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# taz.de -- Folkband The Hidden Cameras: Zwischen Büro und Club
> Der Unternehmensberater Jens Schärdel ist Bassist der erfolgreichen
> kanadischen Folkband The Hidden Cameras. Ganz schön stressig.
Bild: Also Jens Schärdel ist der 2. von links. Eventuell.
„Samstag: Wien, Sonntag: München, Dienstag: Paris.“ Zwischen zwei Konzerten
liegt für Jens Schärdel ein ganz normaler Bürotag. Am Montag handelt der
37-Jährige nach Feierabend noch seinen Bonus für das letzte und die
Gehaltserhöhung für das kommende Jahr aus. Am nächsten Morgen steigt er
wieder in den Tourbus, fährt in irgendeine Stadt, um dort auf der Bühne zu
stehen. Schärdel ist Volljurist, arbeitet als Unternehmensberater und
spielt als Bassist bei der kanadischen Band „The Hidden Cameras“.
Künstlerkollektiv ist das richtige Wort, um die Band von Joel Gibb zu
beschreiben. Der Kanadier ist das Herz der Band, schreibt alle Songs und
holt sich für Tourneen „Freunde“ mit auf die Bühne, wie er sagt. Einer
davon ist Schärdel. Er spielt Bass, Gitarre oder Keyboard und gibt die
zweite Stimme zu Gibbs charismatischem Gesang.
Gerade war Auftakt ihrer Tour zum neuen Album „Age“ in Wien. Einen Tag
später spielt Schärdel in seiner Heimatstadt: München. Die Bühne ist da nur
30 Meter von seinem anderen Arbeitsplatz entfernt. Vom Schreibtisch aus der
Tür, durch den kleinen Innenhof, ein paar Stufen links hinunter. Da ist der
Club, in dem The Hidden Camera gastiert.
Dort steckt die Band noch im Soundcheck, eine improvisierte Bandprobe.
Viermal zählen die Drumsticks ein, dann versuchen sie es nochmal:
Dadida/D-D-Dadida/Dadida im Chor. Die sechs Musiker üben den Anfang des
neuen Songs „Skin & Leather“. In drei Stunden muss es sitzen. Das Konzert
der Indie-Folk-Band ist ausverkauft. „Erst so, dann so, dann so – okay?“,
erklärt Gibb und zeigt die Harmonien nochmals auf seiner Gitarre. Und:
Dadida/D-D-Dadida/Dadida.
## Sexualität ist offenes Thema
Schärdel kennt das Gefühl. Vor sieben Jahren spielte er zum ersten Mal mit
Gibb in der Allianz Arena. Mehmet Scholl, ehemaliger Fußballprofi vom FC
Bayern München, ließ sich extra zur Abschiedsfeier seine Lieblingsband aus
Kanada einfliegen: The Hidden Cameras. Eine Band mit mehrheitlich schwulen
Musikern, die ihre Sexualität offen zum Thema macht. Das überforderte viele
der grölenden und intoleranten Fußballfans. Sie sangen „Mehmet Scholl ist
homosexuell“, noch bevor die Band den ersten Ton spielte. Als Verstärkung
engagierten die Kanadier lederhosentragende Go-go-Tänzer und einen
Fußballchor.
In diesem Chor aus Münchener Musikern sang damals auch Schärdel. Dem
Konzert folgten eine rauschende Partynacht und schließlich eine Tour in
gleicher Besetzung. Die Stelle als Bandbassist erbte er zufällig von Paul
Matthews, der sich kurz vor der Tour den Arm anknackste. Schärdel sprang
ein, lernte schnell ein paar Songs auf dem Weg zum ersten Konzert. Seither
ist er die Konstante der Band in Europa. Die anderen Musiker wechseln oft.
Deshalb müssen sie auf Tour auch proben.
„Ich bin auch schon mit Gitarrenkoffer zu einem Geschäftstermin geflogen,
weil ich danach direkt zu einem Konzert musste. Dann versuche ich das
Instrument dezent am Rand des Besprechungsraums abzustellen“, sagt
Schärdel. In diesen seltenen Momenten kollidieren seine beiden
Lebenswelten. Schärdel hat in der Band inzwischen mehr Verantwortung, als
nur den richtigen Ton an richtiger Stelle zu spielen. Mit der Zeit wuchs er
zu ihrem inoffiziellen Manager.
Für die „Age“-Tour hat er Merchandising verwaltet und den Tourbus gebucht,
Interviews organisiert und als Ansprechpartner für Label und Journalisten
fungiert. „Ich bin einen Ticken strukturierter als die anderen“, sagt er.
Verständlich, denn jeder seiner Tage beginnt um 9 Uhr morgens und endet, an
guten Tagen, um 19 Uhr abends. Das denken seine Musikerkollegen oft nicht
mit.
Joel Gibb, der Bandleader, fügt Hetero-Themen in der Popkultur eine schwule
Sichtweise hinzu, singt über seinen Alltag ohne Hemmung, auch über
Sexpraktiken. Interessanter Nebeneffekt für Schärdel: Ihn hat das
gelockert. Nicht, dass er alles ausprobieren möchte, über was Gibb singt.
Als Musiker ist er auch egoistisch: Er muss seinen Instrumentalpart mögen,
egal wie wichtig die Textaussage ist.
„Age“, das neue Hidden-Cameras-Werk, ist ein Konzeptalbum: düster, komplett
in f-Moll komponiert. Es will die Musik aus Gibbs Teenagerjahren von Punk
bis zu New Wave dekonstruieren. Die alten Songs waren eingängiger. „Joel
ist gerade in seiner Berlin-Phase, glaube ich. Alle angloamerikanischen
Musiker, die nach Berlin ziehen, machen ein düsteres Album“, sagt Schärdel
und verweist auf David Bowie.
## Der Chef klatscht dazu
Bei den neuen Songs spielt Schärdel die zweite Gitarre. Auf dem Album ist
er nicht zu hören, seine Melodien werden den Songs live dazugemischt. Für
Schärdel heißt das nach Büroschluss üben, üben, üben.
Manchmal muss einer seiner Jobs unter dem anderen leiden. Am Tag vor dem
Tourstart hat er seinem Chef eine Präsentation für einen Kunden geschickt –
halb fertig, denn er musste zur Bandprobe. Zum Glück ist sein Chef kulant,
sagt er. Am Ende des Abends wird dieser seinen Mitarbeiter begeistert
beklatschen. Er wird beeindruckt sein von Schärdel, dem Musiker.
Wie lange Schärdel aber noch beides sein kann – Berater und Musiker –, wei…
er nicht. Jedenfalls: Gar nicht mehr auf Bühnen gehen, gar nicht mehr Musik
machen – der Gedanken verzerrt sein Gesicht. „Um was geht’s denn im Leben.
Du erinnerst dich später nicht an einen Tag im Büro.“
Schärdel steigt von der Bühne, Soundcheck beendet. Eine Stunde später wird
das Konzert beginnen, heute ist er nervös. Am Ende des Abends wird er
bejubelt werden, aber das weiß er in diesem Moment noch nicht.
3 Feb 2014
## AUTOREN
Fumiko Lipp
## TAGS
Folkmusik
Musik
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