. Als | |
seine neue Freundin mit ihren zwei Töchtern vorübergehend bei ihm einzieht, | |
ist er nicht nur genervt, er ist hoffnungslos überfordert. Wie macht man | |
das, einem Kind „Gute Nacht“ sagen? Wenn man einer Figur glaubt, dass sie | |
es tatsächlich nicht weiß, dann dem von Bacri gespielten Mann. | |
Wie in allen ihren Filmen bringen Bacri und Jaoui einen Reigen von Menschen | |
verschiedenen Alters und mit unterschiedlichsten Empfindsamkeiten zusammen, | |
wobei die Zufälligkeit ihrer Begegnungen in „Unter dem Regenbogen“ oft | |
märchenhafte Züge trägt. Etwa wenn an einer Stelle Laura (Agathe Bonitzer) | |
mit rotem Mantel und Mütze bekleidet durch den Wald läuft, sich verirrt und | |
Maxime Wolff (der Sänger Benjamin Biolay) begegnet. Er will sie nicht | |
fressen, aber gewisse Gelüste werden doch geweckt. | |
## Laura mit dem Goldhaar | |
Wobei der große Charme der Märchenbezüge in „Unter dem Regenbogen“ darin | |
besteht, dass sie nicht im modernen Gewand nachgespielt werden, sondern auf | |
ganz unterschiedliche Weise Spuren hinterlassen. Die schöne Laura mit ihrem | |
langen goldenen Haar, ihrem reichen Vater und einer verdächtig jung | |
aussehenden Mutter ist ganz klar eine Prinzessin, aber aus welchem Märchen, | |
ob Schneewittchen – sie beißt mal in einen roten Apfel – oder die auf der | |
Erbse oder gar Dornröschen, da legt sich der Film nicht fest. | |
Laura träumt von einem Märchenprinzen, und als sie auf einer Party den | |
Jungkomponisten Sandro (Arthur Dupont) stehen sieht, glaubt sie ihn | |
gefunden zu haben. Sie tanzen, und dann ist es aber Sandro, der überstürzt | |
vor Mitternacht aufbrechen muss, und alles, was Laura von ihm bleibt, ist | |
ein Schuh, den er auf der Treppe verliert. | |
Aber keine Sorge, Laura geht im Folgenden nicht von Tür zu Tür, um sich die | |
Füße der Männer im passenden Alter zeigen zu lassen. Der Film spielt | |
vielmehr mit seinen buchstäblichen und übertragenen Bedeutungen und nimmt | |
sie dabei selbst nicht allzu ernst. Laura und Sandros Geschichte und wie | |
sie sich in ihr Märchen, Wunsch und Wirklichkeit überkreuzen, bildet den | |
Roten Faden des Films, an den sich weitere große und kleine Begebenheiten | |
anknüpfen. | |
## Eine Regisseurin als Erzieherin | |
Regisseurin Agnès Jaoui verkörpert die Fee; einerseits ganz buchstäblich im | |
Kostüm als Theatererzieherin in einem Kindergarten, wo sie – was sonst – | |
mit den Kindern Märchen inszeniert. Andererseits ist sie diejenige, die wie | |
mit Zauberhand die Stränge und Personen des Films in ihrer Person | |
verbindet: Prinzessin Laura ist ihre Nichte, „der Wolf“ ihr Nachbar, bei | |
Bacri nimmt sie Fahrstunden, die Töchter von dessen neuer Freundin spielen | |
in ihrem Märchenstück mit. | |
Gibt es im Märchen Exmänner? Eine der schönsten Miniaturen zeigt Jaouis | |
Figur und ihren Exmann (Laurent Poitrenaux) als typisches Exemplar eines | |
frisch getrennten Paares. Beide wollen gute Freunde bleiben, nicht zuletzt | |
wegen des Kindes. | |
Sie sind dabei ganz konkret: Zwei Menschen, die noch zusammenpassen, die | |
sich anschauen, weil sie noch wissen, wie es war, im Guten wie im | |
Schlechten, zwischen denen es aber doch vorbei ist. Das märchenhafte Motto | |
am Ende aber passt genau auf sie: „Sie lebten glücklich und irrten sich | |
häufig …“ | |
17 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
## TAGS | |
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Cannes | |
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