| # taz.de -- Die Wahrheit: Gluckern beim Tuckern | |
| > Die deutsche Bierlobby macht mobil: Mit launigen Ideen und jeder Menge | |
| > Gerstensaft intus wird dem abnehmenden Bierkonsum in Deutschland | |
| > getrotzt. | |
| Bild: Mehr Bier rund um die Uhr muss herangeschafft werden, um die deutschen Br… | |
| Bei solchen Nachrichten fällt einem glatt die Bierflasche aus der Hand: | |
| Seit das Statistische Bundesamt jüngst mitteilte, dass die Deutschen immer | |
| weniger Bier trinken, herrscht landesweit verzweifelte Ratlosigkeit. | |
| „Deutschland – das war das Land der zwei großen Gs: Goethe und Gerstensaft. | |
| Ich weiß nicht, was jetzt aus uns werden soll“, klagt ein hochrangiger | |
| Politiker, der lieber ungenannt bleiben will. Über Jahrtausende war der | |
| maßlose Biergenuss der Deutschen wichtigstes Distinktionsmerkmal gegenüber | |
| weintrinkenden Franzosen, bekifften Niederländern und schnapsseligen Polen. | |
| In einem Akt letzten Aufbäumens beginnt nun die deutsche Bier-Lobby mobil | |
| zu machen: Gerstensaft soll wieder salonfähig werden. Wenn es doch nur mehr | |
| Salons in Deutschland gäbe! Da ist schöpferische Kraft gefragt. Vor allem | |
| die Landesverbände sollen aktiv werden und als eine Art | |
| Gerstenwurzelbewegung für neue Konsumimpulse sorgen. | |
| Arnold Raabe vom Förderverein Plautzen Plettenberg e. V. erscheint | |
| leichenblass zum Interviewtermin. Er unterdrückt einen Rülpser, schaut | |
| minutenlang auf seine Armbanduhr und stellt dann triumphierend fest: „9.34 | |
| Uhr – und ich habe schon fünf Kannen intus. Und Sie?“ | |
| Raabe sagt über sich selbst, er sei ein Mann, der sich nicht von | |
| gesellschaftlichen Trends beirren lasse. „Wer säuft, sündigt nicht“, | |
| postuliert Raabe und verrennt sich in einen halbstündigen Monolog über die | |
| Vorteile seines neuen elektrischen Häckslers für den Garten. | |
| Dann fällt dem Vorstandsvorsitzenden doch noch etwas zum Thema ein. Schuld | |
| an der Enthaltsamkeit der Deutschen trage der Staat mit seiner | |
| Restriktionspolitik. „Bierabgabe erst ab 16 Jahren! Promillegrenzen bei der | |
| Verkehrsteilnahme! Durchgestrichene Schwangere auf Bierflaschen! | |
| Verkaufsverbot an Tankstellen nach null Uhr! Wann und wie bitte soll ich | |
| denn überhaupt noch saufen?“ | |
| Plautzen Plettenberg tritt deshalb für eine radikale Umkehr zum | |
| Laisser-faire-Staat ein. „Weniger von allem wagen!“, nuschelt Raabe, der | |
| für einige Zeit auf dem Klo verschwunden war. Dann erläutert er nahtlos die | |
| Zusammenhänge zwischen permanenter Trunkenheit, effektiver | |
| Nahost-Friedenspolitik und globaler Klimarettung, um sich schließlich des | |
| Längeren darin zu verlieren, warum der FC Plettenberg am vorigen Wochenende | |
| null zu zwölf gegen den Tabellenletzten verloren hat. „Nicht genug Bier | |
| vorm Spiel“, schließt Raabe endlich und schaut sein Gegenüber verwirrt an. | |
| ## Mindestbierbedarf für die Kleinsten | |
| Einen durchsetzungsfähigeren Eindruck macht Ulrike Emmermann von Pro Bier | |
| aus Sachsen-Anhalt. Ihr Verein setzt ganz auf die Jugendarbeit. | |
| „Wir müssen die Konsumenten von morgen schon heute abholen!“, erläutert d… | |
| rustikale Endvierzigerin. „Erinnern Sie sich an die neunziger Jahre? Da gab | |
| es plötzlich in allen Kindergärten und Schulen literweise Milch für die | |
| kleinen Nervensägen. Die Landwirte litten zuvor unter einem massiven | |
| Absatzeinbruch in der Milchproduktion, und die Politik hat ihnen wieder auf | |
| die Beine geholfen.“ | |
| Diesen politischen Einsatz fordert nun auch Pro Bier: „Eine | |
| Mindestbierbedarf muss auch unseren Kleinsten zugestanden werden! Man | |
| könnte dann ja auf die Flaschen so lustige Motive mit bunten Tieren | |
| drucken“, sinniert Emmermann und kritzelt etwas auf ihren Bierdeckel. | |
| „Hier, das ist der brummige Bierbär, der mal wieder einen schlimmen Kater | |
| hat. Das ist doch witzig!“ | |
| Als klügster Kopf unter den Bier-Lobbyisten gilt Ole „Olè, Olè“ Krüger … | |
| Verein Trunkisten e. V. aus Frankfurt. Die arbeitnehmernahe Organisation | |
| ist für ihre aufsehenerregenden Guerilla-Aktionen bekannt. „Wir haben bei | |
| einer großen deutschen Bank alle Wasserspender durch Bierspender ersetzt! | |
| Zwei Wochen ging auf den Fluren gar nix mehr! Party- statt Aktienfieber!“ | |
| Auch die soziale Wirkung sei beachtlich. „Wie begegnet man am besten dem | |
| Raubtierkapitalismus? Indem man die Miezekatze abfüllt!“ | |
| Ole Krüger hat zudem eine landesweite Plakataktion gestartet, die sich an | |
| Fernfahrer richtet. Unter dem Motto „Gemütlich über die Piste tuckern – ab | |
| und zu ein Bierchen gluckern!“ ist auf großflächigen Plakaten ein | |
| Lkw-Fahrer mit Dosenhalter-Helm zu sehen, der während der Fahrt gemütlich | |
| in einer Illustrierten mit Nackten blättert und am Strohhalm nuckelt. | |
| Arnold Raabe von Plautzen Plettenberg erwacht jetzt aus seinem Nickerchen | |
| und verkündet, er habe eine Erleuchtung erfahren: „Wir müssen die | |
| Stadtwerke mit ins Boot holen. Ich freue mich schon auf die morgendliche | |
| Bierdusche!“ | |
| Die deutsche Bierlobby beweist eindrucksvoll: In schweren Krisenzeiten | |
| hilft nur Zusammenarbeit und krachender Geist. Selbst wenn der aus der | |
| Flasche kommt. | |
| 4 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Nico Rau | |
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