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# taz.de -- 52 Jahre hinter Gittern: Der ewige Häftling
> Über fünfzig Jahre seines Lebens hat der 77-jährige Georg Neumann im
> Gefängnis verbracht. Nun wird wieder einmal über seine Freilassung
> verhandelt.
Bild: Hinter diesen Türen in der JVA Bruchsal will Georg Neumann nicht sterben.
BERLIN taz | Am Mittwoch wird am Oberlandesgericht Karlsruhe über die
Entlassung von Hans-Georg Neumann verhandelt. Kein Mensch in Deutschland
war seit Bestehen der Bundesrepublik länger eingesperrt als er. Am 20.
Januar 2014 wird Neumann 52 Jahre seines 77-jährigen Lebens hinter Gitter
verbracht haben.
Mit seinem unrühmlichen Rekord löste er den Serienmörder Heinrich
Pommerenke ab. Pommerenke saß, wie auch Neumann, in der JVA Bruchsal ein –
und starb dort. Die beiden verstanden sich gut, Pommerenke vermachte
Neumann seine Jacke. Die taz hatte Neumanns Fall damals publik gemacht (taz
vom 7. 7. 2012).
Neumann war im Januar 1962 nach dem Mord an einem Liebespaar in das
damalige Zuchthaus in Berlin Tegel gebracht worden. Er hatte das Pärchen
gedrängt, mit ihm im Auto von Kreuzberg nach Neukölln zu fahren. Es war zu
Handgreiflichkeiten gekommen, in deren Folge Neumann seine Opfer auf
brutale Weise erschossen hatte.
Sechs Tage später wurde Neumann gefasst und am 20. Januar 1962 in das
Untersuchungsgefängnis Moabit gebracht. Am 30. Mai 1963 verurteilte der
damalige Richter Heinz Brandt Neumann „zu lebenslangem Zuchthaus. Die
bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf Lebenszeit aberkannt.“
Brandt selbst war ein Mann mit NSDAP-Vergangenheit. Der Prozess galt als
einer der spektakulärsten nach dem Krieg. Der Maler Gerhard Richter, dessen
Werke zu den höchst dotierten der Gegenwart gehören, hatte damals Fotos des
Prozesses als Vorlage für eines seiner Gemälde verwandt.
## Fragwürdige Gutachten
Seit 1991 befindet sich Neumann nun in der JVA Bruchsal. Es dauerte 20
Jahre, bis er 1982 seinen ersten Antrag auf „Aussetzung der Vollstreckung
der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung“ stellte. Später folgten
Gnadengesuche, die andere für Neumann stellten und die ausnahmslos
abgeschmettert wurden.
Auch schwere Krankheiten und der Verlust eines Auges würden dem greisen
Gefangenen nicht die Gefährlichkeit nehmen, hieß es in den forensischen
Gutachten, die mitunter auf Grundlage vorheriger Gutachten und ohne
persönliche Gespräche mit Neumann erstellt worden waren.
Zuletzt versagten die Richter Neumann im Januar 2013 die Entlassung. „Bis
jetzt hat sich hier nichts verändert“, schreibt er der taz. „Das ganze Jahr
ist ohne die kleinste Verbesserung fast zu Ende gegangen.“
Ist seine lange Haft eines Rechtsstaates würdig? Im Urteil des Ersten
Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 1977 heißt es: „Zu den
Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs gehört, dass dem zu
lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance
verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden.“ Ein Rechtsstaat
könnte einem 77-Jährigen Gnade erweisen.
Neumann will nicht im Gefängnis sterben. Auch wenn es ihm schwer fällt,
sich eine Welt jenseits der diktierten Ordnung der Auf- und Einschlüsse
vorzustellen. Er wolle draußen Gerhard Bruch treffen, sagt er, den Pfarrer,
mit dem er seit 1972 Kontakt hält und in dem er vermutlich seinen einzigen
Freund erkennt. Auch würde er sich überlegen, ob er vielleicht eine Reise
durch Deutschland antritt.
3 Dec 2013
## AUTOREN
Kai Schlieter
## TAGS
Gefängnis
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