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# taz.de -- Feridun Zaimoglus "Ruß": Illustrer Reigen von Männlichkeit
> Rächer aus dem Ruhrpott: In "Ruß" erzählt Feridun Zaimoglu eine deutsche
> Ballade von Männern, die um Frauen trauern.
Bild: Auch von einer Kioskbude aus kann man einen Rachefeldzug starten.
Die Fehde ist keine urdeutsche Disziplin. Blutige Rache zu nehmen ist nicht
gesellschaftlich akzeptiert im Land der Kartoffelesser und wird mit
strengen staatlichen Sanktionen vergolten. Doch ist das Ruhrgebiet
Deutschland? Mit seinem modernen Völkerwanderungsgemisch, das sich
mindestens aus den Genpools Ost-, West-, Mittel- und Südeuropas speist, ist
es seit jeher vielfältigen kulturellen Einflüssen ausgesetzt gewesen. Zudem
hängt ihm und seinen Bewohnern der Ruf einer ausgesprochen proletarischen
Gradlinigkeit an, die man auch übersetzen könnte in einen eher rauen
Männlichkeitsbegriff, der davon ausgeht, dass man dem, der einem eine
reinhaut, auch eine reinhauen muss.
So fügt sich die Geschichte von Rache, Liebe und Hass, die Feridun Zaimoglu
in "Ruß" zu erzählen hat, recht schmiegsam ein in ihr Milieu. Auch von
einer Kioskbude aus kann man einen Rachefeldzug starten. Und wenn der
Zaimoglu erst so richtig anhebt zu erzählen, dann muss die reale Welt
ohnehin Platz machen für etwas, das größer, weiter und gefährlicher ist als
sie selbst.
Renz heißt der Mann, den der Autor zum Rächer macht; und wir halten das
ziemlich lange für seinen Nachnamen, bis wir so um die Romanmitte erfahren,
dass es nur die Abkürzung seines Vornamens ist, der Lorenz lautet. So ist
Renz eigentlich nur ein halber Mann, und das umso mehr, als ihm die Frau
einfach weggemordet wurde. Zudem soll sich der Mörder an der Toten
vergangen haben. Es ist also ein schweres Trauma, das Renz mit sich
herumschleppt und das bewirkt, dass er seinen Beruf als Arzt nicht mehr
ausüben kann und sich stattdessen ein paar Brötchen verdient, indem er bei
seinem Schwiegervater in dessen Kiosk aushilft.
Dazwischen sitzt er zu Hause und malt, und vielleicht ist ja auch dies sein
eigentliches, wirklich großes Lebenstrauma: dass er, der Arbeitersohn, Arzt
wurde statt Künstler. Wer weiß das schon. Wir nicht, Renz nicht, und
möglicherweise auch der Autor nicht, der es vermag, seine Figuren
einerseits mit kräftigen, auch mal karikierenden, Strichen zu zeichnen, sie
als Charaktere aber doch gleichzeitig im Werdenden zu belassen, ihnen
multiple Möglichkeiten mit auf den Weg zu geben.
## Der lebensunfähig gewordene Ehemann
So steht er schwankend im Leben, Renz, der trauernde, lebensunfähig
gewordene Ehemann, von dem wir wohl nicht gedacht hätten, dass er gleich
einschlägt, als ein Bekannter ihm anbietet, den Mörder seiner Frau für ihn
zu erledigen. Das Einzige, was Renz dafür tun soll, ist, eine Weile auf den
psychisch labilen Bruder dieses Bekannten aufzupassen.
Zaimoglu versammelt einen illustren Reigen von Männlichkeit in
verschiedenen Erscheinungsformen um seinen Protagonisten. Außer Renz
patentem Schwiegervater Eckart, der Kleingärtner, Kioskbesitzer und eine
Art Überlebenskünstler ist, sind das sämtlich Typen, denen das geregelte
Leben irgendwie entglitten ist, wie auch Renz einsieht, als er sich und die
anderen einmal betrachtet: "Ein Irrer, zwei Schläger, ein Ex-Säufer, der
die Asche seiner Frau in Portionen schluckte." In Begleitung des Schlägers
Karl reist Renz nach Warschau, um den irren Josef zu finden, den er
babysitten soll. Doch Josef trägt offenbar einen tiefsitzenden Hass gegen
Renz in sich, den der sich nicht erklären kann. Die Ursache dieses
scheinbar irrationalen Gefühls erfahren wir erst gegen Ende des Romans und
haben gar nicht geahnt, dass hier des Pudels Kern liegen könnte. Denn in
den Tiefen seiner sprachbesessenen Wirklichkeitstransformation
transportiert dieser Roman eine veritable Kriminalgeschichte, deren
Showdown aus welchen Gründen auch immer in den österreichischen Alpen
spielt.
