# taz.de -- Zusammenkünfte auf La Réunion: „Glück ist machbar“ | |
> Die kleine tropische Insel La Réunion ist die südlichste Region | |
> Frankreichs. Massentourismus gibt es auf der Insel, die einst „Ile de | |
> Bourbon“ hieß, bisher nicht. | |
Bild: Die wilde Ostküste von La Réunion. | |
Eine Tropeninsel, über 10.000 Kilometer entfernt von Europa, mitten im | |
Indischen Ozean. Französische Lebensart vermischt mit tropischem Charme, | |
kreolischer Buntheit und einer atemberaubenden Natur. La Réunion – | |
Französisch für (Wieder-)Vereinigung – ist nicht nur eine Insel, sie | |
scheint auch ein Programm zu sein. Das gilt für die Menschen wie für die | |
Tiere und Pflanzen. | |
Selbst die Landschaften legen es hier darauf an, Vielfalt zusammenzuführen: | |
ein höchst aktiver Vulkan und grandiose grüne Talkessel – die berühmten | |
„cirques“ – neben lieblichen Lagunen und tosender Brandung. Riesige | |
Lavaströme und Tropenwälder, Zuckerrohrfelder und Korallenriffe. Und sogar | |
die Vanille wächst hier nicht allein vor sich hin, sondern umschlingt Bäume | |
und rankt sich an ihnen hoch. | |
Ihren Siegeszug als feines Gewürz verdankt sie übrigens der künstlichen | |
Bestäubung per Hand. Diese Technik entdeckte Edmond Albius, ein junger | |
Schwarzer Sklave 1841 – zu einer Zeit, als die Insel Ile de Bourbon hieß. | |
Kolibris zum Bestäuben wie in Mexiko gab und gibt es auf der Insel nicht: | |
Auch die Bourbon-Vanille ist das Ergebnis einer gewollten Vereinigung. | |
„Corriger la fortune“ – Glück ist machbar. Es hilft, herumzuprobieren, es | |
ist gut, immer neu zu mischen. Könnte sein, dass es dieser Geist ist, der | |
die südlichste Region Frankreichs – und der EU – für viele zu einem | |
Traumziel macht. Vor allem unstetere Geister scheinen hier gern vor Anker | |
zu gehen. Auch einige Deutsche haben sich auf La Réunion niedergelassen – | |
oder kommen zumindest immer wieder. Etwa die Reisejournalistin Birgit | |
Weidt, die ein lesenswertes Buch über „Die Insel des ewigen Frühlings“ | |
geschrieben hat. In ihm besingt sie das „ensemble“, das hier das Motto | |
allen Lebens zu sein scheint: das Kreolische, das die Mischung zur Heimat | |
macht, zur Herkunft, auf die man stolz ist. | |
Rico zum Beispiel, ein freundlicher, sympathisch gegerbter Endfünfziger mit | |
einem Lachen, das einen Vulkanausbruch übertönen könnte. Dabei ist der Mann | |
so etwas wie der „Pferdeflüsterer“ von La Réunion. Im Osten der Insel hat | |
er seine Ferme Equestre du Grand-Etang mit 50 Pferden aller Rassen und | |
jeden Alters. Von hier aus unternimmt er mehrtägige Reittouren, die zum | |
Schönsten gehören, was man sich auf der Insel leisten kann. | |
Wir sitzen mit Rico am großen Tisch in seinem Reiterhof. Er hat selbst | |
gekocht. Es gibt Stockfisch, Kürbiskraut, Reis und dazu Rougail saucisse. | |
Rougail ist das Beste, was einem rauchigen französischen Würstchen | |
passieren kann: dass es nämlich in kleinen Stückchen mit einer Sauce aus | |
Tomaten, Ingwer, Knoblauch, Chili und allerlei exotischen Gewürzen | |
vereinigt wird. Irgendwie gleicht es damit ein wenig dem, was die Franzosen | |
auf ihrer ehemaligen Kolonialinsel praktizieren: Sie vermischen sich. | |
Ricos mittlere Tochter, Stefanie, ist klug und sehr selbstbewusst. Sie hat | |
in Schottland und Montana studiert und praktiziert auf der Insel | |
„horsemanship“. Das heißt, sie bringt Pferdebesitzern die artgerechte | |
Haltung und Ausbildung der Tiere bei. Ein neues Verhältnis von Tier und | |
Mensch, das noch weit über das hinausgeht, was ihr Vater mit den Pferden | |
