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# taz.de -- Doppeltes Debüt: Die Möbel der Schläfer
> Bremens Künstlerhaus am Deich hat eine neue Direktorin: Fanny Gonellas
> erste Ausstellung dort ist „Salopp gesagt schlapp“ - ein brilliantes
> Debüt.
Bild: Weiße Stellwände, die Raumteilern öffentlicher Pissoirs ähneln, hat T…
BREMEN taz| Ach, Frühling! Die Blüten, die Vögel, die Blätter, alles
sprießt, wallt und ist irgendwie hormonell beschwingt. Und du selbst fühlst
dich – müde, also, salopp gesagt: schlapp, aber sowas von. Und du –
blinzelst in genussvoller Müdigkeit in die anstrengend intensive Sonne,
genießt, dass sie anfängt zu wärmen, was dich dazu verleitet, etwas von
deiner Schale abzuwerfen. Auch die ersten Tische werden rausgestellt. Es
ist einfach die Zeit, in der das Private ins Freie drängt, es ist die Zeit,
den öffentlichen Raum zu besetzen – und künstlerisch genau danach zu
fragen: Wie diese Besetzung geschieht.
„Salopp gesagt schlapp“ so hat Tomaso de Luca seine erste Ausstellung in
Deutschland benannt. Sie ist zu sehen im kleinen Bremer Künstlerhaus am
Deich in Bremen. Und dort ist sie das erste kuratorische Lebenszeichen der
neuen Direktorin der 90-Quadratmeter-Galerie, Fanny Gonella – und das ist
natürlich ein Witz: Selten wohl hat sich ein Ausstellungstitel eleganter
über alle Aufbruchs- und Neustartrhetorik mokiert. Ein Debüt, das sich
selbst als salopp gesagt schlapp ausweist, kündet mindestens von guter
Selbstironie – aber zugleich auch gesundem Selbstbewusstsein.
Gonella war Anfang Februar nach Bremen gewechselt. Und während nun am
Freitag, den 4. April ihre Vorgängerin Stefanie Böttcher das Museum für
zeitgenössische Kunst in Novi Sad mit einer Ausstellung bespielt, die in
der Voijvodina einen geradezu repräsentativen Querschnitt der bremischen
Szene vorstellt, hat die Französin, die zuvor am Kunstverein Bonn, in
Mulhouse, Sankt Gallen und in Glarus tätig war, den jungen Veroneser
angeschleppt. Der hat ein herausragendes zeichnerisches Talent, das er
eigentlich nicht bräuchte. Denn im Grunde macht er Konzeptkunst.
De Luca, Jahrgang 1988, hat an der Nuova Accademia di Belle Arti in Mailand
studiert – und lebt seit 2010 in Rom. Was den Ruhm angeht: Auch
wikipedia.it kennt ihn noch nicht. Aber: Weil er Model-Qualitäten hat, hat
ihm die italienische Vogue vergangenes Jahr ein vierseitiges Porträt
gewidmet, davon drei Seiten Fotos. Auf dem einen trägt er einen Sweater und
Pants von Iceberg, die Sneakers sind von Nike, die anderen Klamotten haben
ihm die C.P.-Company, Lacoste, Duvetic und Antony Morato übergeworfen.
Ach, verschenkter Platz – wirklich spannend wäre ja de Lucas Art, Kunst zu
machen, gewesen. Sie ist von einer großen Neugier geprägt – zumal aufs
Verhältnis von öffentlichem und privatem Raum. Es sei von grundlegender
Bedeutung, „die eigene ’Grammatik‘ aufs Spiel zu setzen“, benennt er se…
das, „und die Zonen der Gewissheit zu untersuchen“.
Womit einerseits ganz wörtlich die Lust am Spiel mit sprachlicher
Alteritätserfahrung bestimmt ist, die sich der Lautung des Titels anmerken
lässt. Vor allem aber ist Grammatik als Metapher zu verstehen. Für eine
regelkonforme Darstellung – etwa eine Ausstellung, die brav die Norm einer
Ausstellung erfüllen würde.
Damit hat de Luca wenig zu tun. Eine seiner Arbeiten heißt, mit einem an
Max Ernst erinnernden Titel „100 Teste per un Cacciatore“, 100 Köpfe für
einen Jäger, wobei Jäger auch im militärischen Sinne, als Jagdflieger,
gelesen werden kann. Sie besteht aus einem Konvolut von 100 Zeichnungen
einer jener Monumentalplastiken, mit denen Benito Mussolini eingedenk
seines Marschs auf Rom den Monte Mario zugestellt hat: Die Gewaltästhetik
des fascismo hat ja gerade in queeren Kunstdiskursen Nachwirkungen.
