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# taz.de -- Sauberkeit statt Sex: Wer die Spuren beseitigt
> Der Kneipen-Betreiber Mehmet Simsit hat eine Putzfirma gegründet, um den
> Prostituierten in Hamburg-St.Georg eine Perspektive zu bieten.
Bild: Weiß, wie hart das Leben im Hamburger Bahnhofsviertel sein kann: Mehmet …
HAMBURG taz | Abends kommen die Junkies. Sie brechen die Haustür des
Wohnhauses in der Nähe des Hansaplatzes im Hamburger Stadtteil St. Georg
auf und schleichen im Treppenhaus ganz nach oben. Dann packen sie ihren
Stoff aus und das Drogenbesteck, setzen die Spritze an die Vene und drücken
den Kolben runter, der das Rauschgift in den Körper pumpt. Wenn sie wieder
gehen, lassen sie zum Leid der Bewohner einiges zurück: Spritzen, Urin,
Kot.
„Eine große Schweinerei war das“, empört sich ein Hausbewohner gehobenen
Alters, der sich sichtlich über die Zweckentfremdung seines Treppenhauses
ärgert. „Aber Joakim* macht das immer wieder flott.“ Er klopft dem Putzmann
auf die Schulter, der sich mit einem Lächeln bedankt. Ein bisschen stolz,
ein bisschen verlegen.
Seit Januar ist es der Job von Joakim, die Hinterlassenschaften der Junkies
wegzuputzen. Zweimal die Woche zieht er seine Arbeitshose an und kommt zum
Fegen und Wischen her. Das macht er gerne, sagt er.
Joakim heißt eigentlich anders. Aber er will auf keinen Fall, dass seine
Familie in Bulgarien erfährt, was er früher gemacht hat, um ihnen Geld
schicken zu können. Vier Jahre lang schlüpfte er abends in sein
Frauenkostüm und ging in St. Georg anschaffen. „Ich war eine Schlampe“,
sagt er mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht: „Jetzt bin ich eine
Schlampe mit Krankenversicherung.“
Es klopft plötzlich hektisch an der Haustür. Zwei Gestalten sind durch das
milchige Glas zu erkennen. Sie versuchen, ins Treppenhaus zu gelangen. „Ist
alles okay bei Ihnen?“, rufen sie, wohl weil sie die Stimmen durch die Tür
gehört haben. Mehmet Simsit öffnet ihnen: Es sind zwei Streifenpolizisten.
„Ja, alles okay“, sagt er beruhigend. „Sie müssen abends vorbeischauen, …
kommen sie rein.“ Die Polizisten kennen Simsit, und Simsit kennt die
Polizisten.
Überhaupt kennt Mehmet Simsit am Hansaplatz fast jeder. Seit 2010 betreibt
er hier den Hansatreff. „Eine Multi-Kulti-Kneipe“, wie er sagt. Seit Januar
ist eine weitere Aufgabe dazu gekommen: Er sorgt nun dafür, dass Joakim
putzen kann und eine Krankenversicherung hat.
Dafür hat Simsit eigens eine Putzfirma gegründet, um ehemaligen
Prostituierten und Zuwanderern aus Osteuropa einen Job jenseits der
Sexarbeit und damit eine neue Perspektive zu bieten. Zumindest auch
deswegen: „Natürlich will ich mit der Firma auch Geld verdienen“, räumt d…
48-Jährige ein. Aber wenn man ihm zuhört, merkt man auch: Es geht um mehr.
Joakim jedenfalls scheint aufrecht dankbar für seine neue Anstellung zu
sein.
Joakim ist ein freundlicher, gut gelaunter Mensch. Vor vier Jahren kam er
mit dem Bus nach Hamburg – in der Hoffnung auf ein besseres Leben und mit
dem Wunsch, für seine Familie sorgen zu können. „In Bulgarien keine Arbeit
und kein Geld“, erklärt Joakim in gebrochenem Deutsch. Also ging er in
Hamburg anschaffen.
## 5.000 Euro fürs Ansprechen
Das hat anfangs auch gut funktioniert, aber nach der Einführung des
sogenannten Kontaktverbots für Freier wurde es immer schwieriger. Seit
Januar 2012 droht Freiern, die in St. Georg auf der Straße SexarbeiterInnen
ansprechen, eine hohe Geldstrafe: 5.000 Euro müssen sie bezahlen, wenn sie
erwischt werden.
Schon bei der Einführung des Verbots befürchteten KritikerInnen, dass die
hunderten Straßenprostituierten dadurch verdrängt werden und sich ihre
Arbeitsbedingungen verschlechtern könnten. Dass sie damit Recht hatten,
bestätigen jetzt auch Geschichten wie die von Joakim.
Immer weniger Freier kamen, um mit ihm ins Bett zu gehen. Er verdiente
immer weniger Geld für sich und seine Familie in Bulgarien. So wie ihm ging
es einer ganzen Menge Prostituierter. „Viele waren fast am Hungern“, sagt
Simsit. „Auch jetzt sind viele noch total unter Druck.“
Jetzt also Putzen. „Normale Arbeit ist besser“, sagt Joakim. Dann spricht
Simsit für ihn weiter – weil dem Bulgaren die deutschen Worte fehlen: „Er
braucht keine Angst mehr haben, erwischt zu werden oder dass seine Familie
etwas erfährt.“
Das neue Geschäftsmodell, von dem Simsit und Joakim profitieren, hätte im
vergangenen Jahr noch nicht funktioniert. Erst seit Januar gilt in
Deutschland die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und
Rumänen. Jetzt dürfen sie ohne besondere Genehmigung jede Arbeit hier
annehmen. Die Putzfirma ist nicht die einzige Form der Unterstützung, die
Mehmet den Gestrandeten von St. Georg anbietet.
