# taz.de -- Exprofi Eigenrauch über Fußball: „Ein rosarotes Gebilde“ | |
> Der ehemalige Profi Yves Eigenrauch über seine bedingte Liebe zum Spiel, | |
> den Verlust von Authentizität im Fußballbusiness und kalkuliertes | |
> Sprechen. | |
Bild: Hat nie vom Profifußball geträumt: Der Ex-Schalker Yves Eigenrauch | |
taz: Herr Eigenrauch, Ihre berühmteste taz-Kolumne ging so: „kick ran kick | |
ran kick ran kick ran kick ran“ und so weiter. Beschrieb das die Monotonie | |
des Fußballprofialltags ? | |
Yves Eigenrauch: Wenn ich mich recht entsinne, war damals im Gespräch, die | |
Sat.1-Bundesligasendung „ran“ umzubenennen. Die mediale Präsenz des | |
Fußballs war bereits recht groß geworden, zuweilen auch bestückt mit | |
Geschichten außerhalb des Platzes. Meine kleine Geschichte sollte auf den | |
Verlust der Unbeschwertheit und der Ideale verweisen. | |
Im Mittelteil wird in wenigen Sätzen Alltagsleben beschrieben: „Wenn ich | |
dann mittags nach hause komme, erledige ich für meine mutter dinge“. | |
Richtig. Aber dieses Leben wird umklammert von einer Unmenge „kick ran“. | |
Das sollte die steigende Relevanz der Fußballsendungen illustrieren. Es war | |
ein Grundmotiv aller Kolumnen, den Sport in seiner Bedeutung zu | |
relativieren, aufzeigen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Das wusste | |
ich anfangs auch noch nicht. Aus der Ferne betrachtet war Profifußball für | |
mich ein rosarotes Gebilde. | |
Was änderte Ihre Meinung? | |
Die Eindrücke, die ich durch das Privileg bekam, drin zu sein. | |
Wie kamen Sie rein? | |
Der damalige Bielefelder Trainer Ernst Middendorp hatte mich schon als | |
A-Jugendlichen im Oberligateam eingesetzt. Nach dem Wechsel zu Schalke | |
spielte ich bei Trainer Aleksandar Ristic zunächst keine Rolle, und das | |
völlig zu Recht. Ich hatte große Probleme, meine Leistung abzurufen. Dass | |
ich ins Team kam, war einem Zufall geschuldet. | |
Was passierte? | |
Vor dem letzten Hinrundenspiel in Nürnberg im Dezember 1991 spielten einige | |
Spieler in der Mittagspause Backgammon, statt zu ruhen. Ristic warf diese | |
Spieler sofort aus dem Kader. So wurde auf der linken Außenverteidigerseite | |
ein Platz frei. Ich fiel fast in Ohnmacht, aber dann habe ich offenbar okay | |
gespielt, und wir gewannen 1:0. Danach habe ich eigentlich immer gespielt, | |
wenn ich nicht verletzt war. | |
Sie schafften den Durchbruch als Profiteur eines autoritären Drills, den | |
Sie selbst sicher ablehnten? | |
Völlig falsch. Ich lehne den Drill nicht ab. Es gibt in jedem Betrieb | |
einen, der bestimmt. Das finde ich auch in Ordnung. Solange ich der Meinung | |
bin, dass es okay ist, wie das läuft, kann ich mitmachen. Wenn ich das | |
nicht mehr finde, dann muss ich halt aufhören. Das habe ich auch gemacht. | |
Ab Mitte der 90er Jahre sah ich die Entwicklung des Fußballs zunehmend | |
skeptischer. Das betraf auch die Art des Umgangs miteinander. | |
Ist Groll geblieben? | |
Überhaupt nicht. Ich war ein Glückskind. Ich habe mich bemüht und es | |
funktionierte auch halbwegs, aber ich war immer der Meinung, dass ich nicht | |
die Ballsicherheit und die technischen Qualitäten für die Bundesliga hätte. | |
Sie kokettieren? | |
Überhaupt nicht. Ich habe das so gesehen, schon wissend, dass ich | |
Qualitäten wie Schnelligkeit und Engagement hatte. Ich habe im ersten | |
A-Jugend-Jahr sogar zwischenzeitlich aufgehört, weil ich dachte, ich | |