macht – die müssen ja darauf trainiert werden, alle möglichen Reiter und | |
Touristen friedvoll zu tragen und zu ertragen. Immer wieder diskutieren die | |
beiden darüber. Stefanie bleibt streng: Es gehe darum, richtig miteinander | |
umzugehen. Auch mit Pferden. | |
Egal ob Pferde, Menschen, Speisen, es ist dieses Mit- und Durcheinander, | |
das La Réunion so sympathisch macht. Und es ist angenehm, wie problemlos | |
man in diese bunte, würzige Sauce eintauchen kann. Massentourismus gibt es | |
auf der Insel nicht - höchstens einen gewissen Anstieg der | |
„Metropol“-Franzosen in Ferienzeiten. Der Besucher fühlt sich nicht als | |
Tourist, eher als eine weitere Zutat in der Sauce. | |
## Die Hand hinterm Ohr | |
Natürlich hilft es, wenn man etwas Französisch spricht, dann ist man fast | |
schon einer der sogenannten „zoreils“ – die Ohren. So werden die hier | |
lebenden Franzosen vom Festland – etwa 10 Prozent der Bevölkerung – | |
genannt, angeblich, weil sie angesichts des schwer verständlichen | |
Kreolischen gern mal die Hand hinters Ohr legen. | |
Wer weder Französisch noch Kreolisch spricht, wird an der Webseite einer | |
anderen deutschen „Réunionaise“ Gefallen finden: Brigitte Monat, die für | |
deutsche Reisende fast schon eine Institution ist. Als sie vor Jahren nach | |
La Réunion kam, bemerkte sie, wie mühsam es war, eine gute Unterkunft zu | |
finden. Die gibt es zwar auf der Insel, doch erst seit sie ihre Webseite | |
[1][reunion-urlaub.com] startete, kommt man bequem (und ohne Zusatzkosten) | |
an „gites“, Ferienwohnungen und Hotelzimmer heran. | |
Inzwischen verbringt die reiselustige Münchnerin mindestens sechs Monate im | |
Jahr auf der Insel und entdeckt immer wieder neue gute und günstige | |
Unterkünfte. Sie berät, organisiert, reserviert: Sowohl die Touristen als | |
auch die Vermieter schätzen ihre Dienste. „Deutsche gehören auf Réunion | |
heute zu den beliebtesten Gästen – auch wenn es nicht sehr viele sind“ | |
erzählt sie. Keine schlechte Idee, aus einer zweiten Heimat einen Beruf zu | |
machen. | |
## Der Bergführer aus Tirol | |
Da ist auch Franz, der Tiroler Bergführer, auch er ein Reisender. | |
Jahrzehntelang hat er in Berlin in der berühmten Kneipe Luther & Wegener | |
gearbeitet, dann Jahre in Japan verbracht. Seit 25 Jahren lebt er jetzt als | |
Hochseefischer in Ermitage, einem der schönsten der wenigen Badestrände der | |
Insel. Nebenbei betreibt er mit seiner französischen Frau, einer | |
Deutschprofessorin, eine kleine Ferienwohnung. Mit seinem alpinen Charme, | |
seinen frischen japanischen Thunfischhäppchen, kleinen Drinks und jeder | |
Menge ebenso spannendem wie weltläufigem Tiroler Schmäh ist er der ideale | |
Gastgeber zum Einstieg. | |
Auch er fast ein echter Réunionais, denn letztlich sind alle Menschen auf | |
der Insel Hängengebliebene, egal aus welcher Ecke der Welt sie kamen: | |
Portugiesen, Franzosen, Sklaven aus Afrika und Madagaskar; Inder und | |
Chinesen, die nach der Abschaffung der Sklaverei als Lohnsklaven | |
einsprangen. Und französische Beamte, die hier gern ihre Renten verjubeln. | |
Der Witz dabei ist nicht das Nebeneinander, sondern die Mischung: So | |
erfreulich die friedlich nebeneinander existierenden Hindutempel, Minarette | |
und christlichen Kirchen sind, so verführerisch die indischen, chinesischen | |
und französischen Restaurants locken, noch wunderbarer ist es, zu sehen, | |
wie im chinesischen Schnellrestaurant eine Frau im indischem Sari einer | |