Beides interessiert de Luca – und beides dekonstruiert er: Die Statue steht
zwar noch immer an ihrem Platz in Rom. Aber die Zeichnungen haben sie in
Beschlag genommen, ihr Bewegung verliehen, ihr den Pomp abgelassen und das
Aufgeblasen-Sublime. Ihr öffentlich-offiziöser Charakter verliert sich in
einer bewusst schnoddrigen Präsentation, die nur im Privaten angemessen und
normal wäre. Dicht an dicht an die Wand geheftete Blätter
unterschiedlichster Formate und Papierqualitäten, manche sogar leicht
verknickt und wellig, das verleiht den Studien einen geradezu intimen
Charakter – der sich auch im zweiten Titel dieses Werks zu spiegeln
scheint: The Sleepers, also: Die Schläfer.
Das war 2010 und de Lucas Werkbegriff hatte sich damit als einer
ausgewiesen, der, schon durch die Vielzahl der Einzelstücke, die zusammen
eine Arbeit ergeben, aber genauso durch die Art der Präsentation den
Begriff der Vollendung einfach durchstreicht. Was wieder optimal zu
Gonellas kuratorischem Ansatz passt: „Ich will keine klassischen
Werkpräsentationen machen“, so erläutert sie ihren Plan. „Mir geht es um
einen Einblick in den Arbeitsprozess.“
Und tatsächlich wirkt auch die für Bremen entwickelte Ausstellung so rotzig
und anti-akkurat wie nur was. Wobei auf diese Wirkung gezielt und mit
höchster Präzision hingearbeitet worden ist – und hier eben nicht das
Öffentliche in den intimen Raum einer Kladde eindringt, sondern das
privateste die Öffentlichkeit penetriert.
An der linken Seite und an der Rückwand hängen drei bedruckte Handtücher.
Im Wesentlichen aber prägen Stellwände „Salopp gesagt schlapp“, die, teils
weiß gefliest, teils weiß gekachelt, sehr bewusst Raumteilern von
öffentlichen Pissoirs nachempfunden sind. Auf diese hat de Luca Sticker
platziert – runde, ovoide, quadratische kleine Sticker, ähnlich den an
Laternen, Ampeln oder eben in Klos prangenden allenfalls halblegalen
Werbebotschaften von Techno-Clubs, in sporadisch-luftiger Verteilung: Hier
in der Ecke eine Schar, dort ein Einzelstück, zwischendurch auch mal einer
in Postergröße, mit aufgedrucktem gelbem Schriftzug, der aber dann auch
schon gleich von Graffiti überlagert ist.
Alle diese Aufkleber aber haben eine motivische Verbindung. Auf ihnen zu
sehen sind: Matratzen im öffentlichen Raum Roms, Fundstücke: geknautschte,
weggeworfene, zwischengelagerte, eingepackt abgestellte, Matratzen die nur
auf den Abtransport in die Wohnung warten – oder auch jene, die ein
fahrender Händler an die Wand gelehnt hat, vor der er täglich seine Decke
mit fast echten Prada-Handtaschen und Rollex-Imitaten ausbreitet. An die
kann er sich nun anlehnen, wenn er auf Kundschaft wartet.
„Es ist, als wenn sich plötzlich eine geheime Szene der
Matratzen-Fetischisten entwickelt hätte“, sagt Gonella. Und das trifft den
Eindruck gut. Denn die Matratzen bemächtigen sich der Straßen und Plätze,
Möbel der Schläfer. Mit ihren unmöglichen Farben und obszönen Mustern –
verblasstes Pastell, Lindgrün mit Floralgirlande, Altrosa mit Flecken –
schmiegen sie sich in die Winkel und um die Ecken des urbanen Raums,
Einzelmatratzen, Paarmatratzen, Federkern und Futon. Sie loten seine Ritzen
und Spalten aus, schlapp, salopp gesagt, aber doch auch lasziv, ja, voll
frühlingshafter Lüsternheit, die sich dann endlich, im hintersten
Kompartiment der Ausstellung, in Worten verausgabt.
Aber aufgepasst, dort wo es am Vulgärsten und Pornografischsten wird,
bricht die kanonisierte Hochkultur in diese aus und mit dem Vokabular der
Street Art entwickelte Kunst ein. Der Klospruch nämlich, der sich verborgen
im hintersten Kompartiment der Ausstellung findet, ist ein Zitat. Es stammt
aus irgendeinem Film von Rainer Werner Fassbinder. Es könnte „Angst essen
Seele auf“ sein, oder so. Auf jeden Fall kommt Lust vor, Geilheit. Und ein
dicker Schwanz.
## Tomaso de Luca: Salopp gesagt schlapp, Künstlerhaus Bremen, Am Deich
68/69, die Ausstellung läuft bis zum 8. Juni
3 Apr 2014
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Benno Schirrmeister
## TAGS
Kunstbetrieb
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