| # taz.de -- Eine Akkordeonistin im Interview: „Das Instrument hat meine Schwi… | |
| > Dass das Akkordeon ein ernst zu nehmendes Klassik-Instrument ist, hat | |
| > Hannovers Hochschulprofessorin Elsbeth Moser ihren Musikerkollegen | |
| > beigebracht. | |
| Bild: Von Sofia Gubaidulina inspiriert: Elsbeth Moser. | |
| taz: Frau Moser, wann beschlossen Sie, Akkordeonistin zu werden? | |
| Elsbeth Moser: Mit viereinhalb. Das Akkordeon stand unter dem | |
| Weihnachtsbaum, ich rannte darauf zu, schloss es in die Arme und wusste: | |
| Das ist es! Das will ich für immer machen! | |
| Wie kamen Ihre Eltern auf das Akkordeon? | |
| Mein Großvater mütterlicherseits war Akkordeonist mit Leib und Seele. Ich | |
| habe ihn leider nicht gekannt, aber sein Talent ist anscheinend bei mir | |
| gelandet. | |
| War er Profi-Musiker? | |
| Nein. Er war Bäcker und Konditor und spielte in seiner Freizeit | |
| Schwyzerörgeli, ein kleines Knopfakkordeon. Das ist ein in der Schweiz | |
| beliebtes Volksinstrument, und mein Großvater spielte es mit Leidenschaft. | |
| Und weil er so früh starb, hat meine Mutter gesagt, wenn sie mal Kinder | |
| hat, sollen sie in seine Fußstapfen treten. | |
| Was Sie taten. | |
| Ja. Mein erster Akkordeonlehrer war ein Freund meines Großvaters. Er hat | |
| mich oft mit dem Opa verglichen, weil ich ähnlich schmale Hände hatte wie | |
| er. Ich liebte dieses Instrument sehr. | |
| Liebte auch die Gesellschaft, was Sie taten? | |
| Nein. Ich habe mit sechs mein erstes Konzert gespielt, aber die | |
| Gesellschaft war aufgrund des „nicht klassischen“ Instruments nicht sehr | |
| nett zu mir. Um mich vor Vorurteilen zu schützen, haben mich die Eltern | |
| deshalb zusätzlich ein „anständiges“ Instrument lernen lassen – das | |
| Klavier. Bis ich 20 war, habe ich beide Instrumente gespielt. | |
| Hat es geholfen? | |
| Vom Renommee her schon. Wenn mich meine Lehrer in der Schule fragten, ob | |
| ich musiziere, und ich sagte begeistert: „Ja! Ich spiele Akkordeon!“, dann | |
| hieß es: „Was ist das denn? Subkultur!“ Ab meinem zehnten Lebensjahr hatte | |
| ich dann einen Trumpf im Ärmel: Sobald ich sagte: „Ich spiele auch | |
| Klavier“, waren alle glücklich. Mein Favorit blieb aber das Akkordeon. | |
| Aber warum mussten Sie es auch noch studieren? | |
| Weil es mein tiefer Wunsch war, dieses Instrument, das viele als | |
| folkloristisch verachteten, konzertfähig zu machen. | |
| Und was ist so großartig am Akkordeon? | |
| Es ist am Körper. Es ist Teil von mir. Es hat meine Temperatur, meine | |
| Schwingung, meinen Atemrhythmus. Und dieses Atmen gibt dem Instrument | |
| unendliche Möglichkeiten der Tonmodulierung. Das ist wie beim Singen: Sie | |
| können beim Akkordeon mit wenig Luft ganz feine Töne produzieren und sogar | |
| Zwischentöne erzeugen. Das Klavier kann das alles nicht. Deshalb habe ich | |
| das Klavier nach den Examina nicht mehr angerührt. | |
| Viele Akkordeonisten spielen aus dem Stegreif. Können Sie das auch? | |
| Nein, das konnte ich nie. In letzter Zeit interessiere ich mich allerdings | |
| immer mehr fürs Improvisieren. Und für zeitgenössische Musik, die mit | |
| traditionellen Hörgewohnheiten bricht. Da kommt mir der Facettenreichtum | |
| des Akkordeon-Timbres sehr zustatten. | |
| Wie viele klassische Stücke für Akkordeon gibt es eigentlich? | |
| Lange Zeit hat man Werke, die für andere Instrumente geschrieben waren, | |
| transkribiert. In den letzten 60 Jahren sind aber viele Werke bedeutender | |
| Komponisten entstanden. Mauricio Kagel hat zum Beispiel für Akkordeon | |
| geschrieben, Edisson Denissow, Toshio Hosokawa, die seit 1992 in | |
| Deutschland lebende Russin Sofia Gubaidulina … | |
| … mit der Sie oft zusammen gespielt haben. | |
| Ja, mit ihr verbindet mich eine tiefe Freundschaft. Aber schon bevor ich | |