Er tut, was er kann: Übersetzungen, Hilfe beim Ausfüllen von Formularen,
dolmetschen. „Für mich sind das vielleicht Kleinigkeiten, aber für die
Menschen, die das brauchen, ist es etwas Großes.“ Auch
Zwangsprostituierten, die ihren Zuhältern entkommen wollen, unterstützt er:
„Wer aussteigen möchte und um Hilfe bittet, bekommt von mir Hilfe.“ Schon
mehrfach seien Frauen mit blauen Flecken im Gesicht in den Hansatreff
gekommen. Wenn das passiert, wird der Kneipier zornig: „Da habe ich keine
Gnade. Zum Glück haben wir auch einen guten Kontakt zur Polizei.“
Im letzten Jahr hat Simsit sogar einen Deutschkurs für Prostituierte aus
Osteuropa auf die Beine gestellt, die hier ankommen. Die Hamburger
Universität schickte für ein Vierteljahr auf eigene Kosten einen Dozenten,
das Stadtteilbüro stellte kostenlos einen Raum zur Verfügung. „Das
Wichtigste ist, dass die Leute sich verständigen können“, sagt er.
Inzwischen musste er den Kurs aber wieder einstellen, denn die bewilligten
Fördergelder darf er nur für Lehrmaterialien ausgeben, nicht aber für
Personal.
## Wer Hilfe sucht, kommt her
Seine Hilfsbereitschaft hat sich rumgesprochen, gerade auch unter
osteuropäischen Wanderarbeitern: „Wer in Hamburg am Hauptbahnhof ankommt
und Hilfe braucht, kommt als erstes hierher“, sagt Simsit. „Wir sind schon
in ganz Europa dafür bekannt.“
Diejenigen, die dort ankommen haben es nicht weit: Etwa 300 Meter sind es
bis zum vor einigen Jahren rundum sanierten Hansaplatz. Von dort aus
betritt man den Hansatreff über ein paar Stufen, hinunter in den Souterrain
an der Südwestseite des Platzes. Vorbei an den Zetteln, die der
Kneipenbetreiber in seine Fenster gehängt hat. „Stoppt den Rassismus auf
dem Hansaplatz!“ steht da geschrieben. Und: „Vielfalt und Toleranz für St.
Georg!“ Jeder Buchstabe von „Vielfalt“ ist in einer anderen Farbe gedruck…
Dann steht man in einem düsteren verrauchten Raum. Links ein
Flipperautomat, rechts die Theke. An der Wand hängen orientalische Gemälde,
Simsits ganzer Stolz. „Das ist alles Handarbeit“, sagt er: „Habe ich alles
nach meinem Geschmack machen lassen.“ Hinter der Theke steht Simsit selbst
zusammen mit seiner Frau Liliana und seiner Schwester. An Herzlichkeit im
Umgang mit den Gästen, von denen die meisten regelmäßig kommen, mangelt es
hier nicht.
Mit der Kneipe hat Simsit endlich das Gefühl, seinen festen Platz im
Stadtteil gefunden zu haben. Inzwischen sind es schon 16 Jahre, die er sich
hier herumtreibt. Mit Anfang 20 kam auch er auf Drogen: Nach einem
Autounfall konnte der junge Deutschtürke keinen Sport mehr treiben. Damit
änderte sich auch seine ablehnende Haltung gegenüber Rauschmitteln.
„Ich war mal einer der größten Junkies hier auf dem Platz“, sagt er. „W…
ich eine Krise bekommen habe, habe ich mich auch an den Brunnen gesetzt und
habe mir einen Schuss gesetzt.“ Auf Dauer hat ihn das kaputtgemacht: „Ich
habe selber nicht daran geglaubt, dass ich das überlebe“, so Simsit. Er hat
es geschafft und ist dem Platz erhalten geblieben.
Seit 13 Jahren ist er jetzt clean. Weil er weiß, wie hart das Leben hier
sein kann, hat er das Gefühl, helfen zu müssen. Mit einer
Selbstverständlichkeit, die viele Menschen in St. Georg beeindruckt. Ob ihm
das nicht alles auch mal zu viel wird, der ganze Stress mit seiner Kneipe,
der Beratung und der neuen Putzfirma?
„Manchmal weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht“, gibt er zu. Er schaut auf
seine Armbanduhr und wird hektisch: „Ich bin zu spät“, sagt er. Eigentlich
hätte er schon vor 20 Minuten den nächsten Termin gehabt. „Tut mir leid“,
entschuldigt sich Mehmet Simsit und muss weiter.
* Name geändert
13 Apr 2014
## AUTOREN
Benjamin Laufer
## TAGS
Sexarbeit
Prostitution
Terre des Femmes
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Außenbewirtschaftung.
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