# taz.de -- Die Wahrheit: Sägemehl aus der Knasttischlerei | |
> Tagebuch einer Steuereintreiberin: Wer Profite in die Wohltätigkeit statt | |
> in die Steuer fließen lässt, spaltet die Gesellschaft. | |
Bild: Soll man ein Bühnenstück das „Die Neger“ heißt, in „Die Weißen�… | |
Ende 2001 wurde Martha Stewart, die amerikanische Lifestyle-Queen, beim | |
Insider-Trading erwischt. Stewarts Einfluss auf den Geschmack der | |
Mittelklasse war in den USA allgegenwärtig, es gab „Martha Stewart | |
Collections“, ein Martha-Stewart-Living-Magazin und eine eigene TV-Show. | |
Ihre öffentliche Bekanntheit und ihre Vernetzung in den tonangebenden | |
Kreisen lag bei hundert Prozent. | |
Verglichen mit dem Fall Hoeneß bewegte sich die Berichterstattung im | |
XXL-Bereich und hielt die Nation in endloser Geiselhaft, bis sie 2004 zu | |
einer fünfmonatigen Haftstrafe mit anschließendem Hausarrest und | |
zweijähriger Bewährung – Fußfessel inklusive – verurteilt wurde. Die | |
Late-Night-Shows feierten Häme-Orgien, aber heute, zehn Jahre später, ist | |
die ehemalige Insassin längst wieder im Geschäft und unterstützt mit ihrer | |
„Martha Foundation“ unter anderem „das amerikanische PEN Zentrum, den New | |
Yorker Botanischen Garten und das Public Theater“. | |
Zwischen Uli Hoeneß und Martha Stewart liegen Welten, aber was sie eint, | |
ist ihr Bewusstsein als Unternehmer und die Vorstellung, ihr Geldverdienen | |
und -verbergen nach Gutdünken mit guten Taten ausgleichen zu können. | |
Zweifellos ist der Wohlfühlfaktor beim öffentlichen Spenden größer als bei | |
der unglamourösen Überweisung ans Finanzamt; geheime Profite zu machen und | |
von diesem Gewinn zu spenden ist ungleich befriedigender. Der lästige Staat | |
bestimmt nicht, was mit dem Geld passiert, und man kann sich für soziales | |
Engagement loben lassen. | |
Wer allerdings auf diese Weise selbst verfügen möchte, wohin sein Geld | |
fließt, und nicht will, dass der Staat sich in seine Angelegenheiten | |
einmischt, sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, irgendwann in einem | |
Land wie den heutigen USA zu leben: gespalten in zwei Lager, von denen | |
eines an ein Solidarsystem glaubt und eines an die Unantastbarkeit der | |
persönlichen Entscheidungsfreiheit. Er sollte sich auch beizeiten daran | |
gewöhnen, für ordentliche Bildung und Gesundheit komplett selbst zahlen zu | |
müssen und seine kulturellen Einrichtungen der Großzügigkeit – und | |
Launenhaftigkeit – von Mäzenen zu überlassen. | |
Ende der Sechzigerjahre gab es in Deutschland einen Unternehmer, Philip | |
Rosenthal, der seine Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit konsequent | |
umsetzte. Seine Idee basierte auf Mitbestimmung und Vermögensbildung; er | |
brachte seinen gesamten Anteil an der Porzellanmanufaktur Rosenthal AG in | |
eine Stiftung ein, aus deren Erträgen Arbeiter und Arbeiterkinder zu | |
Führungskräften herangebildet werden sollten. Er fand, unsere Gesellschaft | |
brauche diese Art der Voraussicht. | |
Von Martha Stewart kann man derzeit im Internet lernen, wie man „aus | |
schönen alten Geschirrtüchern hübsche Kleidchen für kleine Mädchen“ mach… | |
Vielleicht wird Uli Hoeneß uns ja in ein paar Jahren mit Rezepten für | |
Würstchen mit Sägemehl aus der Knasttischlerei beglücken. Schöner wäre es, | |
er überraschte uns mit einer veränderten Einstellung zu sozialem | |
Engagement. | |
19 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
## TAGS | |
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