| sie persönlich kennenlernte, hatte ich ein Schlüsselerlebnis, als ich ihre | |
| „7 Worte Jesu am Kreuz“ zum ersten Mal hörte. Das Stück ist für Bajan, | |
| Cello und Orchester komponiert und hat mich umgehauen. | |
| Weswegen? | |
| Wegen seiner Intensität, denn es handelt ja von der Quintessenz des | |
| christlichen Glaubens: dem Gottvertrauen im Moment des Todes. Ich habe das | |
| Stück 1984 bei einem Moskaubesuch gehört und wollte es unbedingt spielen. | |
| Aber Sofia Gubaidulinas Musik war in der damaligen Sowjetunion unerwünscht, | |
| und es gab keine gedruckte Partitur. Die handschriftliche Partitur hat mir | |
| Sofia ein Jahr später bei unserer ersten persönlichen Begegnung geschenkt. | |
| Überhaupt hat sie mir den Weg in die Weltmusik gewiesen. Der Durchbruch kam | |
| 1986. Da hat der Geiger Gidon Kremer Sofia ins österreichische Lockenhaus | |
| geholt, und wir haben die westeuropäische Uraufführung der „7 Worte“ | |
| gespielt. Es war tief bewegend. Und Sofia arbeitete täglich mit uns. | |
| Reizt Sie an Gubaidulinas Stücken auch die spirituelle Dimension? | |
| Ja. Bei Sofia finde ich wunderbar, und das gilt für mich auch: dieses | |
| Re-ligio, das Wiederverbinden der Zeitachse der Erde mit der Vertikalen des | |
| Himmels. Das finde ich jeden Augenblick – sowohl in Sofias Musik als auch | |
| in meinem Dasein: Zeit ist horizontal, sie ist das Jetzt, das Vergehen. | |
| Aber es gibt auch die Weite des Universums, der Unendlichkeit. Dahin schaue | |
| ich, und da empfange ich meine Inspiration. | |
| Und Sie geben sie weiter, zum Beispiel in China. Tun Sie das aus | |
| Missionseifer? | |
| Nein, das ist nicht nötig. Das Akkordeon hat sich dort nämlich im Zuge der | |
| Kulturrevolution rasant verbreitet. Damals wurden viele klassische | |
| Instrument als chauvinistisch abgestempelt und verboten, aber das Akkordeon | |
| nicht. Das führte dazu, dass etliche Pianisten auf Akkordeon umsattelten, | |
| um nicht zur Kärrnerarbeit aufs Land verschickt zu werden. Seither ist das | |
| Akkordeon in China unglaublich beliebt, und plötzlich gibt es in China | |
| Hunderte, Tausende, Millionen Akkordeonisten! | |
| Woher stammen Ihre anderen Schüler? | |
| Ich habe in meiner Klasse einige Serben, Kroaten, Griechen. Auch Litauer | |
| waren schon hier, Russen, Ukrainer, Franzosen, Schweizer, Deutsche … | |
| Wie viele Ihrer Studenten kommen aus der Volksmusik? | |
| Bei vielen ist es schon der Ursprung. Ich habe zum Beispiel einige, die | |
| ganz fantastisch serbische Volksmusik spielen. | |
| Versuchen Sie, den Studenten ihr „Volksmusik“-Spiel auszutreiben? | |
| Nein. Wenn jemand aus der Volksmusik kommt, schimmert das natürlich durch: | |
| Das Stegreif-Spiel ist ein bisschen wilder – aber es ist gekonnt, es hat | |
| Herz und Seele, und das lasse ich den Studenten auch. Das ist eine Schiene, | |
| die sie pflegen sollen. Aber ich bringe ihnen bei, das eine vom anderen zu | |
| unterscheiden. | |
| Und welche Berufsaussichten haben Ihre Absolventen? | |
| Eine Möglichkeit ist das Unterrichten. Die zweite ist die Kammermusik, das | |
| ist immer ein Way out. Ich sage meinen Studenten oft: Ihr müsst Nischen | |
| suchen, kleine Ensembles gründen zum Beispiel. | |
| Heißt das, Ihr Kampf fürs Akkordeon ist ausgekämpft? | |
| Weitgehend. Als ich vor gut 30 Jahren an die Hannoversche Hochschule kam, | |
| hat mich in der Klassik-Szene kaum jemand ernst genommen. Ich musste | |
| betteln, damit ich in einem Ensemble mitspielen durfte. Inzwischen hat sich | |
| das umgedreht: Da fragen die Klassik-Kollegen, ob sie Schüler von mir für | |
| ein Konzert haben können. | |
| 30 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Musik | |
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