verpasse was. | |
Sie träumten nicht den Fußballstar-Traum aller deutschen Jungs? | |
Ich träumte nie vom Profifußball. Ich spielte um des Spielens willen. | |
Später fand ich eher das Trainieren nett, und das Spielen hat mir nicht so | |
viel Spaß gemacht. | |
Warum nicht? | |
Die Erwartungshaltung war hoch, und ich habe mich selbst zu sehr unter | |
Druck gesetzt. | |
Noch mal, Herr Eigenrauch: Jeder normale Mensch träumt davon, im WM-Finale | |
das Siegtor zu schießen. | |
Quatsch. | |
1998 hat der damalige Bundestrainer Berti Vogts Sie in die | |
Nationalmannschaft berufen und vor einem Brasilien-Spiel der Weltpresse | |
vorgestellt. | |
Ja, war nett. Da fragte mich einer, was ich von den „saturierten Spielern“ | |
hielte. Ich kannte den Begriff gar nicht und musste erst mal nachfragen, | |
was saturiert ist. Ich hatte damals so ein kleines Heft, in das ich | |
Fremdwörter reinschrieb, die mir nicht geläufig waren. Was ich nicht | |
verstand, war, warum man einen Spieler nominierte, der nach einem | |
Dreivierteljahr Verletzungspause gerade mal ein vernünftiges Spiel gemacht | |
hatte. | |
Das „vernünftige“ Spiel ist in der Fußballgeschichte als Ihr größtes | |
archiviert: Sie spielten mit Schalke ein Jahr nach dem Uefa-Cup-Sieg erneut | |
gegen Inter Mailand und schalteten Ronaldo aus, damals der beste Stürmer | |
der Welt. | |
Wir waren relativ gut und der Genannte hat relativ bescheiden gespielt. Ich | |
war das eine oder andere Mal ein bisschen schneller. | |
War das wirklich noch klare Manndeckung? | |
Wir haben in Mann-Zuordnung gespielt, ja. | |
Der Trainer sagte: Du deckst den Ronaldo. | |
Genau. Es war professioneller als in den 70ern oder 80ern, aber ganz und | |
gar nicht vergleichbar mit heute. Ich habe mich früher gescheut, von | |
Leistungssport zu sprechen. Heute kann man das. Fußball hinkt, auch was den | |
zeitlichen Aufwand angeht, sicher weit hinter Turnen oder Basketball | |
hinterher, aber im Vergleich zu den 90ern ist alles viel weiter. | |
Funktionierte Ihr Schalker Team mit klarer Hierarchie auf dem Platz? | |
Ich würde das nicht Hierarchie nennen. Spieler werden mit ihren Stärken und | |
Schwächen eingebunden. Hierarchie ist für mich das Ansehen, das man im | |
Kader hat. Klar, braucht es auch sportliche Stärke. Aber Hierarchie bildet | |
sich durch sportliche Stärke und Charakter. | |
Deshalb war Lothar Matthäus ein großer Leader? | |
Sicher gibt es auch viele, die sich vornehmlich über den sportlichen Erfolg | |
definieren. Aber mir kam es auch immer darauf an, wie man sich einbringt. | |
Herr Eigenrauch, bisher taten Sie so tough, und nun idealisieren Sie? | |
Ich tue überhaupt nicht tough und ich idealisiere auch nicht. Das ist meine | |
Überzeugung. Es mag viele geben, die das als Ideal sehen, aber glauben, | |
damit nicht weiterzukommen, und sich deshalb anpassen. Das verstehe ich | |
auch in der Gesellschaft nicht. Die Leute sprechen immer von sozial und | |
fair sein. Aber was sie machen, entspricht dem nicht. | |
Wäre es nicht ironisch, wenn der soziale und flach hierarchische Fußball, | |
der „linke Fußball“ der Gegenwart beim FC Bayern München praktiziert wür… | |
Ich glaube nicht, dass Bayern oder Borussia Dortmund wirklich flache | |
Hierarchien sind. Was anders ist als früher, sind nur die Formen des | |
Umgangs und der Vermittlung. Es fühlt sich für die Spieler „eingebundener“ | |
