# taz.de -- Opfer des Klimawandels: Symbolvogel für die schwächelnde Natur | |
> Der Austernfischer ist zum Seevogel des Jahres 2014 erklärt worden, weil | |
> er für die Veränderungen steht, die sich an der norddeutschen Küste | |
> vollziehen. Seine Bestände sinken. | |
Bild: Maskottchen des Nationalparks Hamburgisches Wattenmeer: Austernfischer | |
HAMBURG taz | Der Austernfischer ist nicht ohne Grund zum Maskottchen des | |
Nationalparks Hamburgisches Wattenmeer erkoren worden. Mit seinem | |
schwarz-weißen Gefieder, roten Beinen und einem roten langen Schnabel | |
gehört er zu den auffälligsten und niedlichsten Vögeln der Küste. Doch die | |
Zahl dieser Charaktervögel sinkt seit Jahren, wofür ein ganzes Bündel an | |
Gründen verantwortlich gemacht wird, die nicht zuletzt mit der Veränderung | |
der Umwelt an der Küste zu tun haben. Um auf den Rückgang der Art | |
hinzuweisen, hat der Verein Jordsand zum Schutze der Seevögel den | |
Austernfischer zum „Seevogel des Jahres 2014“ erklärt. | |
Laut dem trilateralen Monitoringprogramm der Wattenmeerländer Niederlande, | |
Deutschland und Dänemark ist die Zahl der Austernfischer im Wattenmeer | |
zwischen 1991 und 2006 jährlich um durchschnittlich drei Prozent zurück | |
gegangen. Der schleichende Verlust hat regional zu drastischen Einbrüchen | |
geführt. Allein im schleswig-holsteinischen Wattenmeer sank die Zahl der | |
Brutpaare um die Hälfte auf etwa 10.000. Europaweit nahmen die Bestände | |
nach Angaben von Jordsand von einer Million auf 800.000 ab. | |
Aus Sicht von Veit Hennig, Dozent für Zoologie und Naturschutz an der | |
Universität Hamburg sowie ehemaliger Vorsitzender des Vereins Jordsand, | |
machen vor allem zwei Entwicklungen dem Austernfischer das Leben schwer: | |
der Klimawandel mit seinen Folgen und der Fuchs – beides Faktoren, auf die | |
der Nationalpark keinen Einfluss habe. Denn der Klimawandel sei ein | |
weltweites Problem und die Auslöschung der Tollwut ein nationales Programm. | |
„Die Füchse haben durch die Tollwutimpfung stark zugenommen“, sagt Hennig. | |
Festlandsnester von Vögeln sind für die Räuber ein leichtes Ziel. Das gilt | |
auch für Halligen wie Oland oder Nordstrandischmoor, die durch Dämme mit | |
dem Festland verbunden sind. | |
Mit der flächendeckenden Bekämpfung der Tollwut sei die Seuche als | |
Steuerungselement abhanden gekommen, sagt Henning. Die Jäger würden der | |
wachsenden Population nicht Herr. Im Nationalpark dürften die Tiere | |
überdies gar nicht gejagt werden. „Manchmal kapiert man erst nach einer | |
Weile, welche langfristigen Konsequenzen das hat“, sagt er. | |
Die immer wieder angeführte These, sinkende Mengen an Muscheln ließen das | |
Nahrungsreservoir für die Vögel schrumpfen, sind für Hennig nicht | |
plausibel. Die Vögel, gerade die Jungtiere, ernährten sich häufig von | |
Würmern. Und der Monitoringbericht verweist auf die Erfahrungen aus den | |
Niederlanden: Das Ende der mechanisierten Miesmuschelfischerei habe die | |
Schwindsucht der muschelfressenden Arten nicht gestoppt, heißt es da. | |
Vielmehr lege die Analyse der Zugvögelbestände nahe, „dass großräumige | |
Veränderungen stattgefunden haben“. | |
Der Monitoringbericht weist darauf hin, dass viele Salzwiesen nicht mehr | |
beweidet würden und sich dort entsprechend hohe Vegetation breit mache. | |
„Diese Lebensraumtypen sind offensichtlich ungeeignet für brütende Watvögel | |
und könnten zu deren schwindender Zahl beitragen“, heißt es in dem Bericht. | |
Doch selbst ein intaktes Vorland garantiert nicht, dass die Vögel sich | |
vermehren können. Seit etwa 1990 sei zu beobachten, dass das Hochwasser im | |
Mai und Juni 40 bis 80 Zentimeter höher auflaufe als normalerweise, sagt | |
Hennig. Das Meer überspüle dann die Salzwiesen und mit ihnen die Nester der | |
Austernfischer. Gelege werden zerstört, Kücken von ihren Eltern getrennt | |
und unterkühlt. Zehn bis 40 Zentimeter um das mittlere Hochwasser herum – | |
das sei der kritische Bereich, der seinen Wert durch hohe Spitzentiden | |
verliere. „Im Radio nimmt die keiner wahr“, sagt Hennig. Doch für die | |
Arten, die dort brüten, wie den Rotschenkel, den Sandregenpfeifer und den | |
Säbelschnäbler, sei das fatal. | |
Verschlimmert werde die Lage durch vermehrt auftretendes, tagelang | |
anhaltendes stürmisch-regnerisches Wetter. Die Tiere können keine Nahrung | |
suchen und werden schwach. Selbst Seevögeln, die an das Küstenklima | |
angepasst seien, mache das Schwierigkeiten. „Dabei ist wohl der Puffer | |
schon ausgeschöpft“, vermutet der Zoologe. Will sagen: Viel mehr | |
Anpassungsspielraum haben die Vögel nicht. | |
Alles zusammen erkläre die Kür des Austernfischers zum Seevogel des Jahres. | |
„Er soll nicht für sich selbst stehen, sondern für den Bedrohungsaspekt | |
eines Lebensraums“, sagt Hennig. | |
1 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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