# taz.de -- Besuch beim Londoner Sklavenhaus: Horrorstory als Stadtgespräch | |
> Die Anwohner haben mitgekriegt, was in der Londoner Nachbarwohnung | |
> geschah. Gekümmert hat es sie nicht, Geld für ihre Story wollen sie | |
> trotzdem. | |
Bild: Düster, düster: Der Wohnkomplex im Londoner Stadtteil Brixton wird jetz… | |
LONDON taz | Die Stadtwohnungen im Mietkomplex Peckford Place sind erst | |
etwa sechs Jahre alt und waren der Stolz der Londoner Stadtautorität | |
Lambeth. Modern und behindertengerecht, inklusive Solarzellen auf dem Dach | |
und Ökoholz als Fassade. Auch das Ehepaar, dass die drei Frauen gefangen | |
hielt, wohnte hier. | |
Wer eine behindertengerechte Stadtwohnung in Großbritannien beziehen | |
möchte, muss dafür einen Antrag stellen, der danach persönlich geprüft | |
wird. Offiziell kannte man also das Ehepaar, dass in der Erdgeschosswohnung | |
Peckford Place 10 lebte. Die Behörden müssen wohl Fragen beantworten. | |
Inzwischen wurde bekannt, dass die Stadtverwaltung schon vor 15 Jahren | |
wusste, dass die Jüngste in der Wohnung, sie ist heute 30, damals nicht zur | |
Schule ging. Der | |
[1][news-grid%20main-1%20Main%20trailblock:Editable%20trailblock%20-%20news | |
:Position3:Observer berichtet], dass das Sozialamt über die Probleme | |
informiert war. Die Behörde konnte demnach aber nicht eingreifen, weil die | |
Opfer dies ablehnten. | |
Auch vom Ehepaar ist inzwischen bekannt, dass sie aus Indien und Tansania | |
stammten und offenbar das letzte Mal vor 30 Jahren mit der Polizei zu tun | |
hatten. Angeblich hätten sie zwei der späteren Sklavinnen vor ihrer | |
Gefangenschaft gekannt, und in einer Art Kollektiv gelebt. | |
Aber der Zustand der Wohnung sieht jetzt verwahrlost aus. Der Vorgarten, | |
vor dem nun zwei Polizisten Wache stehen, ist durch dichte Sträucher | |
vollkommen verwildert. Auf dem Balkon der zweistöckigen Wohnung steht ein | |
Kühlschrank, daneben volle Taschen, dazu zwei aufgestapelte Gartenstühle | |
und darüber eine Satellitenschüssel. Alle Fenster sind durch dicke Gardinen | |
verdunkelt. | |
## Jeder kümmert sich um seine eigenen Sachen | |
Viele Bewohner des Wohnkomplexes im Südlondoner Stadtteil Brixton wie zum | |
Beispiel Charles Agiji, 62, dachten, die Wohnung sei aufgrund der | |
permanenten Verwilderung unbewohnt. Auch die stets zugezogenen Vorhänge | |
deuteten für ihn darauf hin. Agiji wusste bis jetzt nicht, dass all dies | |
hier geschehen ist. Brixton hätte sich sehr zum Besseren gewandelt, bemerkt | |
er. Früher habe es viele Einbrüche gegeben, aber in den letzten Jahren habe | |
man glauben können, in einer guten Gegend zu leben. | |
Und jetzt diese Horrorstory. Generell, erklären er und Cathy Clemens, 52, | |
eine weitere Anwohnerin, gelte im Komplex, dass jeder sich hier um seine | |
eigenen Sachen kümmert. Auch ein Hausmeister, der vielleicht die einzelnen | |
Bewohner kennen würde und so eine Situation früher aufgeklärt hätte, fehle, | |
sagen sie. | |
Neben und über der Wohnung, in dem sich all das zugetragen hat, gab es | |
Nachbarn. Das macht sie zu potenziellen Zeugen. Deshalb wollen sie ihre | |
Story verkaufen. Der Mann in der Hinterhauswohnung im zweiten Stock besitzt | |
Briefe und Fotos, die von der 30-jährgen Bewohnerin des Sklavenhauses an | |
ihn gerichtet wurden und in seinem Briefkasten lagen. Die hat er samt | |
seiner Geschichte Boulevardblättern wie dem Daily Express für £10.000 Pfund | |
angeboten. | |
## „Sie waren seltsam“ | |
Auch ein junger Mann aus einer anderen Hinterhauswohnung mit der Nummer 10 | |
erzählt, dass er mit einer Frau und einem Kind direkt neben der | |
Schicksalwohnung Wand an Wand wohnte. Mehrere Journalisten sind gerade in | |
der Wohnung. Er könne versichern, dass in der Nebenwohnung sexueller | |
Missbrauch statt fand, denn er habe oft Schreie und Geheule und den alten | |
Mann gehört. Auf die Frage ob er sich wünschte, er hätte früher gehandelt, | |
antwortet er: „Das ist Brixton hier, verstehst Du! Ich höre stets | |
Geräusche, Sirenen und Geschrei, aber man mischt sich nicht ein. Ich weiß, | |
dass da in der Wohnung nicht alles OK war, sie waren seltsam!“ | |
Gary Pearson, 34, ein Nachbar auf der anderen Seite im zweiten Stock des | |
selben Wohnhauses, erklärt, er würde eigentlich kaum mit anderen Nachbarn | |
reden, höchstens mit den Leuten gegenüber, genau die, welche sich jetzt von | |
der Zeitung The Sun bezahlen lassen. Pearson verlangt hingegen nichts. Er | |
schildert, wie hellhörig die Wohnung war. Man könne hören, wenn andere | |
Nachbarn Sex haben oder sich streiten. | |
## Das Drama ist Stadtgespräch | |
Die Leute aus der Sklavenwohnung hätte er hin und wieder gesehen, besonders | |
erinnere er sich an die jüngere Frau. Er beschreibt sie als durchgedreht. | |
Sie sei immer total abgefahren und mit riesigen Augen herumgelaufen und nie | |
ohne Begleitung. | |
Auf dem Brixton Markt, fünf Minuten von dem Wohnkomplex entfernt, ist das | |
Drama das Stadtgespräch. Ein Mann, derein karibisches Restaurant führt, ist | |
nicht überrascht. „Sklaverei gibt es immer noch überall, gerade in Indien | |
mit den Kasten“, sagt er. Die Verkäufer eines Ladens in der selben Straße | |
meinen, es könne nicht sein, dass jemand 30 Jahre in Gefangenschaft lebt | |
und nicht fliehen könne. „Da ist etwas faul, entweder hat die Polizei | |
versagt oder die Nachbarn haben geschwiegen“. | |
24 Nov 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.theguardian.com/uk-news/2013/nov/23/authorities-knew-of-slave-fa… | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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