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# taz.de -- Einstand mit Geoffrey Farmer-Schau: Algorithmische Performance
> Hamburgs neue Kunstvereins-Chefin Bettina Steinbrügge setzt auf einen Mix
> aus Politik und Ästhetik – und eröffnet mit einer Installation Geoffrey
> Farmers.
Bild: Einstand mit Geoffrey-Farmer-Performance: Hamburgs neue Kunstvereins-Chef…
Bettina Steinbrügge ist fürs Spontane. Für die Offenheit, die
Gastfreundschaft insbesondere von Kunstvereinen, denn so einen hat sie in
Hamburg gerade übernommen. Seit Januar ist sie Chefin eines der ältesten
deutschen Kunstvereine, der – qua Institution – ständig in der Krise ist.
Hohe Ansprüche und knappe Finanzen kollidieren, die Selbstausbeutung aller
Beteiligten ist selbstverständlich.
Und wie ihre Hamburger Vorgänger hat Steinbrügge bereits erfahren, dass im
Zweifel Geld vor Autonomie rangiert: Das riesige Werbebanner an der
Südseite kann sie nicht entfernen, um groß „Kunstverein“ dranzuschreiben.
„Aber“, sagt sie, „wir sind mit dem Werbeträger für gemeinsame Projekte…
Gespräch.“ Da, wo sich Design und Kunst begegnen, könnten die spielen.
Wobei die Osmose von Werbung und Kunst aber Unterscheidungsprobleme für die
Betrachter generieren könnte.
Aber an genau diesen Überschneidungen ist Steinbrügge interessiert: dem
Zusammenspiel von Kunst und Creative Industries, bei dem die Kunst zwar
nicht unterliegen werde. Aber man müsse schon diskutieren, „wie Kunst sich
daran schärfen kann und inwiefern Künstler mit Design anders umgehen als
Designer“, sagt sie.
Ein gutes Beispiel für diese Überlappung ist Steinbrügges erste Hamburger
Ausstellung. Eine Installation des kanadischen „documenta 13“-Teilnehmers
Geoffrey Farmer hat sie da ins 1.000 Quadratmeter große Obergeschoss der
einstigen Markthalle geholt. Sie heißt wie ein Zappa-Song „Let’s Make the
Water Turn Black“, und ist auf den ersten Blick das totale Design: Lila und
türkis angestrahlt, stehen Löwenskulpturen, vogelscheuchenartige Puppen,
phallische Palmen, Riesenmuscheln und ein Gong herum: Der 1967 geborene
Farmer, für seine enzyklopädischen Arbeiten bekannt, hat ein surreales
Fetisch-Getümmel gebaut, angereichert durch einen Hauch Arte Povera und
Kinetik. Dazu als akustisches Pendant ein bisschen Musique concrète, und
schon hat man ein autarkes Happening: Es klirrt, scheppert, ursonatet.
Reden mit Wortfetzen wie „Vietnam“, „John Cage“ und „Artist“ ertön…
heulen Schakale, man hustet und schnarcht. Mal ist es dunkel im Saal, mal
blinken Glühbirnen in Augenhöhlen, und das Ganze wirkt wie ein
Voodoo-Überfall oder eine hyperaktive Geisterbahn.
Und die ist jeden Tag anders, denn dann gibt’s einen neuen Ausschnitt aus
der Partitur des Geoffrey Farmer, der eifrig William Burroughs’
Cut-Up-Montagetechnik nutzt. Roter Faden des skulpturalen Road Movies sind
Musik und Vita Frank Zappas. Und weil der das Verfremden liebte, hat
Geoffrey Farmer draußen „Dies ist keine Rock-’n’-Roll-Biographie“
drangeschrieben. Man denkt Magrittes ironische Semiotik, sucht und findet
auch Zappa-Reminiszenzen, lässt sie wieder fallen und deutet vor sich hin.
Jede Objektbeziehung eine Synapsenverknüpfung, jede Geschichte ein
Vorschlag unter vielen im White Cube.
Unter diese phänomenologisch-spielerische Ebene hat Farmer allerdings eine
zweite gelegt, und die ist höchst politisch: die von Algorithmus und
Zufall, und mit diesem Thema schreibt Farmer ganz konkret Zappas
zufallsbasierte Kompositionstechnik fort. Denn in Farmers Installation
interagieren nicht nur Klang, Materie und Licht. Hier werden auch
Versatzstücke stetig neu gemischt, und zwar von computergesteuerten
Algorithmen. Diese künstlerische Praxis spiegelt die derzeit grassierende
Algorithmen-Sucht, das Sammeln und Deuten von Nutzerdaten durch Konzerne
und Geheimdienste sehr klar: Computer errechnen mit Hilfe von Algorithmen,
wer ein Terrorist ist und welche Drohne ihn töten soll. Maschinen
schlussfolgern aus Daten, für welche Information ein Nutzer zahlen wird,
und nur die bekommt er fortan.
Geoffrey Farmer beteiligt sich zwar nicht an dieser unsichtbaren Diktatur.
Aber er setzt den Betrachter dem Resultat eines algorithmischen Prozesses
aus und positioniert sich so auch als Künstler: als einen, der nicht neu
erschafft, sondern vorhandene Informationen neu mischt, wie es in der
Internetkunst derzeit Usus ist.
Zudem verfremdet Farmer – wie einst Zappa mit seiner Xenochrony-Technik –
sehr subtil die Zeit: Anders ist nicht zu erklären, dass man nach jeden
Ausstellungsparcours findet, genau jetzt sei die Geschichte auserzählt – wo
sie das doch explizit nicht ist, denn Farmer hat jeden Zappa-Zyklus für
einen achtstündigen Ausstellungstag konzipiert.
Politisch ist diese Ausstellung nur gelegentlich, wenn etwa Fliegeralarm
und Radiogeblödel zugleich erklingen. Farmers Augenmerk liegt eher auf
aktuellen künstlerischen Praktiken, und dass das nicht jeder gleich
versteht, stört Kuratorin Steinbrügge nicht. „Moderne Kunst hatte nie ein
großes Publikum“, sagt sie. „Es geht nicht darum, die Auswahl von Kunst
verändern, sondern die Qualität der Vermittlung.“
Sie habe nämlich während ihrer Arbeit in Museen – zuletzt im 21er Haus der
Wiener Galerie Belvedere und in Lüneburgs Halle für Kunst, wo sie „Cooling
out – on the paradox of Feminism“ zeigte – einen Rückzug ins Konservative
bemerkt.
Das bedeute eine Chance für die Kunstvereine, sich nicht nur durch Kritik
am Spätkapitalismus, sondern auch als Orte der Utopie zu profilieren. Und
sich ebenso als Orte einer neuen Sichtbarkeit profilieren. Hamburgs
Kunstverein, an einer befahrenen Straße und hinter einem Lokal gelegen,
muss sich fürs Erste mit etwas größeren Lettern an Eingang begnügen.
## ■ Bis 11. Mai, Hamburg, Kunstverein
24 Mar 2014
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Performance
Algorithmus
Kunstverein Hamburg
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