Aber nach solcherart Handlungslogik zu fragen fällt einem ja gar nicht erst
ein. Denn obgleich dieses Buch der äußeren Form nach sehr wohl ein Roman
ist, gehorcht es eigenen Gesetzen. Zaimoglus Art, mit der Sprache zu
arbeiten, ist nicht die eines herkömmlichen Romanciers, sondern eher
lyrisch-performativ. Realistisches Erzählen interessiert ihn nicht. Die
Welt, in der Renz lebt, setzt sich zusammen aus genau gesuchten und
erwählten Worten.
Aus schillernden, starken, mitunter rätselhaften Morphemverbindungen, die
nur unter anderem möglichst genau das beschreiben, was Renz gerade umgibt.
Und die durch die schiere Exotik ihrer Verwendung einen Filter der
unnatürlich verdeutlichten Wahrnehmung zwischen Text und Leser schieben.
Zirkeldorn, Schwenkköcher, Klingelloch und Pflanzkralle mögen Dinge des
Alltags sein, die einem schon oft begegnet sind, doch hat man ihnen bisher
nie ein sprachliches Zeichen zuordnen können oder den Drang dazu verspürt.
Dank Zaimoglu ist das jetzt anders.
## "Potthucke und Schrux"
Hinzu kommen sprachliche Neuentdeckungen, deren Entsprechungen in der
wirklichen Welt man manchmal nur erahnt, wenn man nicht auf bestimmten
Spezialgebieten bewandert ist oder aber aus dem Ruhrgebiet stammt. Unter
"Eisplacken" lässt sich noch etwas vorstellen, auch unter einem
"Klampfenherrmann". Aber welche Stelle der weiblichen Anatomie genau das
schöne Wort "Venusraute" bezeichnet, darüber gibt der Roman keine
detaillierte Auskunft. Dafür gewinnt man an großartig unnützem Wissen
hinzu, dass Hunde zwischen Hals und Brust über eine Hautfalte verfügen, die
"Wamme" genannt wird. Zwischen ruhrpöttschen Ausdrücken wie "Potthucke"
oder "Schrux" und einer verschwenderischen Anzahl von Eigenschöpfungen wie
"Fledermaus-Fassadenquartier" ist für jeden etwas dabei. Es grenzt an eine
lexikologische Orgie.
Gerade durch diesen überempfindlichen Umgang mit der Sprache stellt sich
der Eindruck einer gewissermaßen durch Überpointierung erreichten Unschärfe
ein. Hinzu kommt ein stark rhythmisierter, sehr unprosaischer
Schreibduktus, der mitunter ausufert in - "unterbrochen wird" verbietet
sich zu sagen - aus dem Text hervorgehobene, fett und in Groteskschrift
gesetzte Passagen, die eine inhaltliche Metaebene über dem Ganzen aufziehen
und im Textganzen ein fast szenisches Moment darstellen.
Als würde die Handlung für einen Moment einfrieren, einer aus der Kulisse
zwischen die erstarrten Gestalten der Darsteller treten und zum Publikum
monologisieren, etwa über das stolze Selbstverständnis des Ruhrgebiets:
"Ruß wischen wir weg. Den schwarzen Staub im Gesicht wischen wir weg. Fein
und sauber siehts in unsren guten Stuben aus. Wie Pfoten alter Hunde hängt
uns das Haar über die Ohren."
Wenn man dieser prachtvollen Prosa überhaupt etwas vorwerfen möchte, dann
vielleicht ungerechtfertigterweise eben dies, dass sie einen Großteil der
Aufmerksamkeit der Lesenden auf sich selbst zieht, statt ein bescheidenes
Instrument im Dienste der zu erzählenden Geschichte zu sein. Natürlich ist
es schon schön, wenn Renz, der dumm genug ist, der Rache den Vorzug vor
einer neugefundenen Liebe zu geben, am Schluss eine ganz unverdient
glückliche Schicksalswendung zustößt. Ein anderes Ende aber hätte man auch
locker verschmerzt. Schließlich lässt sich das schwärzeste Elend mit
Freuden ertragen, wenn es nur großartig genug erzählt ist.
Feridun Zaimoglu: "Ruß". Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 267 Seiten, 18,99
Euro
13 Oct 2011
## AUTOREN
Katharina Granzin
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