# taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Die Tage nach dem Knall | |
> Schumachers Unfall, der Anschlag von Wolgograd, Winterpause, Karneval: | |
> Die politische Woche im Rück-, Vor- und Überblick. | |
Bild: Das Krankenhaus am Rande der Stadt: Zu Schumis Geburtstag drängen sich F… | |
Die erste Kalenderwoche ist traditionell zerstückelt. Die Politik macht | |
Pause, die Nachrichten der letzten Tage wurden im Wesentlichen von | |
gemischten Meldungen beherrscht, zum Beispiel von der, dass ein | |
Exrennfahrer eine Skipiste heruntergerast ist, bis seine Steilfahrt an | |
einem Fels ihr Ende fand. | |
Draußen in der Provinz, in den deutschen Vor- und Schrebergärten, flattern | |
seitdem wieder die roten Fahnen einer italienischen Automobiledelmarke, | |
stets bereit, auf halbmast gezogen zu werden. Und fernab, in der schönen | |
französischen Stadt Grenoble, am Rande der Alpen, versuchen sich | |
Journalisten in Priesterkutte einen Zugang zum Patienten zu erschleichen. | |
Dabei hat der Exrennfahrer zuletzt die Marke gewechselt, von Rot zu Silber; | |
und dass andernorts, aber auch in den Alpen sieben Menschen von Lawinen | |
erfasst und getötet wurden, interessiert in diesem Zusammenhang wohl | |
weniger. Glücklich ist, wer mit Nina Simone singen kann: „My baby don’t | |
care for cars and races, my baby just cares for me.“ | |
Immerhin hat noch keiner das eine mit dem anderen zusammengebracht, also | |
mache ich das jetzt. Grenoble ist, man glaubt es kaum, auch eine olympische | |
Stadt; hier fanden im außerordentlichen Jahr 1968 die Winterspiele statt | |
(übrigens die ersten, an denen zwei deutsche Mannschaften teilnahmen). | |
## Wenn Geschwindigkeit zur Sucht wird | |
In wenigen Wochen wird das kaukasische Sotschi zur olympischen Stadt, und | |
so haben wiederum andere KollegInnen, diesmal wohl kaum in priesterlicher | |
Kluft, die Entfernung vom Austragungs- zum Tatort gemessen. Sie wissen | |
schon, zum Tatort der letzten terroristischen Anschläge des vergangenen | |
Jahres im – den Deutschen unter anderem Namen sattsam bekannten – | |
Wolgograd. Und wie weit ist es? Kann man die Strecke Wolgograd–Sotschi a) | |
auf Skiern, b) im Formel-1-Wagen oder c) im Trolleybus zurücklegen? Die | |
richtige Antwort lautet d), 700 Kilometer, und damit ist es erst einmal | |
genug der zynischen Betrachtung. | |
Stattdessen könnte man etwas über den Rausch schreiben. Michael Schumacher, | |
besagter Expilot, hat in seinem früheren Beruf, also bevor er Ski fahrender | |
Privatier wurde, seine ihm eigene Waghalsigkeit, seinen Mut zum Risiko und | |
seine Leidenschaft für den Rausch der Geschwindigkeit eine Zeit lang aufs | |
Beste mit maschineller Perfektion und perfekter Arbeitsstruktur verbinden | |
können. | |
Die Folge waren mehrere Weltmeistertitel in einer Sportart, die in dieser | |
Zeitung völlig zu Recht nicht verfemt, sondern, besser noch, ignoriert | |
wurde. Wer sich aber an Schumachers Unfälle erinnert, beispielsweise an den | |
von Spa, bei dem er völlig haltlos und blind in ein vor ihm quasi stehendes | |
Auto gebrettert ist, oder an den, als er im entscheidenden Rennen versucht | |
hat, seinen Konkurrenten Villeneuve von der Strecke zu schubsen, wird sich | |
auch über diesen Skiunfall nicht gewundert haben können. Ganz nach dem | |
Motto: Wenn Geschwindigkeit zur Sucht wird – und, wie jede Sucht, | |
lebensgefährlich werden kann. | |
## Banaler Rausch | |
Der Vorteil ist ja für Berserker wie „Schumi“, dass mit | |
Geschwindigkeitssucht unter fördernden Umständen eine verdammte Stange Geld | |
gemacht werden kann, während andere Süchte, die nicht so direkt mit | |
„Leistung“ in Verbindung stehen, auf Dauer eher arm machen. Aber egal, wie | |
das Schicksal des Expiloten in der Klinik von Grenoble entschieden oder | |
verlaufen wird, sicher ist, dass es nichts an den Zuständen ändern wird. | |
Auch ein toter Michael Schumacher wird den Erfolg der Formel 1 nicht | |
aufhalten oder die Unsitte des Skifahrens (teuer, umweltschädlich, | |
gesundheitsgefährdend) dauerhaft diskreditieren. Aus hedonistischer Sicht | |
ist das vielleicht sogar auch gut so. | |
Draußen, auf den Straßen unserer friedlichen Republik, ist das mit dem | |
Rausch banaler. Da regierte rund um den Jahreswechsel natürlich der | |
Alkohol. Und besonders der Lärm. Böller und Raketen, die vorzugsweise aus | |
Polen importiert waren oder gleich aus China, knallten 72 Stunden lang; die | |
Leuchtkraft ist enorm und schön, die Sprengkraft passabel, aber die | |
Lautstärke genau das: ohrenbetäubend. Man weiß nicht, wie viele HNO-Ärzte | |
sich am gestrigen Freitag über volle Wartezimmer freuten. (Und wie viele | |
Veterinärpsychologen sich der verstörten Haustiere annehmen mussten.) | |
Zwei, drei Tage lang war also Ausnahmezustand, eine Woche nach Weihnachten, | |
aber dann ist schon wieder Kehrwoche und Rückkehr zum Alltag. Die Tage nach | |
dem Knall. Aber keine Sorge, der nächste ordnungsgemäß eingerichtete | |
Ausnahmezustand kommt bestimmt, zumindest in den westdeutschen Provinzen: | |
Am 3. März ist Rosenmontag. Und viele LeserInnen bewegt schon jetzt nur | |
diese eine Frage: Gibt es dieses Jahr auch eine Karnevals-taz? | |
3 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Rene Hamann | |
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Oury Jalloh | |
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