# taz.de -- In Ueberau wird noch DKP gewählt: Wir, das Dorf und die Partei | |
> Der kleine hessische Ort Ueberau ist eines der schönsten Dörfer | |
> Deutschlands. Hier gibt es Fastnachtsumzüge mit Che-Guevara-Fahnen. | |
Bild: El Commandante: Könnte in Ueberau sein. Ist aber Havanna. | |
UEBERAU taz | Alle drei Jahre ringen Tausende Gemeinden beim | |
Dorfhübschmachwettbewerb des Landwirtschaftsministeriums um den Titel der | |
Schönsten im ganzen Land. Konsequenterweise hieß dieses Schaulaufen | |
dereinst „Unser Dorf soll schöner werden“. Jetzt nennt es sich „Unser Do… | |
hat Zukunft“. Es geht ums Gleiche, aber klingt eben irgendwie moderner. | |
Nach Nachhaltigkeit und so. Geld winkt den Gewinnern dabei heute ebenso | |
wenig wie früher. | |
„Macht nichts“, findet Herbert Rapp, 59, Ortsvorsteher der südhessischen | |
2.300-Einwohner-Gemeinde Ueberau bei Darmstadt. Das Dorf am Rande des | |
Odenwalds ist einer der neun Preissieger des letzten Bundeswettbewerbs | |
„Unser Dorf hat Zukunft“. Ueberau ist nun ein „Bundesgolddorf“. „Da k… | |
unser schönes Dorf noch Jahrzehnte stolz drauf sein“, sagt Rapp. | |
Und schön ist es wirklich in Ueberau. Aber das hat die Gemeinde – genau | |
genommen ein Ortsteil der in Sichtweite liegenden Stadt Reinheim – wohl mit | |
Mengsberg, Mürsbach und all den anderen derzeitigen „Golddörfern“ gemein. | |
Dennoch ist Ueberau anders. Zumindest wählt man hier anders. Nämlich | |
komplett aus der Zeit gefallen. | |
Ueberau ist eine der letzten Hochburgen der Deutschen Kommunistischen | |
Partei, DKP. 33,5 Prozent der Stimmen erzielten die Kommunisten hier bei | |
der letzten Kommunalwahl 2011, vor der SPD mit 27 Prozent. Dass die – | |
unterstützt von Schwarz-Grün – mit Rapp den Ortsvorsteher stellt, ändert | |
nichts an der eigentlichen Tatsache: Ganze Familienverbände wählen in | |
„Iwwero“ kommunistisch. Geschlossen, versteht sich, denn Geschlossenheit | |
ist wichtig auf dem Dorf. Erst recht bei einer Partei wie der DKP. | |
## Kämpfe interessieren nicht | |
Zwar war die 1968 gegründete, stramm an der Seite Ostberlins stehende | |
Partei bis Mitte der 80er Jahre eine relativ große Nummer links von der | |
SPD. Doch davon kann heute keine Rede mehr sein. Mit dem Ende des Ostblocks | |
stürzte die DKP ungebremst in die Bedeutungslosigkeit. Des Elends nicht | |
genug, ist die auf Zwergenniveau geschrumpfte Partei heillos zerstritten. | |
Worum es bei den Flügelkämpfen geht, versteht außerhalb der DKP kein | |
Mensch. Interessiert auch kaum jemanden. Nicht einmal in Ueberau. | |
Das weiß auch Manfred Büdinger, 75, der für die DKP im Ortsbeirat sitzt. | |
Beim Dorfrundgang kann der gelernte Kfz-Mechaniker mit der Schiebermütze im | |
Thälmann-Look zu jedem Backstein lange Geschichten erzählen. Klar, er ist | |
hier geboren, hat immer hier gelebt. Bis 2011 war Büdinger sogar selbst | |
fünf Jahre Ortsvorsteher, ebenfalls mit dem Segen von CDU und Grünen. Der | |
erste und einzige Gemeindechef, den die DKP je stellte. | |
Bei Fragen zur Bundespartei wird Büdinger trotzdem einsilbig. Auch Walter | |
Eckert, 76, der zweite DKP-Mann im Ortsbeirat, schweigt. Aber gut. Warum | |
sollte man sich ausgerechnet in Ueberau mit ideologischem Klimbim | |
