| # taz.de -- Kinofilm „Scherbenpark“: Lieber schwanger als Mathe lernen | |
| > Der Dokumentation „Prinzessinnenbad“ lässt Bettina Blümner mit | |
| > „Scherbenpark“ einen Spielfilm folgen. Dieser nimmt einen leider nicht so | |
| > richtig mit. | |
| Bild: Sascha will ihren Stiefvater töten und ein Buch über ihre Mutter schrei… | |
| Sascha lebt in Stuttgart in einem Hochhausgetto, das von vielen | |
| Russlanddeutschen bewohnt wird. Sie ist 17 Jahre alt und hat zwei kleinere | |
| Halbgeschwister. Die Cousine ihres ebenfalls russlanddeutschen Stiefvaters | |
| Vadim kümmert sich um die drei, seitdem Vadim vor den Augen der Kinder die | |
| Mutter erschossen hat und im Knast sitzt. Sascha hat zwei Träume: Vadim | |
| töten und ein Buch über ihre Mutter schreiben. | |
| Das erzählt sie gleich zu Beginn, während sie als Beschützerin der | |
| kleineren Geschwister mit den Händen in den Taschen ihrer | |
| Kapuzendaunenjacke durchs Viertel stapft und sich der aggressiven Anmache | |
| der an Tischtennisplatten lehnenden Jungmänner mit Sprüchen wie „Bei deinem | |
| miesen Sperma würden eh nur Missgeburten rauskommen!“ erwehrt. | |
| Das Leben im Getto also ist kein Zuckerschlecken – wir ahnten es schon mit | |
| der allerersten Einstellung auf die triste Sozialbauarchitektur –, und | |
| Sascha begegnet ihrer Umgebung mit Härte und Schlagfertigkeit, während die | |
| gleichaltrigen Mädchen sich lieber schwängern lassen, um kein Mathe mehr | |
| büffeln zu müssen. | |
| In Sachen unpeinlicher, sozialrealistisch überzeugender Filmarbeit hatte | |
| man von Regisseurin Bettina Blümner durchaus etwas erwartet. Mit ihrem | |
| Langfilmdebüt „Prinzessinnenbad“ hatte sie 2007 für eine Menge Begeisteru… | |
| gesorgt. Die unaufdringliche, aber trotzdem präsente Art, wie die Kamera | |
| den drei jugendlichen Protagonistinnen durch ihr Leben in Berlin-Kreuzberg | |
| folgte, hatte eine Welthaltigkeit jenseits von Betroffenheitskitsch oder | |
| Genreschublade. Noch heute sind die Laternenmasten Kreuzbergs übersät mit | |
| Aufklebern, die liebevoll ein ikonisches Film-Zitat umdrehen: „Ich komm aus | |
| Muschi, du Kreuzberg“. | |
| ## Taffe Protagonistin | |
| Blümners Wahl, sich für ihren ersten Spielfilm Alina Bronskys Roman | |
| „Scherbenpark“ vorzunehmen – ein Buch, das als fein beobachtete | |
| Milieustudie gelobt und für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert | |
| war –, schien zunächst nicht unklug: Wieder eine taffe Protagonistin mit | |
| einer einnehmend direkten Sprache, ein Coming-of-Age-Plot, diesmal eben mit | |
| den Freiheiten des Fiktionalen, das dürfte doch eigentlich nicht | |
| schiefgehen. | |
| Ist es aber. Von vorne bis hinten, in jeder Szene. Was im Buch eine gewisse | |
| trockene, ins Komische tendierende Drastik hatte, kommt im Film in einem | |
| fort unplausibel und überzogen daher. Schon die Tragik der | |
| Familiengeschichte wirkt bei Blümner so schablonenhaft, dass man sich | |
| sofort nach einer einfachen Reportage aus dem russlanddeutschen Milieu | |
| sehnt – ohne sofort gewalttätige Stiefväter, erschossene Mütter und | |
| übergriffige Jungmänner aufgefahren zu bekommen. | |
| Nach der Exposition kommt ein Milieuwechsel, der im Film jeder | |
| Plausibilität entbehrt: Sascha läuft, nachdem sie in der Zeitung einen | |
| Artikel über ihren angeblich reuigen Stiefvater gelesen hat, erzürnt in die | |
| Redaktion, wo sie auch sofort einen Termin mit dem verantwortlichen | |
| Redakteur Volker (Ulrich Noethen, im echten Leben Partner von Romanautorin | |
| Bronsky) bekommt. Volker gibt sich beschämt – Sascha solle sich melden, | |
| wenn sie ihn mal braucht. Das tut sie nur einen Tag später aus | |
| unverständlichem Anlass. Die eloquente, aber natürlich traumatisierte Göre | |
| aus dem Getto bittet also den ihr unbekannten Redakteur aus dem Passivhaus | |
| um Unterschlupf für ein paar Tage und darf auch sofort einziehen. Ah ja. | |
| ## Nichts involviert einen | |
| Der Milchbubisohn des Redakteurs fühlt sich als Scheidungskind dann sofort | |
| zu dem Mädchen aus der „Problemfamilie“ hingezogen, was er mit Piepsestimme | |
| hanebüchen unumwunden zum Ausdruck bringt. Es kommt zur gegenseitigen | |
| Entjungferung, die vielleicht absichtlich, wahrscheinlich aber | |
| unabsichtlich zur Karikatur gerät. Man weiß es nicht. Danach noch ein, zwei | |
| milieubedingte Anziehungen und Abstoßungen, am Schluss Saschas Aufbruch | |
| ganz woanders hin, wie könnte es anders sein. | |
| Wirklich nichts an dieser Geschichte involviert einen, keine Figur handelt | |
| oder spricht so, dass man denkt: Ja, so könnte es sein. Im Stuttgarter | |
| Getto redet noch nicht mal irgendwer Schwäbisch. Das Krönchen dieser | |
| ungelenken Romanverfilmung ist, dass man ständig an das so gelungene | |
| sozialrealistische Drama „Fish Tank“ der Engländerin Andrea Arnold denken | |
| muss, das 2009 den Preis der Jury in Cannes gewann. | |
| Jasna Fritzi Bauers Sascha scheint bis in die Mimik, den Gang und die | |
| Körperhaltung hinein eine Kopie zu sein von „Fish Tank“-Hauptfigur Mia, die | |
| Katie Jarvis so überzeugend spielte. Es ist eine bemühte Kopie, und man | |
| schämt sich beim Zugucken. | |
| 21 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Kirsten Riesselmann | |
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