# taz.de -- Krise in der Ukraine: Ruhe vor dem Sturm | |
> In Donezk wappnen sich die prorussischen Besetzer für die Kraftprobe mit | |
> der Staatsmacht. Die Bevölkerung hofft auf eine friedliche Lösung. | |
Bild: Demonstration pro-russischer Aktivisten vor dem besetzten Gebäude der Ge… | |
DONEZK taz | Jederzeit wird in Donezk mit einer Erstürmung des seit Montag | |
besetzten Verwaltungsgebäudes durch die Sicherheitskräfte gerechnet. Alle | |
rechnen damit – die Separatisten, die Vertreter der lokalen Behörden und | |
die Einwohner der Stadt. Je länger sich dieser Moment hinauszögert, desto | |
mehr verstärken die Separatisten ihre Stellungen. Abends und in der Nacht | |
haben sie bereits eine zweite Linie von Barrikaden aus Sand und Möbeln | |
errichtet. Alles sieht wie eine Karikatur des Kiewer Maidan aus – die | |
Reifen, die Barrikaden. Nur liegen hier anstelle von Kiewer Pflastersteinen | |
Gehwegplatten, mit denen das Zentrum von Donezk reichlich ausgestattet ist. | |
In das Innere des Gebäudes gelangt man nur mit einem Passierschein. | |
Journalisten werden nur nach einer Gesichtskontrolle hineingelassen. Dabei | |
ist es ratsam zu lügen und zu sagen, man arbeite für russische Medien. | |
Ukrainer sind hier unbeliebt. Auch mögen es die Besetzer nicht, wenn man | |
sie „Separatisten“ nennt. Alexander Chrjakow, einer der Aktivisten, die die | |
Donezker Volksrepublik ausgerufen haben, sagt, dass es nicht um das Wort an | |
sich gehe, sondern um denjenigen, der es ausspreche. Dem Grad ihrer | |
Aggressivität nach zu urteilen, scheinen die Leute hier vor dem | |
Verwaltungsgebäude überhaupt niemanden zu mögen. | |
In dem besetzten Gebäude und darum herum halten sich mal 50, mal bis zu | |
2.000 Personen auf. Dabei hätte es genug Zeit gegeben, um einige | |
zehntausend zu mobilisieren. Aber die Separatisten haben keinen großen | |
Rückhalt in der Bevölkerung. | |
Nach Angaben von Wladimir Kipen, Chef des Instituts für Sozialforschung und | |
politische Analysen, sind laut einer Umfrage von Ende März 85 Prozent der | |
Bewohner von Donezk gegen die Anwendung von Gewalt. 61 Prozent der | |
Befragten unterstützen die Festnahme der Unruhestifter. Die Separatisten | |
ihrerseits bedauern, dass die örtlichen Wähler so schwer zu Aktionen zu | |
„bewegen“ sind. Eben jene Wähler betrachten die besetzten Gebäude verhalt… | |
und gereizt. | |
## Wieder ruhig leben können | |
„Das, was heute in Donezk passiert, führt zu nichts Gutem“, sagt Olga. „… | |
alle hier verstehen, dass sich die Situation immer weiter aufheizt. Die | |
Menschen trauen sich nicht, friedlich für die Einheit der Ukraine zu | |
demonstrieren, weil niemand für ihre Sicherheit garantieren kann. Ich will | |
nur, dass das bald alles zu Ende ist und wir wieder ruhig leben können. Und | |
dass unsere Kinder nicht länger erzählen, ihre Klassenkameraden spielen | |
„Faschisten“ und prügeln sich. | |
Die Faschisten sind für die Donezker das Schreckgespenst schlechthin. 61 | |
Prozent der Befragten gaben unlängst an, dass die größte Gefahr von den | |
„Faschisten“ ausgehe. Dabei ignorieren sie völlig, dass bisher noch keine | |
Schlägertruppen aus dem Westen der Ukraine in Donezk aufgetaucht sind, | |
dafür aber maskierte Separatisten mit Schlagstöcken unbehelligt mit | |
öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. | |
Die Erstürmung fand in der ersten Nacht nicht statt. Der Donezker Oligarch | |
Rinat Achmetow hatte unerwarteterweise die Rolle des Vermittlers | |
übernommen. Er organisierte Verhandlungen zwischen Sicherheitskräften und | |
Separatisten. Die Gebietsregierung hat es nicht eilig, sich auf die Seite | |
der Besetzer zu schlagen. Der Stadtrat hat vorgeschlagen, die ausgerufene | |
Donezker Volksrepublik zu ignorieren. | |
Der Vorsitzende der Gebietsverwaltung, Sergey Taruta, kündigte am Mittwoch | |
an, dass es zu Problemen bei der Auszahlung von Gehältern kommen könne, | |
weil die Verwaltung blockiert sei. Zwischen den Zeilen war herauszuhören, | |
dass Taruta den Separatisten nicht wohlgesinnt ist. Das Thema Geld wird in | |
Donezk immer angesprochen, wenn es darum geht, die öffentliche Meinung zu | |
beeinflussen. Die Wirtschaft interessiert die Menschen viel mehr als die | |
Politik. „Geld wird es nicht geben“ – mit solchen Andeutungen sollten auch | |
die Maidan-Aktisten in Kiew eingeschüchtert werden. | |
Am Dienstag verabschiedete das Kiewer Parlament ein Gesetz, das | |
Gefängnisstrafen für Separatisten verschärft. Der lokale Parteiführer der | |
Partei der Regionen des abgesetzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch, | |
Nikolaj Lewtschenko, hatte sich für eine Amnestie der Separatisten | |
ausgesprochen. Offensichtlich möchte die Partei nicht noch mehr Wähler | |
verlieren. | |
Niemand weiß, ob die Präsidentschaftswahlen, die für den 25. Mai geplant | |
sind, aufgrund der Instabilität im Osten durchgeführt werden können. Mit | |
einem Kandidaten wie Michail Dokbin kann die Partei der Regionen | |
keinesfalls gewinnen. | |
Die Menschen rechnen mit einer Erstürmung des Verwaltungsgebäudes, da sie | |
das Vorgehen der Sicherheitskräfte in anderen Städten beobachtet haben. | |
Diese Aktion könnte dann den Russen einen Grund liefern einzumarschieren. | |
Deshalb haben auch alle Angst vor der Erstürmung. Sie hoffen auf eine | |
friedliche Lösung, auf Sicherheit und wüssten gerne, wie das Ganze ausgehen | |
wird. | |
9 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Valerija Dubova | |
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