schwarzen Kundin ein Chop Suey mit Linsen, der klassischen Beigabe der | |
Réunion-Küche, verkauft. Und dazu ein Baguette: Die französische | |
„Leitkultur“ mit all ihrem Savoir-vivre ist durch das Eintunken in den | |
Indischen Ozean liebenswerter und bunter, lässiger und freudvoller | |
geworden. Genau das ist es wohl, was einem an der kreolischen Kultur und | |
den Kreolen so gefällt. | |
## Aussicht aufs Meer und Kochkurse | |
An Elourda und Yves etwa, die in Tevelave, 600 Meter über dem Meer, nicht | |
nur ein paar hübsche Ferienwohnungen mit Aussicht aufs Meer vermieten, | |
sondern auch kreolische Kochkurse geben. Während wir mit Elourda Samoussas, | |
jene dreieckigen nordindischen Teigtäschchen falten, die man in La Réunion | |
an jeder Straßenecke bekommt, sitzt ihre 95-jährige Großmutter gemütlich | |
lächelnd dabei. Sie hat leicht chinesische Züge. Elourda ist ihr 13. Kind. | |
Yves war als junger französischer Marinesoldat noch bei den Atomversuchen | |
von Mururoa dabei. Er hat die Welt gesehen. | |
Heute trägt er einen mächtigen Schnurrbart und sammelt und repariert alte | |
Renaults aus den 50er Jahren. Elegant serviert er „rhum arrangé“, eine | |
Köstlichkeit, bei der der gute lokale Rum mit Früchten angesetzt wird, | |
deren Mischung genauso geheimnisvoll ist wie die von Yves' Vorfahren. | |
Oder Monique, die uns ein paar der aufregenden Wanderstrecken der Insel | |
zeigt. Die sportlich-drahtige Frau, Anfang 60, kennt, so scheint es, jeden | |
Zentimeter Weg auf La Réunion persönlich. Seit Jahren läuft sie den | |
berühmt-berüchtigten Grand Raid mit, jene „Diagonale der Verrückten“, ei… | |
Ultramarathon, der über 160 Kilometer quer über die Insel führt. | |
Monique hat eine chinesische Mutter und einen kreolischen Vater. Ihre | |
Kinder leben in Europa, sie selbst war Krankenschwester und genießt heute | |
das Leben einer zufriedenen Rentnerin und „Raideuse“. Sie trainiert viel, | |
reist ab und zu und macht nebenbei freiwillige Sozialarbeit mit | |
arbeitslosen Jugendlichen. | |
## Subventionen aus Paris | |
Denn auch die gibt es auf der Insel. Die wirtschaftlichen Perspektiven – | |
gerade für junge Leute – sind nicht ideal. Doch immerhin: Frankreich sorgt | |
für seine Überseegebiete – und das nicht schlecht. Jährlich pumpt Paris | |
Millionen an Subventionen in sein südliches Kleinod. Sozialprogramme, | |
Infrastrukturmaßnahmen, Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser. Es hat | |
Vorteile, zur „Grande Nation“ zu gehören. Während das benachbarte Mauriti… | |
mit Tourismus und Textil-Sweatshops für sich selbst sorgen muss, wird La | |
Réunion großzügig alimentiert. Nicht das Schlechteste, was einem alten | |
Sklavenstaat passieren konnte. | |
Ein Beispiel für die geglückte Überwindung des Kolonialismus? Mag sein. Der | |
Wunsch nach Unabhängigkeit hält sich auf La Réunion in Grenzen – es gibt ja | |
auch keine Ureinwohner. Nur Hängengebliebene – und Hängenbleiber. | |
Eines kann man der lieblichen Insel am südlichen Wendekreis bescheinigen: | |
An wenigen Orten der Welt scheint der Übergang zur Multikulti-Gesellschaft | |
so elegant zu glücken wie hier. Vielleicht kein Modell für den Rest der | |
Welt – nicht überall sind die Voraussetzungen so günstig –, aber vielleic… | |
doch ein Traum. Oder ein Ziel. Auf jeden Fall aber ein Traumziel. | |
27 Jan 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://reunion-urlaub.com | |
## AUTOREN | |
Thomas Pampuch | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Indischer Ozean | |
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