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# taz.de -- Verschmutzte Schulen in Berlin: Saubere Lösung gesucht
> Die Beschwerden über mangelnde Sauberkeit in Berliner Schulen nehmen
> wieder zu. Der Protest formiert sich – und hat nun erste Konsequenzen.
Bild: Hier wird selten geschrubbt: Schüler der Grundschule am Weißen See in e…
Der Sand knirscht unter den Füßen und bildet Häufchen auf dem
Linoleumboden. Die Kinder, deren Schuhe ihn in diese Berliner Grundschule
getragen haben, sind längst nach Hause gegangen. Jetzt betritt Özgül Gezer*
die Schule. Sie sieht: überquellende Mülleimer, beschmierte Toiletten,
klebrige Fensterbänke und den Sand. Der ist überall – das sei „normal nach
einem Schultag“, sagt sie.
Sieben Stunden hat sie laut Leistungsvereinbarung für die Reinigung, sieben
Stunden bekommt sie pauschal bezahlt. Sie braucht aber acht bis neun.
Mindestens eine unbezahlte Überstunde schrubbt die 37-Jährige deshalb.
Denn: „Wenn es nicht sauber ist, steigt der Schulleiter mir aufs Dach“,
sagt sie.
Gezer ist sogar Profi: Sie hat eine dreijährige Ausbildung zur
Gebäudereinigerin und reichlich Erfahrung. Sie gehört zu den Schnellsten,
viele ihrer Kollegen sind Quereinsteiger. Doch auch sie schafft die
Vorgaben nicht. „Wer das ausgerechnet hat, kann selber nie einen Lappen in
der Hand gehabt haben“, sagt sie. „Die Zeit ist viel zu knapp.“
Das ist eine der Ursachen für mangelhafte Sauberkeit in Schulen: Da die
Bezirke die Aufträge einzeln pro Schule immer an den günstigsten Anbieter
vergeben müssen, unterböten sich die Reinigungsfirmen bis ins Unmögliche,
sagt der Inhaber einer Berliner Reinigungsfirma. Er will seinen Namen nicht
in der Zeitung sehen, um unter Kollegen nicht als Verräter zu gelten. Trotz
der schlechten Bezahlung würden sich die Firmen in der Branche um die
Schulgebäude reißen. „Denn da kommen täglich viele Stunden zusammen“, sa…
er. Seine Firma putzt jedoch in keiner Schule. „Ich würde einen solchen
Auftrag nie bekommen, ich rechne zu realistisch“, sagt er.
Peter Beckers (SPD), Schulstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, kennt die
Situation: „Ja, die Privatisierung der Reinigung hat zu großen Problemen
geführt.“ Bezirks-Elternvertreter von Pankow bis Hellersdorf bestätigen,
dass die Beschwerden über unzureichende Sauberkeit in Schulen seit Jahren
immer mal wieder aufkommen. Eine Grundschullehrerin aus Mitte erzählt: „Ich
kann mit den Kindern keinen Sitzkreis auf dem Boden machen, weil ich ihnen
nicht zumuten kann, sich in diesen Dreck zu setzen.“ Es ist kein neues
Problem: Schon seit rund zwei Jahrzehnten ist die Reinigung der Schulen
privatisiert.
In letzter Zeit häuften sich die Beschwerden vor allem in Kreuzberg, wo im
Herbst erstmals wütende Eltern von fünf Schulen zusammenkamen, um sich zu
vernetzen. „Wir wollen jetzt massiver protestieren“, sagt Swantje Kaposty,
Initiatorin des Treffens. Zwei ihrer drei Kinder gehen auf die
Adolf-Glaßbrenner-Grundschule. „Die Zustände da sind widerlich“, sagt sie.
Die Kinder verkniffen es sich aus Ekel, die Toiletten zu benutzen, und die
Eltern kämen selbst einmal im Monat, um die Schule zu putzen. Deshalb hat
sie neben der Facebook-Gruppe „Schulschmutz Berlin“ gegründet – als
öffentliche Anlaufstelle für alle Verärgerten – und den Blog
Schulschmutz.kaposty.de, auf dem sie Fotos vom Schuldreck in eine „Galerie
des Grauens“ hochlädt.
Auch an anderen Schulen wird man aktiv. Anfang November lud die
Emanuel-Lasker-Schule Schulstadtrat Beckers, die Leiterin des
Bezirksschulamts Marina Belicke und andere zu einer Diskussionsrunde zu dem
Thema ein. Beckers und Belicke appellierten an die Schulleiter, nach der
Reinigung Mängellisten auszustellen und beim Bezirksamt einzureichen. Nur
so könnten sie die Mängel nachvollziehen und entsprechend abmahnen.
