# taz.de -- Roman „Isabel“ von Feridoun Zaimoglu: Somnambul durch die Gegen… | |
> Viel Gewalt, Psychopathen, gestörte Kommunikation: In seinem neuen Roman | |
> „Isabel“ schickt Feridun Zaimoglu seine Heldin durch ein bedrückendes | |
> Berlin. | |
Bild: Zaimoglus „Isabel“ wirk manchmal wie eine Sightseeingtour durch Berli… | |
Nach preisgekrönten Werken wie „Leyla“ und „Ruß“ ist nun Feridoun Zai… | |
neuer Roman „Isabel“ erschienen. Einige Rezensenten waren ganz begeistert. | |
Die FAS nannte den in der Türkei geborenen und in Deutschland | |
aufgewachsenen Autor gar den „Thomas Mann unserer Zeit“. Der unsinnige | |
Vergleich hatte den Kieler Schriftsteller nicht so gefreut. Dieser | |
Klassiker habe ihn völlig kalt gelassen: „Thomas Mann: ein biederer und | |
verklemmter Mann“, erklärte er dem Interview-Magazin. | |
Am Anfang seines Berlin-Romans also steht der Auszug. Isabel, eine Frau, | |
Mitte dreißig, vielleicht Anfang vierzig, liest den Abschiedsbrief des | |
Mannes, mit dem sie „drei Jahre und zwölf Tage“ zusammen gewesen war: | |
„Männer ohne Land. Frauen ohne Himmel. Zeit nach den Exzessen. | |
Aufgebrauchtes, aufgesogenes Licht – Schluss.“ | |
Mit ihrer Hündin Ruby und einem Umzugshelfer verlässt Isabel die alte | |
Wohnung und bringt ihre Sachen in eine andere Wohnung am Alexanderplatz, in | |
der zuvor Juliette gewohnt hatte, eine Freundin, die sich das Leben nahm. | |
In dieser Wohnung hält sie sich nur selten auf. Ihr Leben ist aus den Fugen | |
geraten. Es gibt keinen Ort, an dem sie zu Haus ist. | |
Isabel isst in Obdachlosenküchen, kauft in Umsonstläden ein, geht in | |
Kleiderkammern; sie ist unterwegs mit Helga, einer „Flaschenpflückerin“. | |
Oder trifft sich in Schöneberg mit Schwulen und Transen, die sich ihr Geld | |
auf dem Strich verdienen. (Und ein bisschen so wirken, als wären sie für | |
den „Tatort“ gecastet; was nicht negativ zu verstehen ist.) Sie war wohl | |
mal Model, nun sitzt sie für Geld mit Keuschheitsgürtel auf der Bettkante; | |
ihren Rücken einem reichen Ehepaar zugewandt, das dabei Sex hat. Selbst hat | |
sie ein eher unentspanntes Verhältnis zum Sexuellen – die zwei Leute, die | |
sie nachts zufällig beim Sex beobachtet, zeigt sie bei einem Polizisten an, | |
der ihr wiederum einen Vogel zeigt. | |
## Beide sind traumatisiert | |
Oft denkt sie an ihre Freundin, die sich das Leben genommen hat. Später | |
taucht ein Mann auf, Marcus, der fast durchgehend „Soldat“ genannt wird, | |
weil er in Afghanistan stationiert war und als Sicherheitsmann in einer | |
Uni-Mensa arbeitet. | |
Beide scheinen traumatisiert zu sein; Marcus hatte in Afghanistan ein Kind | |
überfahren, das von seinem eigenen Vater vors Auto geschubst wurde, in der | |
Hoffnung auf Blutgeld; worin Isabels Trauma besteht, wird nicht gesagt. | |
Sie rennt nur ein bisschen somnambul durch die Gegend; dass sie sogleich | |
nach der Trennung von dem Mann, der auch fürs Geld sorgte, ständig in | |
Suppenküchen und Umsonstläden isst, kommt einem ein bisschen | |
unwahrscheinlich vor; das Schöneberg voller Schwuler und Transen wirkt ein | |
bisschen klischeehaft. Auch wenn es irgendwann heißt, ganz Schöneberg sei | |
verliebt in diesen unbekannten Helden – Marcus –, der nicht aus Sympathie | |
für Schwule, sondern weil er das Herz auf dem rechten Fleck hat, tags zuvor | |
ein paar Jungs verprügelte, die Jagd auf Schwule machten. | |
Die Helden fahren auch etwas zu oft durch die Gegend, so dass man das | |
Gefühl hat, Zaimoglu wolle den Leser mitnehmen auf eine Sightseeingtour | |
durch Berlin, in dem er eine Weile gewohnt hat, um die Gegend seines Romans | |
zu erkunden. | |
## Sex tut nicht gut | |
In meist knappen Sätzen geht die Geschichte voran. Es gibt viel Gewalt, | |
Psychopathen, gestörte Kommunikation. Manchmal wird es sexuell, aber das | |
tut allen Beteiligten nicht wirklich gut. Es drängt sie ins Sexuelle, sie | |
haben es nur so halb im Griff. Die Keuschheit, die Isabel nun für sich | |
gewählt hat, hilft aber auch nicht. | |
In Träumen manchmal klingt Sehnsucht an nach einer unvordenklichen | |
Geschichte. „Plötzlich fiel ihr ein Satz aus dem Buch im Traum ein: | |
Hyazinthenpurpur strich sie sich auf Hals und Ellenbeugen. Isabel war | |
beglückt.“ | |
Das Berlin des Romans ist bedrückend. Entspannter geht es in der Türkei zu. | |
Die Mutter möchte die Tochter verheiraten, Isabel willigt in die Treffen | |
mit Heiratskandidaten ein, lehnt aber alle Bewerber ab. Die Menschen in der | |
Türkei sind liebevoll beschrieben, aber es ist nicht mehr ihre Welt. So | |
fährt sie zurück. | |
Wie bei vielen Berlinromanen klingt auch in „Isabel“ Döblins | |
„Berlin-Alexanderplatz“ mit an. Das Buch ist spannend, man liest es in | |
einem Rutsch; sehr gut hat mir eigentlich auch gefallen, dass man zeitweise | |
den Faden verliert, um ihn später dann wieder zu finden. | |
22 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Detlef Kuhlbrodt | |
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