an, aber letztlich fallen die Entscheidungen, wo sie immer fielen. | |
Früher rannte Wimmer sich kaputt und Netzer spielte den langen Ball, heute | |
arbeiten selbst bei Bayern alle gleich hart und alle spielen alle die | |
gleichen kurzen Pässe. | |
Was hat das mit Hierarchie zu tun? Über die sportliche Qualität zeichnet | |
sich in so einem Team keine Hierarchie ab, denn die Spieler sind ja alle | |
exzellent. Dennoch wird der eine oder andere in der Hierarchie höher | |
stehen, weil er eben noch andere Qualitäten einbringt. Das ist aber bei den | |
anderen Teams auf niedrigerem Niveau auch so. Das Gefälle der sportlichen | |
Qualität innerhalb eines Teams war früher viel größer. Das ist der | |
entscheidende Unterschied. | |
Noch Anfang des Jahrtausends pöbelten Chefs wie Effenberg oder Kahn herum. | |
Das galt als Führung. Steht der Bayern- und DFB-Kapitän Philipp Lahm nicht | |
für zeitgemäß flaches, moderierendes und dienendes Führen? | |
Ich bitte Sie. Mir geht es um Authentizität. Die ist völlig verloren | |
gegangen. Es gibt nur noch kalkuliertes Sprechen. Furchtbar! Ich fand es | |
gut, wenn Fußballer sagten, was sie dachten. Das waren im Zweifelsfall auch | |
Egoisten. Aber sie haben es gemacht, weil sie meinten, es machen zu müssen. | |
Aus einem inneren Antrieb heraus. Unabhängig von der Frage, ob es richtig | |
oder falsch, sozial oder egoistisch war. | |
Der Bayern-Spieler Thomas Müller wird von Medien geliebt, weil er immer für | |
einen Spruch gut ist. Er überschreitet aber nie die Grenze, hinter der | |
echte Kritik anfängt. | |
Das ist dann in Ordnung, wenn ein Spieler das sagt, was er für sich selbst | |
vertritt. Es ist nicht in Ordnung, wenn er etwas anderes sagen wollte. Ich | |
finde es schade, dass so viele in der Bundesliga eine Riesenpanik haben, | |
etwas Falsches zu sagen, und die Vereine jede Kommunikation zwischen | |
Spielern und Medien steuern wollen. Die Vereine sollten nicht alles | |
gleichschalten. | |
Wie sehen Sie die fachliche Entwicklung des deutschen Fußballs? | |
Was soll ich dazu als Nicht-Interessierter sagen? Ich gehe nicht ins | |
Stadion, das habe ich früher auch nicht gemacht. Fußballspielen war in | |
Ordnung, aber Fußballkucken finde ich mit wenigen Ausnahmen langweilig. Was | |
ich mich frage: Wie lange dauert es noch, bis die Leute ausgequetscht sind? | |
Wen meinen Sie? | |
Auch wenn Fans mal boykottieren, sind sie ja in kürzester Zeit wieder da. | |
Ohne dass sich etwas geändert hat. | |
Warum ist das so? | |
Ich glaube, dass das Gros der Leute im Grunde Unterhaltung will. Man könnte | |
es Alltagsflucht nennen. Das andere ist den meisten vielleicht auch zu | |
anstrengend, da müsste man sich ja beteiligen. | |
Man verweigert den Leuten doch bewusst eine Beteiligung. | |
Ja, klar. Sonst funktioniert ein großer Wirtschaftsbetrieb nicht. Dazu | |
gehört, dass Fans eben nichts zu sagen haben, sondern nur ihre Meinung | |
äußern können. Dazu sollte man stehen. Deshalb ist Bayern mir sympathisch, | |
weil die dazu stehen, ein Business-Betrieb zu sein. Und auch Red Bull | |
Leipzig. Da ist klar, worum es geht. | |
Sie könnten etwas verändern. | |
Nein, das kannst du nicht. Du bist dann nur der „Alternative“ – oder der, | |
der irreales Zeug labert. Ein Fantast, ein Träumer. | |
20 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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