herumplagen? Die Arbeiterklasse als entscheidende Kraft im Klassenkampf? | |
Der Bruch mit den kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnissen auf | |
dem Weg zum Sozialismus? Marx, Engels, Lenin? Rote Fahnen? Alles, wofür die | |
DKP laut Parteiprogramm steht, ist in dem Provinznest kein Thema. | |
Denn hier – inmitten dieser dorferneuerten Landlust-Idylle, in all den | |
hübschen alten Höfen und Fachwerkhäusern, gepflegten Einfamilien- und | |
Doppelhäusern – wohnt mitnichten ein Heer Unzufriedener und Geknechteter. | |
„Ei, auch in Ueberau leben ein paar Leute, die rechnen müssen“, sagt | |
Heidemarie Burger, 59, die muntere Inhaberin des örtlichen Blumenladens: | |
„Ansonsten gibt es kaum große Probleme.“ | |
## „Wir haben mehr Zuwanderung“ | |
Dies sicher auch, weil Ueberau etwas mehr zu bieten hat, als man sich das | |
von einem Dorf fernab der Touristenrouten vorstellt. Eine Handvoll | |
Geschäfte, immerhin zwei Kneipen und zwei Bankfilialen, dazu alljährlich | |
ein in der ganzen Region bekannter Fastnachtsumzug, bei dem das Dorf aus | |
allen Nähten platzt: Da hat man schon verödetere Kommunen erlebt. | |
„Wir haben mehr Zu- als Abwanderung“, betont Ortsvorsteher Rapp, und dass | |
das unter anderem an den freundlichen, toleranten Ueberauern mit ihrem | |
Gemeinschaftssinn liegt. Was ein Gemeindechef halt so sagt. Aber auch Tim | |
Besserer, 59, der vor 30 Jahren als langhaariger und langbärtiger | |
Anti-AKW-Aktivist nach Ueberau zog, hebt die Toleranz der Dörfler hervor. | |
Der Fotograf und Yoga-Lehrer wohnt gern hier: „Nicht zuletzt, weil es | |
diesen unglaublichen Zusammenhalt gibt.“ | |
Zusammenhalt, Gemeinschaftssinn: Jeder in Ueberau hebt das hervor. Und alle | |
verweisen auf die Vereinskultur des Dorfes. Auf die 2.300 Einwohner kommen | |
mehr als 20 Vereine – vom Seniorenklub über den Verein Deutscher | |
Schäferhunde und den Verein zur Förderung der orientalischen Tanzkunst bis | |
hin zur SG, der Sportgemeinschaft 1919 Ueberau. | |
Hier nun ist man wieder mittendrin in der ganzen DKP-Geschichte. Denn die | |
SG mit ihren rund 1.000 Mitgliedern gibt im Dorf nicht unwesentlich den Ton | |
an– und in der SG besetzten und besetzen Kommunisten die wichtigsten | |
Posten. Wenn Manfred Büdinger, langjähriger Vorsitzender der SG, oder | |
Walter Eckert, seit über 60 Jahren im Männerchor der SG, von „Wir“ reden, | |
ist meist nicht klar, wer damit gemeint ist. Wir, die Partei. Wir, der | |
Verein. Wir, das Dorf. | |
## Stolze Vergangenheit | |
Dabei dreht sich zugleich fast alles um Familien, Traditionen, Kämpfe von | |
damals, kurzum: die Vergangenheit. Da ist einerseits der Stolz auf die Zeit | |
nach dem Zweiten Weltkrieg, als Ueberau noch unabhängig war, die KPD bei | |
den Gemeindewahlen über 50 Prozent holte und mit Adam Büdinger, dem Vater | |
von Manfred Büdinger, den Bürgermeister stellte. Um die 200 Teilnehmer | |
seien damals bei den 1.-Mai-Demonstrationen durchs Dorf gezogen, erzählt | |
Eckert. | |
Und dann ist da Wut. Weil irgendwann kam es, wie es angesichts des | |
westdeutschen Antikommunismus kommen musste. Im Oktober 1960 – die KPD war | |
bereits vier Jahre zuvor verboten worden – wird Adam Büdinger vom | |