Diese Listen auszufüllen kostet Schulleiter jedoch viel Zeit, es muss noch
vor 8 Uhr morgens geschehen und mancher habe obendrein Hemmungen, erzählt
eine Mutter. Schließlich seien die Leidtragenden wieder die Putzkräfte, die
unbezahlt zum Nachbessern kommen müssten. Dennoch, sagt Belicke, kämen von
manchen Schulen zwei- bis dreimal die Woche Mängellisten. „Das zeigt doch,
dass der Ärger groß genug ist“, sagt Kaposty.
Stadtrat Beckers hält die Vorwürfe teilweise für berechtigt. Es sei durch
Kontrollen nachgewiesen, dass stellenweise nicht ausreichend geputzt werde.
Deshalb seien den Reinigungsfirmen an mehreren Schulen bereits Abmahnungen
ausgesprochen worden. „Wenn sich das wiederholt, bin ich zu einer
fristlosen Kündigung bereit“, sagt Beckers.
Mit einer Kündigung ist es jedoch nicht getan, solange der Bezirk weiterhin
gezwungen ist, in einem Vergabeverfahren den günstigsten Dienstleister
auszuwählen. Das sieht auch Beckers so: „Ein solches Verfahren hat keine
Zukunft.“ Als der Bezirk vor zwei Jahren jedoch versucht hatte,
Qualitätskriterien wie Referenzen oder Erfahrung in der Schulreinigung in
das Vergabeverfahren einzufügen, hatte eine unterlegene Firma geklagt und
recht bekommen: Das Verfahren sei intransparent und stimme nicht mit dem
EU-Recht überein, rügte die Vergabekammer. Seitdem musste wieder rein nach
dem Preis ausgewählt werden.
In diese Richtung wolle man aber wieder denken, sagt Beckers. Damit es
nicht wieder vor Gericht scheitere, werde man sich mit Vergabejuristen, der
Gebäudereinigerinnung und anderen zusammensetzen und beraten, wie sich das
Verfahren ändern ließe. „Das ist wie mit dem Schulessen“, sagt
Schulamtsleiterin Belicke. „Es geht nicht von heute auf morgen. Aber wir
finden eine Lösung.“
Die Essenslösung ist allerdings nicht übertragbar: Eine Pauschale
festzulegen und dann einen Anbieter dafür aussuchen sei bei der Reinigung
nicht möglich. Schließlich gebe es in jedem Gebäude andere Anforderungen.
Deshalb wird auch die Reinigung jeder Schule einzeln ausgeschrieben.
Möglich wäre aber zum Beispiel ein Probeputzen. „Wenn eine Firma etwa
behauptet, sie könne 50 Quadratmeter in zwei Minuten reinigen, dann müsste
sie das vormachen“, sagt Beckers.
Doch es gibt noch ein zweites Problem – darauf weisen die betroffenen
Putzfirmen hin: Der Bezirk kaufe zu wenig Reinigungsleistung bei ihnen ein.
„Für manche Schulen reicht zwei- bis dreimal die Woche nicht aus“, sagt ein
Firmenchef. Konkret führt diese „eingeschränkte Reinigungsleistung“, wie
sie für die meisten Schulen gilt, dazu, dass Özgül Gezer, wenn sie in der
Schule putzt, manchen Schmutz liegen lassen muss. Die zwei
Gesamtreinigungen pro Woche werden aufgeteilt, sodass Gezer jeden Tag in
der Schule steht. Nur ist an einem Tag der linke Gebäudeflügel dran, erst
am anderen dann der rechte – auch wenn er bereits schmutzig ist.
Mit den 2,5 Millionen Euro, die der Bezirk im Jahr für die Schulreinigung
ausgibt, sei man bereits nahe am Limit des Budgets, betont Stadtrat
Beckers. Ob das Budget angehoben und inwiefern das Vergabeverfahren
geändert wird, will man noch im Januar besprechen. Dann kommen Vertreter
von Schulen, dem Bezirk, den Reinigungsfirmen und Gewerkschaften zusammen
an einen Tisch – ein kleiner Erfolg der Proteste, an den sich jetzt viele
Erwartungen knüpfen.
*Name geändert
6 Jan 2014
## AUTOREN
Maja Beckers
## TAGS
Berlin
Schule
Bezirke
Lohndumping
Bezahlmodell
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