hessischen SPD-Innenminister höchstpersönlich abgesetzt. „Ausgerechnet SPD. | |
Schlimm. Schlimmer wie die CDU“, schimpft Eckert noch heute. Immerhin, so | |
Eckert, gab es noch den Verein, die SG, die nun zum Exil der Kommunisten | |
wird, bis sich auch die Ueberauer DKP Ende 1968 neu konstituiert. | |
Doch die Zeiten haben sich geändert. Die DKP fährt zwar erstaunliche | |
Wahlergebnisse ein. Aber 1.-Mai-Demos – das war einmal. Heute laufen die | |
Kommunisten mit eigenem Bollerwagen beim Fastnachtsumzug mit, als Matrosen | |
kostümiert und mit Che-Guevara-Fahne. „Der Kontakt zu unseren Mitbürgern, | |
das ist unser Ding“, sagt Büdinger. | |
Ebenso bürgernah sind die Themen, die die örtliche DKP unermüdlich | |
beackert. Statt um Klassenkampf und Weltrevolution geht es um die dringend | |
notwendige Reinigung des Plexiglas-Vordaches am Eingang der | |
Friedhofstrauerhalle und um das problematische Parkverhalten an der | |
Hauptstraße. | |
## „Die engagieren sich“ | |
Es muss irgendetwas mit dem Überwintern der Kommunisten im Sportverein nach | |
1960 zu tun haben, vielleicht auch mit der ganzen Ausrichtung der acht | |
Jahre später formierten DKP auf den Spießer-Sozialismus in der DDR, | |
vielleicht auch mit dem schmerzvoll erlebten Untergang dieses vermeintlich | |
besseren Deutschlands – aus den Klassenkämpfern von einst sind Dorfkümmerer | |
geworden. | |
Das gefällt auch Tim Besserer, der in Ueberau lange „de Griene“ genannt | |
wurde: „Auch wenn die manchmal etwas daneben sind. Die engagieren sich | |
einfach für das, was die Leute hier interessiert.“ | |
So könnte es wahrscheinlich ewig weitergehen, mit dem Anpacken und | |
Problemeansprechen der Ueberauer Kümmerkommunisten; und der lange Weg, der | |
vor uns liegt, führt Schritt für Schritt ins Paradies. Wären da nicht das | |
fortgeschrittene Alter der Hauptfiguren und der fehlende Nachwuchs. | |
„Einfacher wird’s nicht“, sagt Walter Eckert. „Unser Dorf hat Zukunft�… | |
oder her. Man munkelt von einer jungen Antifaschistin im Ort. | |
24 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Mischa Pfisterer | |
Rainer Rutz | |
## TAGS | |
DKP | |
Sozialdemokraten | |
Kommunisten | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Luxemburg-Liebknecht-Gedenken: Rosa und Karl und all die anderen | |
Zum zweiten Mal erinnern zwei konkurrierende Gedenkdemos an die Ermordung | |
von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch Freikorps-Soldaten. | |
Wolfgang Seibert über linken Antisemitismus: „Ich bin immer noch militant“ | |
Wolfgang Seibert, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Pinneberg, verließ | |
die Linken vor 30 Jahren – auch wegen ihres Antisemitismus. Jetzt ist er | |
wieder da. | |
Kolumne Besser: Wählen Sie NPD! | |
Sie haben keine Lust auf etablierte Parteien, wollen aber Ihre Stimme nicht | |
verschenken? Es gibt Alternativen. Erster Teil des großen | |
Kleinparteien-Checks. | |
Urgestein des linken Kabarrets : Dietrich Kittner ist tot | |
Mit seinem Witz kämpfte er gegen die Notstandsgesetze und später gegen | |
Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Nun ist Dietrich Kittner mit 77 | |
Jahren verstorben |